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Der Richtige kommt mit dem Schiff

Alvine kannte die Namen von mehreren großen Schiffen auf dem Fluss. Einigen gab sie selbst Namen: Silberschwall, Morgensonne, Amadeus. Das kleine schwarze Schiff mit dem großen Schornstein nannte Alvine Zakarina.

Sie verriet ihrer kleinen Schwester Toni die Namen, da sie wusste, dass Toni es den anderen Geschwistern niemals erzählen würde. Toni war ernsthaft, lachte nicht oft, freute sich sehr über das in sie gesetzte Vertrauen.

Toni sagte, sie wolle ebenfalls Schiffe taufen. Alvine verbot es ihr.

»Ich bin es, zu der sie auf der Wolga kommen«, sagte Alvine, »du musst dir deine Freunde anderswo suchen.«

»Freunde?«, wollte Toni wissen.

»Ja, sie kommen auf dem Fluss, aber ich werde nur einen Einzigen empfangen und ihm meine Hand geben, verstehst du?«

Toni sagte, sie würde es schon verstehen, und jetzt war das Geheimnis noch größer. Jemand würde zu ihrer Schwester kommen. Ein Mann?

In dem Jahr, in dem Alvine siebzehn wurde, war noch kein Mann gekommen. Sie sollte achtzehn Jahre alt werden, ehe ein Mann sie mit wirklichem Interesse ansehen würde. Das war der junge Hauslehrer, der für Toni eingestellt worden war. Er war liebenswürdig, sah gut aus, kleidete sich elegant, sprach ausgezeichnet französisch. Als jedoch Alvines Mutter bemerkte, dass er Alvine richtiggehend den Hof machte, erklärte sie ihrer Tochter, dass sie ihr schon sagen würde, wenn der Richtige gekommen sei, der Hauslehrer war nicht passend. Sein Vater war Dorfschullehrer, Bahnwärter oder etwas Ähnliches. Sicher hatte der Junge studiert, aber man konnte von dem, was in den Büchern steht, nicht leben. Das sah Alvine doch wohl ein?

Ja, das sah sie ein.

Alvine wartete weiter. Sie stand nicht mehr ganz so oft auf dem Balkon. Stattdessen las sie Romane über die Liebe und über das Reisen. Sie las sogar zwei Bücher von Leo Tolstoj.

Ihr Vater sah diese Bücher. Er lehnte Tolstoj ab, den er verwirrend fand. Er wollte seiner Tochter nicht verbieten, die Bücher des phantasiebegabten Grafen zu lesen, aber es gab doch so viel anderes zur Auswahl, Bücher, an denen man Freude hatte.

Alvine tat, was ihr Vater wünschte. Sie hörte auf, Tolstoj zu lesen. Sie wandte sich wieder den Romanen über die Liebe zu, die an Orten spielten, die weit weg lagen – in der Südsee, in Arabien, in Paris.

Sie wurde zwanzig, dann einundzwanzig, und er, der kommen sollte, hatte sie noch nicht gefunden.

Im Frühjahr 1895 dann passierte es. Alvine lernte Oscar Peterson auf der Schlittschuhbahn in Samara kennen. Er hielt nach dreimonatiger Bekanntschaft um ihre Hand an. Alvines Mutter meinte, dass Oscar der Richtige sei. Er war Geschäftsmann, hatte schwedische Vorfahren, sah gut aus und konnte sich angeregt unterhalten.

Oscar war mit dem Schiff auf dem Fluss gekommen, aus der großen Stadt Saratov im Süden, um Haushaltswaren zu verkaufen, aber das wusste Alvine nicht. Für sie war Oscar derjenige, auf den sie gewartet hatte. Er war doch auf einem ihrer Traumschiffe gekommen, nicht wahr?

Alvine und Oscar heirateten in der lutherschen Kirche in Samara. Oscars Mutter und seine vier Schwestern waren mit dem Dampfer aus Saratov angereist. Sie wohnten im Hotel. Das Hochzeitsessen wurde im Hause der Christensens eingenommen. Alvines Vater hielt eine lange und sehr gefühlvolle Rede.

Er erzählte von den Vorfahren aus dem fernen Norden, die Familien stammten ja von dort, sprach über das große Russland, das ewige russische Zarenreich.

Julius Christensen war von seinen Worten selbst gerührt. Nach dem Essen spielte eine Musikkapelle verschiedene Stücke russischer und nordischer Komponisten.

Oscar fand, dass die nordische Musik wie ein Wiener Walzer klang. Er konnte wirklich tanzen. Alvine hatte keine Übung, aber sie hatte Unterricht von einer Lehrerin erhalten. Alle lächelten dem Brautpaar zu, dem großen eleganten Oscar im gut sitzenden Frack, und der kleinen zarten Alvine in Spitzen, Schleier und Seide. An diesem Abend war sie eine bezaubernde kleine Braut.

Die Nacht wurde schlimm. Sie wusste nicht, was ihr bevorstand, dass der Mann in ihrem Leben so fordernd sein würde, so hart und schwer. Sie wusste nichts, und es war sehr schmerzhaft, als er in sie eindrang und immer weitermachte, gar nicht aufhören wollte.

Lange lag sie noch wach und horchte auf Oscars schwere Atemzüge, die allmählich in Schnarchen übergingen.

Jemand hatte ihr gesagt, dass man sich mit der Zeit daran gewöhne, ja sogar Gefallen daran finden konnte.

Das jedoch war bei Alvine niemals der Fall. Sie war gezwungen, Oscar seinen Willen zu lassen, wann immer er wollte, und sie verabscheute ihn für das, was er tat, aus ganzem Herzen.

Das Erbe von Samara und New York

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