Читать книгу Alte Hexe - Elisa Scheer - Страница 8
7 SA 21.04.
Оглавление„Merkwürdige Frau“, fand Anne draußen.
„Verdächtig“, setzte Joe noch einen drauf. „Kann jemand wirklich so kleinlaut sein? Und wie furchtbar war wohl ihre Kindheit?“
„Wir haben ja vorhin auch den Großvater kennen gelernt. Unangenehmer alter Zausel. Muss aber früher mal ganz gut ausgesehen haben.“
„Verdammt viel früher“, antwortete Joe und öffnete die Beifahrertür.
„Ja, aber wenn man an die Leiche denkt, diese hakennasige alte Hexe, die war doch bestimmt nie besonders attraktiv…“, überlegte Anne. „Warum hat er die wohl geheiratet?“
„Weil du wieder denkst, dass Männer besser gucken als denken können“, spottete Joe.
„Stimmt ja auch!“
„Nee, stimmt eben nicht. Lass den Alten vernünftig gedacht haben, dass die Alte Geld hat oder Einfluss oder Beziehungen. Oder dass sie energisch genug ist, um ihn in die Gänge zu kriegen – er hat ja etwas entschlusslos gewirkt, findest du nicht?“
Anne warf Joe einen Blick von der Seite zu, während sie auf eine rote Ampel zurollte. „Ich bin direkt beeindruckt! Und ich glaube, ich muss dir Recht geben. Naja, vielleicht steht er ja auch auf böse Weiber.“
„Was haben die eigentlich beruflich gemacht?“
„Läden“, überlegte Anne. „Möbel oder so. Ich müsste nachsehen. Ach, egal, wir fahren doch eh ins Präsidium, dann können wir ja in Ruhe recherchieren.“
„Toller Samstag, wirklich. Und der Chef?“
„Hat immer noch den anderen Fall. Stößt zu uns, sobald dieser reiche Sack gestanden hat, der vielleicht seine Exfrau umgelegt hat.“
„Ach ja, ich erinnere mich. Mist, dann sind wir nur zu zweit…“
„Reiche ich dir nicht?“, grinste Anne ihn von der Seite an.
„Nein, so meine ich das doch nicht – ach, du verarschst mich doch bloß wieder.“
„Messerscharf beobachtet.“
„Ich dachte bloß –zu dritt hätte jeder einzelne weniger Arbeit. Na, vielleicht ist der Fall ja schnell gelöst. Vielleicht war´s diese verdruckste Enkelin.“
„Vielleicht“, antwortete Anne etwas abgelenkt, weil die lieben Kollegen wieder einmal wie die Wildsäue auf dem Parkplatz des Präsidiums geparkt hatten. „Ich dachte, Bullen könnten wenigstens korrekt parken… Sag mal, das da, das ist doch der Wagen von Annika und Mick, oder?“
Joe reckte sich. „Stimmt. Haben heute wohl keinen Dienst…“
„Aber dann müssen sie sich nicht so hinstellen, dass man kaum noch durchkommt“, schimpfte Anne, während sie scharf einschlug und sich zu ihrem Parkplatz durchschlängelte.
„Was hast du gemeint? Die Enkelin?“, fragte sie, als sie später, als sie die Treppen des Präsidiums hinaufeilten. „Wie kommst du darauf?“
„Weil die einen an der Waffel hat, findest du nicht? Haust da in den Überresten ihrer toten Tante…“
„Ja gut, die ist schon ein bisschen traumatisiert – aber das muss noch kein Mordmotiv sein. Nein, Joe, sorry, das geht mir zu rasch. Die alte Carin war doch wohl eine rechte Hexe, die hatte bestimmt noch andere Feinde. Komm, wir sichten erst mal, was wir schon haben. Und wenn wir Glück haben, gibt es schon einen Obduktionsbericht.“
Den gab es zwar noch nicht, aber sie machten sich einträchtig über ihre schöne neue Pinnwand her, auf der man die Ergebnisse auf der einen Seite sogar digitalisiert anzeigen konnte. Leider hatte man die dazu nötige Software noch nicht installiert – genau genommen noch nicht einmal gekauft. Anscheinend war das Budget für dieses Jahr schon ausgereizt.
Also hefteten sie Kärtchen an die andere Seite der Wand, wie im 20. Jahrhundert. Eine für Maria Carin,(*1929, + 21.04.2007), eine für Viktor Carin (*1925), eine für Mathilde Carin * 16.04.1978. Danach sahen sie sich ratlos an.
„Da muss es doch wirklich noch mehr Leute geben, verflixt?“
„Zumindest fehlt da eine ganze Generation“, bestätigte Joe. „Hat die Carin nicht gesagt, ihre Eltern sind tot?“
„Eher, dass sie keine Ahnung hat. Alles schon sehr merkwürdig! Komm, wir surfen mal ein bisschen…“
Sie klickten sich durch diverse Suchmaschinen, Regionallexika und Pressedienste. Viel fanden sie nicht, aber einen Artikel vom Februar 1978 aus dem Leisenberger Boten, den es schon lange nicht mehr gab.
Tragischer Verlust
Leisenberg (Eigener Bericht)
Viktor Carin, der Inhaber mehrerer Dekorationsgeschäfte in unserer schönen Stadt, ist mit seiner Frau Maria Luise von einem herben Schicksalsschlag betroffen worden: Am letzten Freitag, Mariae Lichtmeß, verunglückte sein einziger Sohn Walter tödlich auf der vereisten Leichinger Landstraße. Dessen junge Frau Anette, die neben ihm saß und in zwei Monaten ihr erstes Kind erwartet, blieb wie durch ein Wunder unverletzt, was der Familie immerhin ein Trost ist, wie Viktor Carin unserem Reporter bestätigte, während seine Frau noch nicht ansprechbar war.
Der genaue Unfallhergang ist noch nicht geklärt, denn Walter Carin galt trotz seiner Jugend als besonnener Fahrer und das junge Paar hatte in dem Kleinwagen der jungen Frau gesessen, der bei dem Unfall fast vollständig zertrümmert worden war. Andere Fahrzeuge scheinen an dem tragischen Vorfall nicht beteiligt gewesen zu sein.
Die Hochzeit Walter Carins mit der blutjungen Anette Morolt im letzten Jahr war die Sensation der gesellschaftlichen Saison, vor allem, da sie trotz einer Erkrankung von Maria Luise Carin nicht verschoben worden war. Nun sollte die Liebe der beiden jungen Leute durch das erste Kind gekrönt werden – einen Erben für die Firma Carin? Daß Walter Carin seinen Sohn nie in den Armen halten wird, ist vielleicht das Traurigste an diesem Unfall.“
„Ganz schöner Kitsch“, ärgerte sich Anne. „Und wieso überhaupt Sohn? Blödes Klischee!“
„Gut, aber jetzt können wir den Vater wenigstens abhaken“, besänftigte Joe. Er bekritzelte eine weitere Karte und hängte sie an der richtigen Stelle auf. Immerhin bemängelte Anne, die konzentriert auf ihren Bildschirm starrte, dieses Mal nicht seine scheußliche Handschrift.
„Wo ist diese Mutter denn hingeraten?“, schimpfte Anne schließlich. „Es gibt keine Hinweise auf einen Tod… Anette Carin, geborene Morolt. 1956 geboren, die ist doch jetzt erst – Moment – einundfünfzig. Ich glaube nicht, dass die wirklich schon tot ist.“
„Morgen fragen wir diesen komischen Alten“, antwortete Joe und notierte sich das.
„Ja, machen wir. Okay, den Alten nochmal. War dieser Walter wirklich das einzige Kind?“
„Stand das nicht in dem Presseartikel? Wäre das nicht aufgefallen, wenn es eine Lüge gewesen wäre?“
„Sollte man meinen, aber wer weiß…“ Anne klickte weiter. „Moment mal, hier… da gibt es noch eine Carin… Gesine… geboren 29.07.1957, noch nicht mal fünfzig… hm… könnte vielleicht eine Tochter sein? Früh verstorben vielleicht? Aber wieso finde ich dann hier nichts? Saublöd, das alles.“
„Sie ist nicht in Leisenberg gemeldet?“
Anne klickte weiter. „Nein… ich finde bundesweit nichts, aber auch keine Sterbeurkunde. Aktenkundig ist sie auch nicht, aber das habe ich ja auch nicht wirklich erwartet…“
„Und wenn du sie einfach mal googelst?“
Anne maß ihn verächtlich. „Du glaubst, Google kann mehr als die offiziellen Programme?“
Joe grinste. „Google hat mit Datenschutz nicht viel am Hut, da kann man schon mal das eine oder andere finden. Ob es freilich immer stimmt? Schau halt mal, vielleicht bringst es was. Ich male schon mal eine Karte für sie.“
„Aber nicht wieder so krakelig“, mahnte Anne prompt und klickte weiter. „Ha, es geschehen noch Zeichen und Wunder – du hast tatsächlich Recht. In – wo ist das? Ravenna? Was hat sie denn dahin verschlagen?“ Sie notierte sich die Adresse des Souvenirshops, in dem diese Gesine arbeitete, und beschloss, dort gleich morgen mal anzurufen.
„Morgen ist Sonntag“, erinnerte Joe sie.
Anne grinste. „Na und? In einem Souvenirshop? Wahrscheinlich verkauft sie T-Shirts mit Theoderich drauf oder so. So ein Laden hat sonntags garantiert nicht zu.“
Joe brummte. Nie konnte er gegen Anne punkten! Aber so schlimm wie am Anfang war es wenigstens nicht mehr.
Er hängte die Gesine-Karte an die richtige Stelle.
„Vielleicht ist diese Gesine ja gar nicht in Ravenna“, schlug er dann vor.
„Wo sonst? Ach – du meinst, hier? Und kragelt ihre Mutter ab? Wenn die alte Carin ihre Mutter ist, heißt das.“
„Nehmen wir es doch einfach mal an. Oder wir fragen morgen die junge Carin noch mal.“
„Schreib´s auf die Liste – aber die weiß offenbar praktisch nichts über ihre eigene Familie. So, und ich werde jetzt nochmal nach dieser Mutter suchen!“
Sie googelte Anette Carin – nichts Neues.
Anette Morolt – gar nichts.
„Wahrscheinlich hat die lange vor der Erfindung des Internets wieder geheiratet“, wollte Joe behilflich sein und erntete einen giftigen Blick.
„Vielen Dank auch! Und wie heißt sie dann jetzt?“
„Kann ich hellsehen?“
Anne knurrte, zog einen Stoß rosa Karten aus der Schublade und bekritzelte einige, dann heftete sie sie an die Wand: Anette? Nachbarn? Freunde?
„Wir sind doof“, meinte Joe dann.
„Sprich nur für dich selbst. Wieso sind wir doof?“
„Wir hätten diese Mathilde fragen sollen, ob sie jemanden gesehen hat, wenn sie sich schon zur Tatzeit in Henting herumgetrieben hat.“
„Stimmt.“ Sie notierte sich das. „Morgen gehen wir ganz früh hin, vielleicht bringt sie das aus dem Konzept.“