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Kapitel 3

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Dr. Kringer erinnerte mich irgendwie an meinen früheren Biologielehrer. Braune, kurze Haare, die seine Halbglatze spärlich dünn einrahmten, fanden ihre Fortsetzung in einem ziemlich großen, wenn auch gut getrimmten Vollbart. Kleine, wache Augen blitzten hinter einer Brille mit runden Gläsern auf, als wir das Zimmer betraten.

„Frau Meinhardt, guten Tag. Bitte setzen Sie sich.“ Freundlich wies er mich mit einer Hand an, vor ihm Platz zu nehmen, um sich dann sofort an Daron zu wenden. „Und Sie sind dann sicher der ...“

„Bruder“, schnitt Daron ihm das Wort ab.

Bitte?!

Das war so aber nicht abgesprochen gewesen, schoss es mir durch den Kopf, während meine Wangen im Sekundentakt gefühlt zwischen heiß und kalt hin und her wechselten. Schon spürte ich eine erste Welle der Wut in mir hochkochen, so wie es immer geschah, wenn ich mit etwas unvorbereitet konfrontiert wurde. Reflexartig ballte ich meine Hände an den Seiten zu Fäusten, um mein Temperament zu kontrollieren. Manche Dinge passierten eben in Bruchteilen von Sekunden, ohne dass wir es wollten und merkten, und verrieten uns dadurch mehr Wahrheit über unser Inneres, als uns manchmal lieb war. Okay, dachte ich, lass es einfach laufen. Daron wusste schon, was er tat.

„Oh ... das hatte ich bisher noch nicht so oft, dass der Bruder zum Ersttermin mitkommt.“

Dr. Kringer war sichtlich irritiert.

Willkommen im Club.

Vorsichtig musterte mich der Frauenarzt.

„Und das geht für Sie in Ordnung?“

„Na ja, ich habe ja sonst niemanden“, improvisierte ich, „der Kindsvater hat mich kurz nach Bekanntwerden der Schwangerschaft verlassen.“ Das kam der Wahrheit zwar näher als beabsichtigt, doch hütete ich mich, mit nur einer Silbe Phelans Tod zu erwähnen. Die Situation war mir jetzt schon unangenehm genug, da brauchte ich keinen Gefühlsausbruch vor Fremden. Das Messer, das ich Phelans ins Herz gerammt hatte, würde gefühlt für alle Zeiten in meinem eigenen stecken. Auch wenn es für ihn Erlösung aus einem unendlichen Kreislauf bedeutet hatte, so musste letztlich ich damit klarkommen, ein Leben beendet zu haben. Bisher gelang mir das nicht gerade gut. Dass ich Phelan nun auch noch diesen schwarzen Peter gewissermaßen in die Schuhe schieben musste, machte es nicht gerade besser.

„Nun ... also ... das geht mich nun wirklich nichts an, aber danke für Ihre Offenheit“, wand sich Dr. Kringer in seinem Stuhl, während er sich verlegen seine Halbglatze kratzte. Augenscheinlich bekam er in dem kleinen Örtchen, wo jeder jeden kannte und Sandkastenschwärmereien bis vor den Traualtar führten, solche Geschichten selten zu Gehör. Irgendwie machte ihn mir das sympathisch.

„Wann haben Sie denn positiv getestet?“

Autsch.

Ja das war jetzt eine Frage, mit der ich so nicht gerechnet hatte. Getestet hatte ich in dem Sinn nie, und ich konnte dem Doc schlecht erzählen, wie genau ich von meiner bevorstehenden Mutterschaft erfahren hatte. Erst recht nicht, weil ich dieses Detail auch vor Daron bisher gekonnt verschleiert hatte. Er wusste zwar, dass Phelan mich anfangs mittels einer unerlaubten Traumwandlung heimgesucht hatte, aber nicht, dass ich damals schon von ihm mit meiner Schwangerschaft konfrontiert worden war. Ich wollte auf keinen Fall, dass mein geliebter Riese im Nachhinein schlecht von seinem verschiedenen Bruder dachte. Das hatte Phelan wahrlich nicht verdient. Fieberhaft überschlug ich meine Möglichkeiten.

„Genau weiß ich das ehrlich gesagt nicht mehr, es ist zu dem Zeitpunkt viel passiert. Es war kurz vor Weihnachten.“

Puh.

Nicht gelogen und trotzdem nicht die ganze Wahrheit erzählt. So langsam färbte die McÉag’sche Informationspolitik merklich auf mich ab. Ob ich das gut fand, stand allerdings auf einem anderen Blatt.

Dr. Kringer wirkte zwar etwas irritiert ob dieser vagen Angabe, beließ es aber dabei. Als Nächstes folgte die Frage nach familiären Vorerkrankungen. Am liebsten hätte ich laut losgelacht. Hier konnte ich ebenfalls schlecht die Wahrheit erzählen, denn auch wenn ich in meiner Familie von keiner frappierenden Erbkrankheit wusste, so konnte ich das vom Vater des Kindes wahrlich nicht behaupten. Gut, nicht unbedingt Erbkrankheit, aber da sowohl das Kleine wie auch ich vor wenigen Wochen mehr mit dämonischem Genmaterial in Berührung gekommen waren, als es mir gefiel, hatte ich bei dieser Antwort verständlicherweise besonders große Ameisen im Hintern. Diesmal hatte ich wirklich keine Wahl.

„Nicht, dass ich wüsste“, log ich knallhart und hoffte, man würde es mir nicht anmerken. Dr. Kringer nickte und machte sich eifrig Notizen in einer dieser Arztmappen, während ich Daron kurz einen hilfesuchenden Blick zuwarf. Seine grünen Augen blitzten für eine Millisekunde auf. Er wusste, wie unangenehm mir das jetzt alles war, und er wollte mir helfen, aber mehr als neben mir sitzen und meine Hand nehmen konnte er im Moment nicht. Da musste ich einfach fair bleiben. Schließlich war ich die Schwangere, nicht er. Wie befremdlich hätte es ausgesehen, hätte er all diese speziellen Punkte für mich beantwortet? Ich drückte seine Hand und hoffte, hierdurch irgendwie einen Teil seiner Ruhe auf mich übertragen zu können. Was natürlich Blödsinn war. Aber die Hoffnung starb eben immer zuletzt.

„Dann lassen Sie uns erst mal das Ganze genauer anschauen, den Rest machen wir später. Bitte gehen Sie ins Nebenzimmer und machen sich hinter dem Paravent frei, ich bin sogleich bei Ihnen.“

Rasch verkniff ich mir ein lautes „Uff“, das sich bei diesen Worten schon aus meiner Kehle gelöst hatte. Endlich hatte ich auch mal ein bisschen Glück. Ich biss mir erst auf die Lippen, dann atmete ich leise tief aus, drückte erneut Darons Hand und trat danach gehorsam durch die angrenzende Tür ins Nebenzimmer. Dass der Herr Doktor den Rest der Befragung erst nach der Untersuchung durchführen wollte, hieß ich in diesem Augenblick mehr als gut. Das verschaffte mir etwas Luft, mich mental für den Rest der Prozedur zu wappnen.

Dachte ich zumindest.

Denn gegen das, was mich auf dem Untersuchungsstuhl erwartete, half nicht mal der stärkste Schutzschild der Welt.

Entfesselt

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