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Schemakarten
ОглавлениеDa so wenige antike Karten erhalten geblieben sind, lässt sich nicht rekonstruieren, welches Bild der Erde Isidor von Sevilla vor Augen hatte, als er die geographischen Teile seiner „Etymologien“ verfasste. Doch wir wissen, auf welchen Grundlagen er seine Darstellung aufbaute. Vor allem die „Naturgeschichte“ (Naturalis historia) des älteren Plinius, aber auch die viel knapperen „Merkwürdigkeiten“ (Collectanea rerum memorabilium) des C. Iulius Solinus und das polemische Geschichtswerk „Wider die Heiden“ (Historiae adversum paganos) des Paulus Orosius wurden ausgiebig exzerpiert, gekürzt und redigiert. Man hat einmal die „Etymologien“ mit einem Kopfbahnhof verglichen: „Alles Vorausgegangene mündet hier, ein daraus neu zusammengestellter Zug verlässt diesen Knotenpunkt geistiger Strömungen.“7
Isidor hielt die Welt für ein geordnetes Ganzes, dem man sich von außen nach innen, vom Allgemeinen zum Besonderen annähern könne. Denn so war sie von Gott eingerichtet worden. Man nenne sie mundus, und das komme von motus: „Bewegung“, weil ihre Elemente: Himmel, Sonne, Mond, Luft und Meere ständig in Bewegung seien. Er kannte aber auch das griechische Wort Kosmos und übersetzte es richtig mit „Schmuck“ (ornamentum). „Wir sehen nämlich mit unseren leiblichen Augen nichts Schöneres als diese Welt.“8 Dazu trügen Wolken (nubes, angeblich von obnubere: „verhüllen“), Blitz (fulgur/fulmen, angeblich von ferire: „schlagen“) und Donner (tonitrus, angeblich von sonus: „Klang“ und terrere: „erschrecken ), Wind (ventus, angeblich von vehemens: „heftig oder violentus: „gewaltig ) und Wasser (aqua, angeblich von aequalis: „eben“) gleichermaßen bei. Bei Letzterem müsse man allerdings zwischen dem Meer im Allgemeinen (mare, angeblich von amarus: „bitter“), dem Ozean, der rundum den Erdkreis umläuft, dem Mittelmeer, das „sich mitten über die Erde bis nach Osten ergießt“ und dabei Europa, Asien und Afrika voneinander abgrenzt, und den vielen einfach nur ablaufenden Flüssen (fluvius, von fluere: „fließen“) unterscheiden.
Terra, die Erde, deutete Isidor mit terere: „reiben“, als Abrieb sozusagen. Sie war für ihn gleichbedeutend mit dem Festland und den Inseln, jedenfalls mit trockenem Land. Die Vorgebirge (promuntoria) verdienten schon deshalb einen eigenen Eintrag, weil sie aus dem Meer herausragen und das Nasse vom Trockenen abteilen. Diese Landmasse sei kreisrund wie ein Rad geformt und werde ringsum vom Ozean umflossen. Nach innen aber sei der Erdkreis (orbis) in unterschiedlich große Kontinente gegliedert: Asien, das die Hälfte einnehme, Europa und Afrika bzw. Libya, die sich den Rest teilten. Die Namen erklärte der Mythos: Asia war die Tochter des Okeanos und der Tethys, Europa, Tochter Agenors, wurde von Zeus nach Kreta entführt, Agenors Mutter hieß Libya und gab dem ganzen Kontinent ihren Namen. Doch im Fall Afrikas war sich Isidor nicht ganz sicher. Auch andere Herleitungen des Namens (von einem Wind Libs oder dem Adjektiv apricus: „der Sonnenwärme ausgesetzt“) kamen infrage.
Auf die Erklärung der Namen folgt die Bestimmung der Grenzen: Asiens durch den Ozean, den Fluss Don und die Mäotischen Sümpfe, Europas durch Don, Mittelmeer und die Gadischen Inseln (Gibraltar) mit den Säulen des Herkules, Afrikas durch das Mittelmeer im Norden und Ägypten im Osten. Auf diese Weise wurden Großräume definiert, die sich in Länder und Regionen gliedern ließen. Asien als der größte Kontinent hatte davon mehr als Europa zu bieten, über Afrika war nicht so viel in Erfahrung zu bringen. Isidors Listen sind zwar redlich bemüht, Wesentliches über die einzelnen Länder zu sagen; doch beharrlich geben sie die Einseitigkeit seiner Unterlagen wieder. Streckenweise sind sie nichts weiter als eine Aufzählung der römischen Provinzen. Das Heilige Land ist mit Palästina, Judäa, Samaria und Galiläa deutlich überrepräsentiert. Von Spanien ließ sich vieles und nur Gutes berichten, mehr noch von Italien, einem „wunderschönen Land mit fruchtbarem Boden und erfreulichstem Reichtum an Nahrungsmitteln“.9 Im Norden dagegen ging Isidors Blick nicht über Germanien und ein nebulöses Skythien hinaus, die Serer im Osten waren ihm nur einen einzigen Satz wert, und was er von Schwarzafrika mitteilen konnte, bestätigte die üblichen Vorstellungen von wilden Tieren und seltsamen Menschen. Denn das alles lag in weiter Entfernung.
Man kann Isidors geographische Aussagen komplett auf eine Weltkarte übertragen und so sein Weltbild rekonstruieren. Dicht gedrängte, fast unübersichtliche Fülle ist das Ergebnis. Erhalten sind aber nur solche Karten, die eine mehr oder weniger rigide Auswahl vornehmen und die Weltsicht der „Etymologien“ auf ihr Wesentliches reduzieren. Gerade deren Kernaussagen über Erde und Kosmos treten dann am sinnfälligsten hervor, wenn der Kartograph auf jedes unnötige Detail verzichtet und sich auf ein einfaches Schema beschränkt. In den zahlreichen Handschriften, die Isidors „Etymologien“ überliefern, bis hin zum ersten Druck von 1472, ist regelmäßig eine Kartenskizze enthalten, die durch ihre radikale Einfachheit unmittelbar einleuchtet. Ihr kreisrunder Rand stellt den Ozean dar. Die von ihm ausgehenden Gewässer trennen die drei Kontinente der Alten Welt voneinander. Deren Namen werden fast immer genannt, oft auch die Namen von Mittelmeer (Mare magnum, Mare mediterraneum), Don (Tanais) und Nil, den Isidor allerdings noch nicht als Grenzfluss zwischen Asien und Afrika verstanden hatte. Nicht immer, aber häufig werden die Kontinente zusätzlich mit den Namen der Noah-Söhne Sem, Ham und Japhet bezeichnet. Denn von ihnen gingen nach dem Zeugnis der Bibel alle Völker aus (Genesis 10). Nach mittelalterlicher Vorstellung durften die Nachkommen Japhets Europa besiedeln, den Söhnen Sems war Asien anvertraut; die Kinder Hams dagegen mussten im heißen und unwirtlichen Afrika leben, weil Noah sie verflucht hatte. Die Versklavung schwarzer Menschen wurde damit begründet.
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Noch im Druck des späten 15. Jahrhunderts wurde das TO-Schema zur Darstellung des Erdkreises verwendet (Isidor von Sevilla, Etymologiarum sive originum libri XX, Augsburg 1472).
Jedes Kartenbild ist „eine hochgradige Abstraktion von der Vielfalt der irdischen Erscheinungen“.10 Es gibt keine andere mittelalterliche Karte, die so eindrucksvoll und plausibel von der Wirklichkeit abstrahiert wie das vielfach kopierte Schema, das Isidors Vorstellung von der Welt illustriert. Die kompakte, kreisrunde Form gibt dem Land den Vorzug vor den Gewässern. Die Ostung (Orientierung) verweist auf den Beginn der Geschichte und das Heilsgeschehen beim Sonnenaufgang. Die asymmetrische Dreiteilung bringt gedachte Größenverhältnisse auf den Punkt und gewichtet die Bedeutung der Kontinente. Durch die Nennung der Noachiden wird die antike Aufteilung der Erde christianisiert. Der das Land umgebende Ozean erinnert an ein O, Mittelmeer, Don und Nil bilden Schaft und Balken eines T. Man spricht von TO-Karten.
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Hemisphärische Karte in einer Isidor-Handschrift des 13. Jahrhunderts: TO-Schema und Klimazonen ergänzen einander (Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Sal. IX 39, fol. 1v).
Kein Kartograph erhob den Anspruch, allein mit einer solchen Karte die irdischen Verhältnisse wiedergeben zu können. Jeder wusste, dass sie aus didaktischen Gründen die Vielfalt der Erscheinungen auf eine Auswahl von Merkmalen reduzierte. Wollte man andere Sachverhalte zur Anschauung bringen, musste sie ein anderes Aussehen haben. Das TO-Schema illustrierte Isidors Aussagen zur „Erde und ihren Teilen“ (Buch XIV). An anderer Stelle, im XIII. Buch, sprach er vom Himmel über der Erde, von den Bestandteilen des Himmels und von den klimatischen Verhältnissen, die unter ihm herrschten. Diese seien nicht überall gleich; vielmehr machten übermäßige Kälte und Wärme die Erde nur teilweise bewohnbar. Man müsse sich den Himmel in fünf Abschnitte geteilt vorstellen, die man als Zonen bezeichne, weil sie „die ganze Sphäre umspannen“.11 Die Bedeutung des ursprünglich griechischen Worts zona: „Gürtel“ stand ihm vor Augen.
Karten, die die fünf Zonen darstellten, verfuhren genauso schematisch wie die TO-Karten und konnten auf fast alles verzichten, was nichts über Kälte, Wärme und Bewohnbarkeit aussagte. Weil sie nicht christlich gemeint waren, brauchten sie weder Ostung noch biblische Bezüge und konnten sogar die Namen der Kontinente entbehren. Es genügte, wenn die Umrisse der Küsten und einige Landmarken dem Betrachter Orientierung verschafften, und es kam darauf an, die Zonen zu benennen, in denen so unterschiedliche Temperaturen und Lebensverhältnisse herrschten: eine kalte im Norden (zona frigida septentrionalis), dann eine gemäßigte (zona temperata), eine völlig verbrannte in der Mitte (zona perusta, torrida), eine weitere gemäßigte und eine kalte im Süden (zona frigida australis). Nahm man mit fünf Fingern einen Ball in die Hand, hatte man ein schönes Merkschema vor Augen. Nur die beiden gemäßigten Zonen galten als bewohnbar. Denn man nahm an, dass im Süden ähnliche klimatische Verhältnisse wie im Norden herrschten. Alle Zonenkarten enthalten ein spekulatives Element und alle legten auf Spiegelbildlichkeit Wert. Der kalten Zone im Norden entsprach eine kalte im Süden, „unserer“ gemäßigten eine ebensolche, also bewohnbare in der südlichen Hemisphäre. Isidor ging selbstverständlich davon aus, dass ein weiterer, ein vierter Kontinent im Süden liege; vielleicht lebten dort Antipoden. Doch Genaues wisse man von ihm nicht, weil „er uns wegen der Glut der Sonne unbekannt ist“.12 Ein abschreckend breiter Ozean oder das Flammenmeer der mittleren, verbrannten Zone trennt auf den Karten die Welten.
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Weltkarte im TO-Schema mit den Noah-Söhnen Sem, Ham und Japhet, deren Nachkommen die Kontinente Asien, Afrika und Europa besiedeln (Simon Marmion, um 1459 – 1463; Brüssel, Bibliothèque Royale Albert Ier, Ms. 9231, fol. 281v).
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Zonenkarte in der Historia figuralis des Girardus von Antwerpen (1272). Die blaue Farbe bezeichnet die Kälte an den Polen, die rote die Gluthitze am Äquator, die freie Fläche die Unzugänglichkeit der Antökumene im Süden (Utrecht, Bibliotheek der Rijksuniversiteit, Ms. 737, fol. 49v).
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Große hemisphärische Weltkarte aus dem Liber floridus des Lambert von Saint-Omer (um 1180): Der bekannten Ökumene liegt ein vierter Kontinent gegenüber, von dem man nichts wisse, auf dem aber spiegelbildlich die gleichen klimatischen Verhältnisse herrschen müssten (Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 1 Gud. lat., fol. 69v – 70r).
Schemakarten sollten ausgewählte geographische, klimatologische und astronomische Sachverhalte zur Darstellung bringen. Da sie die Wirklichkeit nicht abbildeten, sondern deren Wesen sichtbar machen wollten, ließen sie sich leicht variieren oder ergänzen, und da sie keinen Anspruch auf exklusive Gültigkeit erheben konnten, ließen sie sich gut miteinander kombinieren. Es fiel nicht schwer, die Umrisse einer TO-Karte in eine Klimazonenkarte einzuzeichnen und noch den Sonnenlauf oder die Laufbahn der Gestirne darüberzulegen. Die früheste separate Europa-Karte erweist sich als Ausschnitt einer TO-Karte – Afrika und Asien fielen einfach unter den Tisch. Der vierte Kontinent, dessen Existenz sich scheinbar logisch aus dem Konzept der Klimazonen ergab, konnte auch ohne diese den drei anderen Erdteilen gegenübergestellt werden (so besonders anschaulich bei Lambert von Saint-Omer). Der Zonenkarte ließ sich ein anderes Schema zur Seite stellen, das nicht Temperaturunterschiede, sondern den unterschiedlichen Neigungswinkel der Sonnenstrahlung thematisierte und sieben Klimazonen allein auf der nördlichen Erdhalbkugel konstruierte.
Als besonders dauerhaft und wandlungsfähig erwies sich das TO-Schema. Es fand bereits auf der ältesten erhaltenen mittelalterlichen Weltkarte (einer Sankt Galler Isidor-Handschrift des späten 7. oder frühen 8. Jahrhunderts) Verwendung, wurde vielfach variiert und blieb bis ins späte 15. Jahrhundert, also fast ein Jahrtausend, präsent. Auf dem Reichsapfel konnte es die kaiserliche Weltherrschaft symbolisieren, in einem Schulbuch half es, geographisches Grundwissen zu vermitteln (so im Rudimentum novitiorum von 1475), und an die Errettung der Welt sollte es erinnern, wenn das T im O als Taukreuz, als das Kreuz Christi interpretiert wurde.
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Kaiser Augustus mit dem dreigeteilten Erdglobus als Zeichen seiner weltumspannenden Herrschaft (1112–1115; Gent, Universitätsbibl., Ms. 92, fol. 138v).