Читать книгу Berlin: Kontrollverlust - Frank Martin Hein - Страница 9
Erster Durchlauf
ОглавлениеRosalie Fechner hängte sich artig das hässliche graugrüne Teil um den Hals, steckte sich die Stöpsel in die Ohren und bestätigte den Soundcheck. „Ja, ich höre dich. Alles klar, Alter.“ Die Psychologiestudentin aus Frankenthal war die Erste im Institut, die verkabelt wurde. Sie fand das sehr cool. Hoffentlich ging es endlich los! Jetzt saß sie noch im tristen Flur auf einem alten kantigen Holzstuhl, wartete und schaute sich gelangweilt um. Der Boden vor ihr war großflächig gefliest, die Wände waren beige und dunkelgelb gestrichen, an der Decke hingen Neonröhren, soweit man blicken konnte. Dieser Geruch nach Putzmittel. Sonst nichts los, kein Mensch auf dem Gang. Gut so. Rosalie hatte keine großen Vorstellungen, was sie erwartete. Damit, sich nicht zu viel vorzustellen, war sie in ihrem Leben bisher immer am besten gefahren. ‚Das Leben besteht ohnehin aus einer immensen Serie von Zufällen‘, davon war sie überzeugt. ‚Es gibt keine Vorhersehung. Ordnung ist Zufall. Unordnung genauso.‘ Genaue Pläne konnten damit nur kollidieren. Zum Beispiel jetzt. Hauptsache war, immer anständig, aufrichtig und ehrlich zu bleiben. Kant galt. Egal in welcher Situation. Ehrlich dran bleiben, keine Ausflüchte! ‚Steh auf‘, tönte es plötzlich in ihren Kopfhörern. Die erste Instruktion! ‚Dreh dich nach rechts.‘ Rosalie gehorchte. ‚Renn!‘ Es war nicht schwierig, dem Folge zu leisten, bis sie an die erste Kurve des rechtwinkeligen Gebäudes kam. Sie stockte. Schlagartig spürte Rosalie einen Schmerz in ihren Ohren. „Autsch“, entfuhr es ihr. Ihr wurde warm in ihren Wintersachen. ‚Renn, habe ich gesagt. Kurve oder nicht: renn.‘ Rosalie krachte fast in eine Gruppe anderer Studenten, nachdem sie den Befehl umgesetzt hatte. Sie zuckte zur Entschuldigung kurz mit den Schultern. Dann ging es fast einmal ganz um die Etage. Sie kam ins Keuchen, ihre Haare flatterten und die Geräusche ihrer Stiefel hallten lange nach in den kahlen Gängen. Unauffällig war das jedenfalls nicht. ‚Stopp. Dreh dich um. Renne zurück.‘ Es war bescheuert, aber wohl nicht zu ändern. Diesmal machte sie einen Bogen um die Studenten. Sofort kam der Schmerz wieder. Sie schwitzte. ‚Stopp. „Rennen“ hatte ich gesagt. Nichts von wegen Umwegen und so.‘ Rosalie stand untätig und unschlüssig im Gang und atmete schwer. Die Studenten gingen vorbei, drehten sich nach ihr um und schüttelten verständnislos den Kopf. Dann ging es wieder los. Direkt zurück. Sie wurde über einen Gang ins Nachbarinstitut geschickt. Musste stehen. Und warten. Gefühlte fünf Minuten später kam der nächste Befehl. ‚Dreh dich um nach links, bis du eine Tür siehst. Gehe darauf zu. Bleibe davor stehen.‘ Rosalie hatte keine Ahnung, wo sie war. ‚Mach die Tür auf und frage laut, ob Justin Bieber da ist. Laut!‘ Rosalie zuckte. Ich will nicht stören. Niemanden stören. Sie war ein Typ, der ungern störte, egal wen. Ausgerechnet Justin Bieber. Gar nicht ihr Fall. Sie blieb wie angewurzelt stehen. Auf einmal fuhr ihr ein heftiger Schmerz in den Kopf. „Aua!“ ‚Los jetzt. Aufmachen und rufen!‘ Rosalie machte einen kleinen Schritt vorwärts, legte die Hand auf die Klinke und zögerte. Sie war klatschnass geschwitzt und fühlte sich beschissen. Am liebsten wäre sie einfach abgehauen. Mein Gott, so ein Scheiß-Experiment. Aber selber schuld. An dieser Zwickmühle bin ich ja selber schuld. Wieso mache ich auch mit? ‚Jetzt aber los. Sonst verliere ich meine Geduld!‘ Diese Sprüche kannte sie von ihrer Mutter. Genau so. Danach setzte es meistens was – früher. Rosalie drückte langsam die Klinke herunter, öffnete die Tür und rief laut nach Justin Bieber.