Читать книгу Das Erbe von Samara und New York - Erik Eriksson - Страница 9
ОглавлениеZu spät, um Abschied zu nehmen
Hedvig erzählte Hulda, dass Karl Gustaf sie gebeten habe, seine Verlobte zu werden. Die Schwester war zunächst froh, dann stellten sich Zweifel ein. Das macht man wohl erst, wenn man dann auch heiraten wollte.
»Das weiß ich nicht«, antwortete Hedvig, »aber er ist sehr ernsthaft.«
»Dann will er dich also heiraten?«
»Er sagt nichts.«
»Nein, er spricht nicht viel, glaube ich.«
»Ja, er ist so, aber in diesem Falle hätte ich schon gerne, dass er mir sagt, was er denkt.«
»Du musst abwarten, jetzt hast du jedenfalls einen Verlobten.«
Ja, so war das wohl. Sie waren Verlobte. Aber Hedvig hatte sich insgeheim vorgestellt, dass dies etwas feierlicher hätte geschehen können. Trotzdem war sie froh, sie mochte Karl Gustaf ja. Er war freundlich, ein sanfter und liebenswerter Junge, so ähnlich wie ihr Vater. Einer, der nie laut wurde und sich nicht betrank.
Nein, Karl Gustaf trank wohl keinen Schnaps. Sie hatte ihn noch nie auch nur im Geringsten angeheitert gesehen, und er hatte gesagt, dass er gegen alkoholische Getränke sei, die würden die Menschen ins Verderben führen, hatte er gesagt.
Hedvig war davon überzeugt, dass Karl Gustaf ein anständiger junger Mann war. Das Einzige, was sie ein wenig störte, war seine Schweigsamkeit. Hedvig meinte zwar, dass redselige Menschen ziemlich anstrengend seien, aber sie selbst gab immer Auskunft, wenn es nötig war. Karl Gustaf schien immer alles, was er eigentlich sagen wollte, für sich zu behalten. Seine Schweigsamkeit war von anderer Art als die ihre.
Der Winter ging vorbei. Hedvig schrieb noch einen Brief an die Familie in Råberga. Die Antwort ließ auf sich warten. Hedvig und Hulda sprachen recht oft über die Familie zuhause. Was machten die jüngeren Geschwister, ging es dem Vater gut?
Hedvig hatte ihre Befürchtungen, aber sie sagte der Schwester nichts davon. Sie hatte geträumt, dass ihr Vater wieder schwer krank sei.
Jetzt wohnten die Mädchen bei ihrem Onkel in der Küche. Als die Kälte anbrach, waren sie aus dem Stall in die Kate umgezogen. Sie lagen zusammen mit einer Cousine auf der ausgezogenen Küchenbank. In der Küche schliefen außerdem ihre Tante und noch zwei kleine Cousinen.
Als Hedvig und Hulda nach Eskilstuna übergesiedelt waren, war zuhause in Råberga die Dachkammer frei geworden. Erik Larsson war zunächst dort eingezogen, doch war es ihm dann wieder schlechter gegangen, und er hatte sich gezwungen gesehen, wegen der Wärme in das Bett in der Küche zurückzukehren.
Er hatte schon lange nicht mehr arbeiten können. Als die Mädchen von zuhause fortgegangen waren, hatte er es versucht, aber nach zwei Wochen ging es nicht mehr länger. Seitdem hatte er meist im Bett gelegen. Er magerte ab. Matilda besorgte Pferd und Wagen, sie fuhren zum Arzt nach Vintrosa, der meinte, dass Erik etwas Bösartiges im Magen habe, was vielleicht auch nicht weggehen würde.
Es wurde ein harter Winter mit ständigen Schmerzen. Das Frühjahr brachte keine Besserung. Matilda kochte für Erik eine Suppe aus den ersten Brennesselsprossen, die neben dem Abtritt wuchsen. Das pflegte bei den meisten Übeln zu helfen. Aber Eriks Krankheit war unheilbar.
Am zwanzigsten Mai wurden die Schmerzen stärker. Er versuchte sich zusammenzunehmen und sich nichts anmerken zu lassen, aber es ging nicht. Er wimmerte die ganze Nacht hindurch, sein Atem kam stoßweise.
Matilda wusste, dass es Medizin gegen starke Schmerzen gab. Man konnte sie in der Apotheke in Örebro kaufen. Aber diese Medizin war teuer. Früh am Morgen brach sie von zuhause auf. Sie sagte zu Erik, dass sie den ganzen Tag über fortbleiben würde, und bat den siebenjährigen Gustav, sich um den Vater zu kümmern. Matilda hatte ihren Brautschleier mitgenommen, eingewickelt in ein kleines Päckchen, und sie trug ihren Ehering am Finger. Zunächst hatte sie überlegt, ob sie Eriks Ring auch mitnehmen sollte, aber dann hätte er wohl gefragt, und sie hätte nichts darauf antworten können.
Matilda ging nach Örebro, es waren dreizehn Kilometer. Sie brachte den Ring und den Schleier zum Pfandleiher und erhielt acht Kronen dafür. Für das Geld kaufte sie starke Medizin gegen Schmerzen, eine große Flasche, sowie Hustentropfen.
Spät am Nachmittag kam sie nach Råberga zurück. Vier Tage später war Erik Larsson tot. Seine Schmerzen hatten etwas nachgelassen, vielleicht hatte die Medizin geholfen. Er war einundfünfzig Jahre alt geworden. Er starb frühmorgens an einem Freitag.
Matilda ließ die Kinder ihren toten Vater sehen. Sie hatte ihm die Hände auf der Brust gefaltet. Die kleinen Mädchen weinten. Gustaf stand eine Weile regungslos mit versteinertem Gesicht neben dem Bett. Als er auf den Hof hinausging, hatte er die Fäuste geballt.
Die Beerdigung sollte in der Woche darauf in der Kirche von Täby stattfinden. Derselbe Nachbar, der Erik zum Arzt gefahren hatte, wollte Pferd und Wagen stellen, um den Toten in die Kirche zu bringen.
Am Tag vor der Beerdigung fiel Matilda ein, dass sie vergessen hatte, den Töchtern in Eskilstuna den Tod des Vaters mitzuteilen. Sie schrieb sofort einen Brief. Als Hedvig und Hulda die traurige Nachricht erhielten, lag ihr Vater schon seit drei Tagen unter der Erde.