Читать книгу Berlin: Kontrollverlust - Frank Martin Hein - Страница 18
Vierter Durchlauf
ОглавлениеPeter Stachelski war wie immer gegen acht auf seiner Schwalbe KR 51 zum Institut gefahren. Auf dem Parkplatz nahm er den schwarz gestrichenen Armeehelm ab, zog die Handschuhe aus, setzte sich quer auf das Moped und zündete sich eine Selbstgedrehte an. Er rauchte in aller Ruhe, schaute über den Campus und auf seinen Ausdruck mit dem Tagesplan, bevor er schließlich hochging in das Institut, in den War Room II. Seine Morgenkippe war ihm heilig, zu der nächsten würde er erst bei der Pause zwischen seinen Pflichten als Supervisor kommen. Nachdem er sich im Büro gleichzeitig seiner beiden Lederjacken entledigt hatte, die er im Winter stets übereinander trug, und seine neue Lesebrille aufgesetzt hatte, sah er nicht mehr aus wie ein Wendeopfer beim Bierholen im Spätkauf, sondern fast schon seinem Vater ähnlich – der als Professor an der TU Physik unterrichtete. Zwar schlanker, größer und mit noch mehr verwuschelten Haaren, doch mit den gleichen wachen Augen, demselben steten Zweifel im Gesichtsausdruck und dem gleichen Ehrgeiz. Manchmal ertappte sich Stachelski Junior dabei, unbewusst sogar genau die gleichen Gesten zu machen wie der Senior und fragte sich, wie weit das noch gehen würde mit ihrer Ähnlichkeit. Immerhin hatte er sich extra für die Psychologie entschieden und studierte ganz bewusst ein anderes Fach als sein Vater. Peter galt als schüchtern; dabei hielt er nur den Mund, weil er so vieles besser wusste als seine Kommilitonen. Egal, worum es ging. Die Besserwisserei machte nicht populär, sondern einsam. Früher hatten die Zigaretten dagegen geholfen. Seit fast niemand mehr rauchte, waren sie auch keine Lösung mehr. Eher das Gegenteil. Intellektuell war ihm das klar, los kam er von ihnen trotzdem nicht. Also vergrub er sich in seine Diplomarbeit, ging den Kommilitonen aus dem Weg und träumte von einer Freundin, die er bisher noch nicht gehabt hatte. Als Supervisor und Seminarleiter kam er wenigstens regelmäßig mit Mädchen in Kontakt. Sie mussten mit ihm sprechen – ohne dass er sich dafür zu verbiegen hatte. Heute Morgen laut Plan gleich zwei, und eine davon mochte er ganz besonders. Zunächst hatte er Kyuhoji Machi aus Japan im Studentenzimmer abgeholt, sie in den Raum mit der Konsole gebracht, so schnell wie möglich eingewiesen und dann gebeten, etwas zu warten. Er holte die Ausrüstung für die zweite Person, prüfte Kabel und Batterie und ging auf den Gang. Gretchen Vossenkuhl, die Amerikanerin aus Lebanon, Pennsylvania, wartete schon auf ihn. Gretchen, die Süße! Peter teilte weiße Amerikanerinnen in drei Kategorien ein: oberflächliche Modepuppen, Naturmädels und jüdischstämmige Intellektuelle. Gretchen, mit ihren schwarzen Locken, dem schmalen Gesicht mit hohen Backenknochen und dem schlankem Körper, sortierte er eindeutig in die dritte Kategorie. Sie sah ebenso reserviert wie tiefsinnig aus und lächelte doch zurück, wenn er sie ansah. Als er sie angeschlossen und alleine auf dem Holzstuhl zurückgelassen hatte, drehte er sich noch einmal um und winkte ihr zu: „Hope you have a good session. Please take care!“ Er hoffte inständig, Kyuhoji würde sie zuvorkommend behandeln. Doch zehn Minuten später musste er den Durchlauf von seinem Kontrollpanel im War Room II aus abbrechen – das passierte zum ersten Mal überhaupt. Kyuhoji hatte Gretchen in die Cafeteria geschickt. Peter kam ins Schwitzen, als er sah, zu was Gretchen dort gezwungen wurde: Striptease vor allen anderen Studenten. Als Kyuhoji sechzig Volt einsetzte, damit das zitternde Mädchen im Slip auch noch ihren BH auszog, hielt er es nicht mehr aus.