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Imago mundi

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Isidors Leistung bestand in der Vermittlung antiker Bildung an ein Umfeld, das angesichts gewandelter politischer und Lebensverhältnisse nach geistiger Orientierung verlangte. Daran gab es jedoch nicht nur auf der Iberischen Halbinsel, sondern auch sonst in West- und Südeuropa Bedarf. An der Versöhnung von lateinischer Antike und katholischem Christentum mit den neuen Herrschaftsverhältnissen war überall gleich viel gelegen. Die Verbreitung der „Etymologien“ macht das deutlich. Um die tausend Handschriften sind bis heute erhalten geblieben und bezeugen die anhaltende Wertschätzung des Werks, die mit der Erfindung des Buchdrucks keineswegs aufhörte. Zuerst wurde es in England und Irland bekannt, dann – vor allem durch die Vermittlung iro-schottischer und angelsächsischer Missionare – auch auf dem Festland. Bis ins ferne Island reichte seine Wirkung. Das Verständnis der antiken Überlieferung wurde dadurch wesentlich erleichtert. Die karolingische Bildungspolitik (auch sie eine Reanimation der Antike) profitierte davon und steigerte gleichzeitig die Nachfrage nach Manuskripten. Immer mehr von ihnen fanden den Weg in die Bibliotheken. Zweifellos hatten die „Etymologien“ ihre zeitbedingten Schwächen; doch ihre imposante Wirkungsgeschichte gibt sie als ein Werk zu erkennen, das „dem ganzen Mittelalter als Grundbuch gedient hat“.2

Der Autor selbst wurde schon bald nach seinem Tod als größter Gelehrter aller Zeiten (in saeculorum fine doctissimus)3 gepriesen, und Dante ließ ihn mit anderen Geistesgrößen wie den Theologen Thomas von Aquin und Albertus Magnus, dem Rechtslehrer Gratian und dem Philosophen Boëthius den Sonnenhimmel im Paradies bewohnen (Divina Commedia, Paradiso X). Er galt als der „Lehrmeister des Mittelalters“ (praeceptor medii aevi) und wurde schließlich 1722 zum Kirchenlehrer der katholischen Kirche, 2001 sogar zum Schutzpatron des Internets erhoben. Andere versuchten, seinem Beispiel zu folgen. Doch erst im 12. Jahrhundert gelang es einem Autor, Isidors Werk zwar nicht zu übertreffen, aber doch dessen Monopol als Schul- und Bildungslektüre zu brechen.

Merkwürdigerweise ist über die Person des Verfassers nur wenig bekannt, und das wenige, was wir wissen, lässt sich nur mit mancherlei Hypothesen zu einem einigermaßen schlüssigen Lebensbild verknüpfen. Um sein Werk vor den Neidern zu schützen, wollte er anonym bleiben und treibt so bis heute ein Versteckspiel mit seinen Lesern. Schon sein Name: Honorius Augustodunensis wirft Fragen auf. Denn so nannte er sich offenbar erst in seinen späteren Lebensjahren, und mit Augustodunum, d. i. Autun im Herzogtum Burgund, hatte er nichts zu tun. Hinweise auf Augsburg, Siegburg, Kaiseraugst oder das Kollegiatstift Unserer Lieben Frau zur Alten Kapelle in Regensburg führen nicht weiter. Eine befriedigende Deutung des Beinamens steht nach wie vor aus. Gesichert scheint, dass Honorius nicht auf dem Festland geboren wurde und eine „internationale Karriere“ durchlief. Er hieß wohl ursprünglich Henricus, stammte vielleicht aus Irland und verbrachte die prägenden Jahre seines Lebens in England, wo er die Schriften Anselms von Canterbury kennenlernen konnte. In der Regierungszeit Kaiser Heinrichs V. kam er nach Regensburg und lebte im Schottenkloster Weih St. Peter als Mönch und Inkluse. Er trat mit reformkirchlichen Kreisen in Verbindung und beteiligte sich an der öffentlichen Debatte um die gregorianische Reform. Ob er noch einmal das Kloster wechselte und sich nach Lambach im heutigen Oberösterreich zurückzog, ist nicht mehr als eine Vermutung. Ein Schleier des Geheimnisses umgibt auch die letzten Jahre seines Lebens.

Nicht ohne Stolz zählte Honorius einmal die 22 größeren Werke auf, die er geschrieben hatte. Man solle sie nicht verachten und werde sehen, wer nach ihm noch komme.4 Seine kleineren Schriften überging er. Honorius war also ein ebenso fleißiger wie selbstbewusster, ein fruchtbarer und auch einflussreicher Autor, der sich auf verschiedenen Feldern bewährte. Er verfasste Predigten und Texte für den liturgischen Gebrauch, theologische Werke, die das Wort Gottes und die Geschichte interpretierten, polemische Traktate zur Kirchenreform, schließlich auch naturkundliche Schriften, die das Wesen und die Geheimnisse der Schöpfung ergründen sollten. Seine besondere Fähigkeit bestand darin, die Dinge, über die er schrieb, ohne Umschweife auf den Punkt zu bringen und in wenigen Worten zu sagen, worum es eigentlich ging. In der Forschung wurde ihm deshalb eine gewisse Neigung zur Vereinfachung und Popularisierung, wenn nicht gar zur „Banalisierung“, attestiert.5 Mit den großen Philosophen des 12. Jahrhunderts konnte er sich keinesfalls messen. Doch er bemühte sich um Verständlichkeit und erreichte die Leser. Er besaß ein didaktisches Talent. Darin lag das Geheimnis seines Erfolgs. Vor allem im Umkreis der Orte, wo er sein Leben verbrachte, also in Süddeutschland, Österreich und England, erzielte er Wirkung.

Die weiteste Verbreitung fand das Elucidarium, das Zwiegespräch eines Lehrers mit seinem Schüler über die Grundsätze und Ziele der Kirchenreform. Mehr als 300 Abschriften und Übersetzungen in fast alle europäischen Sprachen bezeugen seinen immensen Erfolg. Kein anderes Werk des Honorius hatte so aktuellen Bezug. Aber weit verbreitet waren auch sein Hohelied-Kommentar (In cantica canticorum), eine Predigtsammlung für die wichtigsten Festtage im Kirchenjahr (Speculum ecclesiae) sowie vor allem eine Beschreibung der Welt in drei Büchern, nach Ausweis der Handschriftenüberlieferung (ebenfalls mehr als 300 Manuskripte) und Übersetzungen (ins Altfranzösische, Altspanische, Italienische und sogar Altwestnordische) sein zweitwichtigstes Werk. Es war dem Verfasser so wichtig, dass er es zwischen 1107 und 1139 mehrfach überarbeitete und redigierte. Er gab ihm einen naheliegenden, aber bis dahin nicht gebräuchlichen Titel: Imago mundi – „Bild der Welt“. Einige spätere Autoren (Gautier bzw. Gossuin de Metz, Jacopo d’Acqui, Pierre d’Ailly) machten sich den Titel zueigen, ließen sich also von dessen eingängiger Metaphorik überzeugen: „Wie in einem Spiegelbild soll man die Einrichtung der ganzen Welt erkennen können“ – so der Verfasser selbst über den Zweck seines Werks.6

Alles, was ist, teilt sich für Honorius in drei Kategorien, und jede davon ist ihm ein eigenes Buch wert. Das erste handelt vom Raum, das zweite von der Zeit, das dritte von der Geschichte. Anders als Isidor von Sevilla, der ein Thema an das andere reihte und so auf zwanzig Bücher „Etymologien“ kam, beschränkte sich Honorius auf die fundamentalsten Aspekte und ordnete ihnen die irdischen und himmlischen, die sichtbaren und unsichtbaren Erscheinungen zu. Vieles ließ er schlicht beiseite. Zum Raum gehören nicht nur die Erde, die Erdteile, die Inseln und Länder, sondern auch die Hölle, das Wetter, die Tiere, die Menschen und sogar die Gestirne. Auf die Definition der Zeit, von Honorius als endlich verstanden, folgt die Beschreibung der Zeitmaße (vom Moment bis zum Jahrhundert) und der astronomischen Grundlagen des Kalenders. Geschichte ereignet sich in der Abfolge von Weltaltern, Reichen, Christenverfolgungen und Herrschern. Jeweils wählt Honorius den allgemeinsten Sachverhalt als Ausgangspunkt seiner Darstellung. Die Geschichte beginnt mit dem Sturz Satans aus dem Himmel, vor der Zeit steht die Ewigkeit, und den weitesten Raum bildet der Kosmos. Dort, also in den ersten Kapiteln des ganzen Werkes, spricht der Verfasser von den Grundlagen seines kosmographischen Weltbilds.

Das Bild der Welt im Mittelalter

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