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4.1 Förderbedarf und Förderplan

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Eng mit dem Begriff der Förderdiagnostik verbunden ist der des sonderpädagogischen Förderbedarfs, der für Schuck et al. (2006) einen zyklischen, hypothesenbildenden und -prüfenden diagnostischen Prozess meint, mit der Aufgabe »begründbare und geprüfte Hypothesen über ein aktuelles Schulproblem und den damit verknüpften individuell entwickelten Möglichkeiten des Kindes sowie den institutionell gegebenen Bedingungen zu entwickeln« (Schuck et al. 2006, 44). Unter der Berücksichtigung der Bildungsbedürfnisse des Kindes ist ein Förderkonzept zu erstellen, das sowohl Ziele und Inhalte als auch Methoden für die nächsten Förderschritte enthält. Auf dieser Grundlage erfolgt dann auch noch eine Empfehlung für den Förderort, an dem die notwendigen Bedingungen zur Umsetzung des Förderkonzeptes möglichst optimal realisierbar sind (siehe dazu auch Schuck 2004b). Mit dem Konzept des sonderpädagogischen Förderbedarfs wurde in den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz aus dem Jahr 1994 das aus der KMK-Empfehlung von 1972 stammende Konzept der Sonderschulbedürftigkeit ersetzt, was vor allem dem Bemühen entsprang, den Förderbedarf person- und nicht wie bisher institutionsbezogen zu definieren und dadurch auch Etikettierung und in deren Folge Diskriminierung zu vermeiden. Man bezog sich dabei auf Entwicklungen in England und den USA, in denen nicht mehr von Behinderungen gesprochen wurde, sondern von »special educational needs«. Allerdings kritisieren Schuck (2016) und Lindmeier und Lindmeier (2012), dass die angestrebten Veränderungen nicht eintraten und dass im Grunde alles beim Alten blieb.

Vom sonderpädagogischen Förderbedarf klar abzugrenzen ist für Kretschmann (2006b) der erhöhte Förderbedarf, der bei jeglicher Form des Zurückbleibens hinter schulischen Lernzielen gegeben ist, selbst wenn nur ein einzelnes Fach davon betroffen ist. Von einem solchen Lernrückstand kann man dann ausgehen, wenn z. B. in einem standardisierten Schulleistungstest ein Prozentrang von 15 und weniger erzielt wird. Strengere Maßstäbe sind für die Zuerkennung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs anzulegen. Welche Bedingungen gegeben sein müssen, um vom Vorliegen eines sonderpädagogischen Förderbedarfs zu sprechen, ist vorab nicht ohne Weiteres zu sagen. Das Risiko dafür wächst jedoch, je mehr Risiken und Belastungen und je weniger Schutzfaktoren gegeben sind.

Solche Klärungsversuche können allerdings nicht über die begriffstheoretische Schwäche der Kategorie »Förderbedarf« hinwegtäuschen. Wie bereits die »Sonderschulbedürftigkeit« bleibt auch der Begriff des Förderbedarfs eher vage und konturlos, was eine valide und exakte Diagnostik unmöglich macht. In diesem Zusammenhang sind sicher auch die eingangs beklagten Unzulänglichkeiten bei der Erstellung sonderpädagogischer Fördergutachten zu sehen und zu relativieren.

Mittlerweile folgt dem festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf ebenfalls in Anlehnung an den aus anderen europäischen Ländern bekannten »Individual Education Plan« (IEP) zwangsläufig ein Förder- oder individueller Entwicklungsplan, der die Ausgangslage oder den Ist-Zustand mit intrapersonalen und externen Ressourcen beschreibt sowie Förder- und Entwicklungsziele, also den Soll-Zustand, festlegt und die entsprechenden pädagogischen Maßnahmen und Methoden so operationalisiert, dass diese in bestimmten Abständen evaluiert werden können (Kretschmann & Arnold 1999; Bundschuh, Scholz & Reiter 2007; Melzer 2010; Bundschuh 2015).

Für Kretschmann (2003) verhindern Förderpläne eher kurzfristige und reaktive Fördermaßnahmen und unterstützen das Verfolgen langfristiger Entwicklungsziele. Sie schaffen mehr Klarheit und Transparenz für das pädagogische Handeln und sie sind unverzichtbar im Falle multiprofessioneller und institutioneller Kooperation. Wenn unterschiedliche Professionen wie z. B. Sonderpädagogen, Sozialarbeiter, Schulpsychologen oder Physiotherapeuten an der Förderung eines Kindes beteiligt sind, dann gelingt es mithilfe von Förderplänen eher, so Kretschmann (2003), die unterschiedlichen Handlungskonzepte zu harmonisieren, Zuständigkeiten zu regeln und die eingeleiteten Schritte zu evaluieren.

Mit Blick auf die aktuelle Praxis äußert sich Schuck (2003) kritisch zu den Förderplänen und befürchtet, dass diese zu einem neuen Lehr-Lern-Kurzschluss und der irrigen Überzeugung führen, dass die zu Fördernden die wünschenswerten und geplanten Veränderungen dann vollziehen, »wenn nur die Lernziele fein genug operationalisiert sind, ihnen eine zeitliche Perspektive mitgegeben wird, Angaben zu notwendigen pädagogischen Aktivitäten gemacht werden, Vereinbarungen zu Strategien der Evaluation getroffen sind usw.« (Schuck 2003, 63). Der Begriff der Förderung könnte auf diese Weise sehr schnell zu einem technokratischen Beheben diagnostizierter Leistungs- und Verhaltensprobleme reduziert werden, und der Förderplan gibt dann lediglich darüber Auskunft, mit welcher Technologie und in welchem Zeitraum welche Verhaltensänderungen oder Lernleistungen bewirkt werden oder bewirkt werden sollen. Eine gelungene Gegenüberstellung der Vor- und Nachteile von Förderplänen bieten Müller et al. (2017).

Psychologie in der Heil- und Sonderpädagogik

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