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Kapitel 13
ОглавлениеNur mit Mühe gelang es mir, meinen Magen in seine Schranken zu weisen. Daron hielt mich fest in seinen Armen, während Franziska mir gegenüber kniete und mir mit einem feuchten Tuch den Mund abwischte. Ich hatte das Gefühl, gerade ein gewaltiges Déjà-vu zu erleben.
Wie in Darons schicker Penthouseküche.
Wie im Krankenhaus nach dem Tod meines geliebten Vaters.
Pflanzen und Küchenspülen taten gut daran, sich in derartigen Situationen nicht in meiner Nähe aufzuhalten.
Ich war es langsam leid, schlimme Nachrichten und Wahrheiten verdauen zu müssen. Mein Magen offensichtlich auch. Da konnte ich ihm keinen Vorwurf machen.
„Und das ist die Erhabene? Dieses schmale Hemd, das bei der kleinsten Unannehmlichkeit rückwärts frühstückt?“
Aus verschwommenen Augenwinkeln sah ich, wie unbändige Wut hinter Franziskas Augen explodierte wie ein Feuerball. In der nächsten Sekunde sprang sie auf, um sich auf Oona zu stürzen, die mit beiden Händen auf der Taille gestützt und breitbeinig stehend so viel Raum einnahm, als hätte sie hier das komplette Kommando. Ich wusste, was als Nächstes kommen würde und griff nach Franziska, um sie aufzuhalten. Ich wollte nicht, dass sie sich meinetwegen unglücklich machte und einen Catfight startete, der in die Annalen der Ewigen eingehen würde. Doch ich hatte die Rechnung ohne Laurin gemacht. Noch bevor sich meine beste Freundin mit wehenden Locken auf Oona werfen konnte, versperrte ihr Laurin den Weg und verpasste Brans Freundin eine derart schallende Ohrfeige, dass die dunkelhaarige Bewahrerin ins Straucheln geriet und beinahe hintenüberfiel. Irritiert, jedoch keineswegs in seiner Schnelligkeit beeinträchtigt griff Cayden nach Laurins Fäusten und hielt sie wie ein kleines Kind fest umklammert.
„Wie kannst du es wagen?“, spuckte Laurin Oona ihre Verachtung entgegen, „Aline hat in ihrer kurzen Zeit als Bewahrerin so viel für diese Familie getan und dabei mehrmals bewiesen, dass sie bereit ist, alles zu geben, um ihren Erhalt zu sichern. Du hast kein Recht, so über sie zu denken, und erst recht nicht, so respektlos mit ihr zu sprechen!“
Ich weiß nicht, wer perplexer war – Franziska, deren Wut schlagartig in Verwunderung umgekippt war, Cayden, der zwar geistesgegenwärtig reagiert hatte, dessen Gesicht jedoch zum ersten Mal seit unserem Kennenlernen aufrichtige Verwunderung zeigte ... oder ich.
„Soso. Ich habe also nicht das Recht. Und wer gibt ihr das Recht, uns unser Leben zu zerstören?“ Verächtlich warf Oona mir einen Blick voller Kälte zu, während sie sich erhob und mit einer Hand ihre Lippe berührte. Dort, wo Laurin sie getroffen hatte, war die Haut aufgerissen, und Blut quoll aus einer ansehnlichen Platzwunde. Als wäre es nichts, wischte sich Oona mit dem Ärmel die rote Flüssigkeit aus dem Gesicht.
„Das sollte besser genäht werden“, stammelte Franziska und hatte sichtbar Probleme, ihre vor Adrenalin zitternden Hände zu beruhigen. Es war eindeutig, wie sehr sie in diesem Moment zwischen ihrem Eid, zu helfen, und ihrer persönlichen Ablehnung Oonas als Person zu kämpfen hatte. Auch wenn es nicht rühmlich war – in diesem Augenblick liebte ich sie noch mehr als ohnehin schon.
„Nur ein Kratzer, sonst nichts“, zischte Oona und betastete erneut ihre Lippe, die in Sekundenschnelle anschwoll. Mann, die Braut war wirklich hart im Nehmen.
„Tu nicht so, als würdest du über allem stehen“, fauchte Laurin mit einer Stimme, die plötzlich viel zu bösartig für dieses feenhafte Wesen schien. „Deine coole Fassade und dein arrogantes Gehabe sind nichts weiter als ein Schutz vor der Furcht, die sich bereits tief in deinem Inneren eingenistet hat. Du hast genauso viel Angst vor dem, was kommt, wie wir alle. Du bist nicht besser oder schlechter als wir. Und du bist nicht besser oder schlechter als Aline.“ Tränen bahnten sich ihren Weg über Laurins zarte Wangen und hinterließen eine Spur der Verzweiflung. „Du bist eine von uns, ob es dir gefällt oder nicht. Wir alle teilen das gleiche Schicksal.“
Eisige Stille legte sich auf den Raum. Fast schien es, als wären alle Anwesenden in ihrer Bewegung eingefroren. Keiner wagte, auch nur ein einziges Wort zu sagen. Daron hielt mich weiterhin fest auf seinem Schoß umklammert, während Cayden Laurins Fäuste fixierte. Franziska hatte mitten in ihrer Bewegung gestoppt und Bran und Alan standen an ihren Plätzen wie bestellt und nicht abgeholt. Schon merkwürdig, dass in dieser Familie immer die Frauen in den richtig heiklen Situationen das Steuer in die Hand nahmen, kam mir in den Sinn. Es war wie schon so oft – wurde es brenzlig, war es stets an den Partnerinnen respektive mir gewesen, die Kohlen aus dem Feuer zu holen. Auch jetzt wirkten die Männer eher wie Statisten denn als aktive Bestimmer ihrer eigenen Familiengeschichte.
Konnte es sein, dass der Tod nur durch seine Gefährtinnen zu existieren vermochte?
Dass er ohne die Frauen an seiner Seite nicht mehr war, als auch in einem normalen Leben – eine ziemlich unkoordinierte Männer-WG? So viel Muskeln und so wenig Mumm, schloss ich meinen geistigen Kurzausflug, und steckte mir diese Notiz für später in meine gedankliche Schublade des Grauens. Auch jetzt hatte ich mich immer noch nicht daran gewöhnt, dass die Abgründe des Clans offenbar stets tiefer wurden, je mehr man ihnen nachging.
„Ich will dieses Schicksal aber nicht“, flüsterte Oona plötzlich erschöpft und verlor innerhalb von Sekunden ihre Fassung. Leises Schluchzen löste sich aus ihrer Kehle. Die harte Fassade hatte unter Laurins erstaunlich festem Schlag einen Riss erhalten, der nun die bisherige Coolness zum Bröckeln brachte.
„Ich will einfach nur lieben und glücklich sein.“ Mit diesen Worten stützte sich Oona auf einem der Stühle ab und wischte sich peinlich berührt ob ihrer Schwäche eine Träne aus dem rechten Augenwinkel. So wenig ich sie mochte, jetzt tat sie mir auf einmal unendlich leid. Jetzt konnten wir alle sehen, was hinter der eisigen Ablehnung steckte, und ich begann allmählich zu begreifen, dass Oona genauso sehr litt wie alle im Raum anwesenden Damen. Jede hatte ihre ganz eigene Art, mit ihrem Los umzugehen, und für Oona war es am einfachsten, all ihr Leid auf jemanden zu projizieren, den sie dafür verantwortlich machen konnte. In diesem Fall war mal wieder ich der lustige Glückshase. Warum hätte es diesmal auch anders sein sollen? Man sollte meinen, ich sei es mittlerweile gewohnt, als Sündenbock Nummer Eins für alles, was schieflief, zu dienen. Dass mich das dennoch jedes Mal erneut aus den Schuhen fegte, war ein Indiz dafür, dass ich trotz allem noch nicht abgestumpft genug war. Irgendwie war das auch wieder tröstlich.
Wackelig und mit flauem Magen rappelte ich mich auf, schob sanft aber bestimmt Darons stützende Hände von meinen Armen und trat zittrig auf Oona zu. Als ich direkt vor ihr stand, bedachte sie mich mit dem Blick eines verletzten Raubtieres. Sei vorsichtig, schien sie damit sagen zu wollen, ich beiße solange nicht, wie du mich nicht beißt.
„Wir alle wollen nur lieben und glücklich sein“, sagte ich und hob vorsichtig meine rechte Hand. Ein kaum wahrnehmbares Zucken verriet mir, dass Oona wohl einen weiteren Schlag erwartete. Dafür fehlten mir jedoch die Kraft und auch der Anlass. Tief tauchte ich in Oonas grüne Augen ein und sah darin eine Furcht, die ich nur allzu gut kannte. „Doch wir alle sind das, was wir sind, und können es nicht ändern. Glaub mir, so sehr ich Daron liebe, so wenig bin ich von all dem begeistert, was meine Position mit sich bringt. Ich habe mich vergewaltigen lassen, versucht mich zu töten, habe einen Ewigen ermordet und ohne es zu wissen das Leben des Kindes beendet, das das Einzige war, was Phelans Suche nach Liebe in dieser Welt Hoffnung geschenkt hat. Ich bin Opfer und Täterin. Und es gibt nichts, was ich daran ändern kann.“ Plötzlich schmeckte ich Salz auf meinen Lippen und bemerkte, dass sich meine Tränen des Ekels in Tränen der Verzweiflung und des Mitgefühls gewandelt hatten.
„Ich kann es einfach nur akzeptieren.“
Ungläubig starrte mich Oona an.
„Wie hältst du das nur aus?“
Lächelnd schüttelte ich den Kopf.
„Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.“
Zögerlich schloss sich Oonas Hand um meine. Ihr Händedruck war fest und weich zugleich. Sie hat also auch eine andere Seite, dachte ich mir. Ansonsten hätte ich im Leben nicht verstanden, was Bran an so einer Frau fand. Jetzt aber sah ich ihr direkt in die Augen und erkannte, was es war. Sie war wie ich.
Tapfer hielt sie meinem Blick stand. Stolz war sie, diese Frau, mutig wie eine Kriegerin und mit so viel Liebe in ihrem großen Herzen, dass sie alles versuchte, um es vor Verletzungen zu schützen. Leider waren Kollateralschäden in dieser Familie an der Tagesordnung. Auch ich hatte diese Lektion schnell und extrem schmerzhaft lernen müssen.
Vorsichtig legte ich meine zweite Hand auf Oonas.
„Am Anfang ist es kaum auszuhalten. Aber du wirst das durchstehen. Weil du es kannst und weil du es musst. Je eher du das akzeptierst, desto leichter wird der Schmerz. Ich verspreche dir nicht, dass er weggehen wird, denn das wird er nie. Man lernt einfach nur, besser damit umzugehen.“
Hastig entzog sich Oona mir.
„Ich will nicht lernen, besser damit umzugehen. Es soll einfach nur wieder wie früher werden.“ Frisch entfachter Trotz funkelte aus ihren schillernd grünen Augen „Mag sein, dass auch du nur eine Figur auf dem Schachbrett der Ewigen bist und dich ebenso wenig um dieses Schicksal gerissen hast wie wir. Dennoch bist du nach wie vor die Königin und wir nur die Bauern, die man im Notfall draufgehen lassen kann. Ich mag ja vieles im Leben sein, aber eins ganz gewiss nicht – ein Opfer.“
Darauf konnte ich einfach nichts erwidern. Eins musste man dieser Bewahrerin wirklich lassen. Sie konnte verzwickte Inhalte ohne Umschweife auf das Essenzielle herunterbrechen.
„Oona ...“, setzte Bran erneut mahnend an, um einem möglichen weiteren Ausbruch seiner Freundin vorzubeugen.
„Ist schon gut“, antwortete Oona merklich verschnupft und wischte sich einmal quer mit der Hand übers Gesicht. „Ich hätte jetzt gerne meine Ruhe.“ Mit diesen Worten verließ sie so schnell den Raum, dass Bran nur noch ein kurzes „Tut mir leid“ murmeln konnte, bevor er hinter seiner Freundin hereilte.
Verwirrt schaute ich dem Rest des Sitzungskomitees in die Gesichter. Sie schienen ebenso geplättet wie ich. Lediglich Alan fand in dem Moment seine Sprache wieder.
„Alter Schwede, Frau Heidemann. Ich würde zwar nicht darauf zu wetten, dass Oona und du jemals beste Freundinnen werdet. Aber wie du sie gerade eben emotional entblößt hast, das war schon eine starke Nummer.“
Auch wenn es ein Kompliment sein sollte, so konnte ich es nicht als solches annehmen und zuckte lediglich mit den Schultern. Ich wusste nur zu gut, wie Oona sich gerade fühlte und hoffte um ihretwillen, dass sie die Kurve kriegen würde.
Denn für etwas anderes als Stärke war in der Welt der Ewigen kein Platz.