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Woche 11—2
ОглавлениеMichael Lommel saß in einem dieser maroden alten Berliner Mercedes-Taxis, als ihm das erste Mal so richtig klar wurde, wie tief er in der Scheiße steckte. Hinter ihm lag ein langer Tag vollgepackt mit Arbeit. Die Verpflichtungen hatten alles Nachdenken über seine eigene Lage verhindert. Dafür traf ihn jetzt, um kurz vor elf Uhr abends, die Erkenntnis umso härter, in Schwierigkeiten zu stecken. In ernsthaften. Er fühlte sich schlagartig müde, elend. Ihm war kalt. Der Weg von Berlin Adlershof nach Tempelhof erschien endlos lang und zu kurz gleichzeitig. Die fröhliche Musik aus dem Radio des russischen Fahrers quälte ihn. Es war unmöglich, dabei einen klaren Gedanken zu fassen. Was würde er gleich gefragt werden? Was würde er antworten? Er versuchte, sich die Situation vorzustellen. Was? Wie bitte? Denken Sie bitte noch einmal nach. Was? Lommel hasste das Gedudel. Er verabscheute Fahrer, die mit einer Hand telefonierten und mit der anderen steuerten. Irgendwie steuerten, schalteten und blinkten. Oder auch nicht. Er verabscheute seinen Fahrer jetzt im Augenblick. Wie soll man nachdenken, wenn man jeden Moment gegen eine Ampel krachen kann? Denken Sie bitte noch einmal nach. Lommel hasste den stetigen, dünnen Berliner Regen draußen, echten Pissregen, und den kalten, feuchten Luftzug, der permanent ins Auto kroch. Warum war die Seitenscheibe vorne rechts nicht ganz zu? Warum mussten sich alle alten Mercedesgetriebe, praktisch also alle alten Taxis in Berlin, so durch die Gangwechsel quälen, mit Schlägen, als ob das Auto urplötzlich festgehalten würde und gleich darauf wieder ruckartig freikäme? Ob sich das Mercedes so gedacht hatte? Was? Was war die Frage? Denken Sie noch einmal nach. Welche Taktik hatte er sich doch gleich überlegt? Warum waren die Scheibenwischer nicht in Ordnung? Bitte? Sie quietschen? Beschwerden sind nicht im Fahrpreis inbegriffen. Berliner Taxifahrer hassen Beschwerden. Lommel hasste Berliner Taxifahrer. Lommel hasste es auch, von der Polizei nach Tempelhof bestellt worden zu sein. Das war jetzt eine gute halbe Stunde her. Vielleicht keine gute halbe Stunde, aber immerhin so lange. Und nicht abzulehnen. Er war dran. Jetzt. Das war das Ergebnis der letzten Monate. Alles hatte sich verändert, alles. Und jetzt war auch noch das öde Taxi zu bezahlen. „Kein Trinkgeld?“ „Nö. Nichts. Nicht für sone olle Schüssel.“ „A…“ „Idiot.“ Lommel drehte sich noch einmal um, bevor er die Polizeistation betrat. Vor ihm lag es: das lang gestreckte Gebäude des Flughafens Tempelhof. Durch die Wolke blauen, stinkenden Dieselqualms schaute er direkt auf den Ort, an dem alle seine Probleme angefangen hatten.