Читать книгу Kommunale Pflegepolitik - Frank Schulz-Nieswandt - Страница 10
Einleitung
ОглавлениеAuf das Thema der kommunalen Welt des Lebens und den Sorgebedarf im Alter(n) ist also letztendlich alles in dichter Form fokussiert. Diese Fokussierung auf die Kommune ist Ausdruck einer Erkenntnis über die Renaissance der Region und der örtlichen Lebenswelt als Kehrseite der dynamisch-turbulenten Globalisierung. Mag hier der Begriff der Lebenswelt seine Differenz zu seiner Nutzung in der Phänomenologie (von Edmund Husserl bis zur verstehenden Soziologie von Alfred Schütz) deutlich werden lassen: Im Präventionsgesetz, wie es in das SGB V Eingang gefunden hat, meint Lebenswelt genau diesen Sozialraumbezug. Eigentlich kann die Idee der Kommunalisierung in der Sozialpolitik im Lichte des »spatial turn« in den Kultur- und Sozialwissenschaften nicht überraschend sein, wenn man anthropologisch, tiefenpsychologische Evidenz involvierend, gut informiert ist. Der Mensch ist bedürftig. Dazu gehören die soziale Aufmerksamkeit und die Wertschätzung sowie die Anerkennung, letztendlich das Bedürfnis, geliebt zu werden. Diese Bedürftigkeit – dieser Hunger – knüpft sich an das Phänomen der Begegnung25 und an die Praxis der sozialen Integration, an Rollen als Spiele der Generativität als schöpferisches Selbst-Werden im Modus des sozialen Mitseins.26 Wir belassen es hier zunächst bei dieser Dichte der Erläuterung. Die Explanation dieser Gedanken wird einer der »roten Fäden« der vorliegenden Abhandlung sein, dessen Ersichtlichkeit bei der Lektüre intersubjektiv wahrscheinlich sehr unterschiedlich eingeschätzt sein wird. Die im Fokus hierbei angesprochene Örtlichkeit der Daseinsführung verweist uns nun also auf die Kommune als Sozialraum dieses sozialen Geschehens der menschlichen Person. Diese Re-Vitalisierung der Kommunalität des Daseins und die daran geknüpfte Idee der Gewährleistungskommune (im föderalen Kontext von Bund und Länder »unten«, Europa und Völkerrecht »oben«) ist allerdings eine Kulturfrage als Frage eines Wandels der Kultur, und damit ist weder Volkskultur (Oktoberfest) noch Hochkultur (Elbphilharmonie) gemeint. Das Problem ist eine Frage der Grammatik und der Psychodynamik der Sozialraumbildung27, eine Einsicht als Erfahrungsverdichtung angewandter, z. T. partizipativer28 Wissenschaft29 in zahlreichen Implementations- und Evaluationsprojekten.30 Viele Projekte mit Frank Weidner und dem Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung e. V. (DIP) im Kontext von Wohnen, Pflege, Beratung, Technik31, aber auch mit Holger Pfaff und seinem Team im Bereich des Wandels der sog. »Behindertenhilfe«32, die jahrelange Begleitung (zusammen mit Clarissa Kurscheid) der innovativen Politik neuer Versorgungsformen der Stadt Zürich im Schnittbereich von Medizin und Pflege33, die weiteren, noch näher anzusprechenden Projekte für das Sozialministerium des Landes Rheinland-Pfalz (in die Ursula Köstler und Kristina Mann involviert waren und/oder mit Hermann Brandenburg von der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar [PTHV] durchgeführt worden sind) u. a. m. (wie z. B. Erfahrungen, die Frank Schulz-Nieswandt als Vorsitzender des Kuratorium Deutsche Altershilfe [KDA] sammeln durfte) waren die Veranlassung für das vorliegende komplexe Fazit, das zugleich einen Ausblick auf konkrete Utopien der Hoffnung fundiert.
Auf dieses Thema der kommunalen Welt des Lebens mit Sorgebedarf im Alter ist also wirklich letztendlich alles in dichter Form fokussiert. Aber der Sinn dieses Themas der Kommunalisierung der Pflegepolitik steht am Ende einer breiten und um Tiefe bemühten Herleitung. Sinn meint, die Substanz sozialer Formen zu erschließen. Es geht um die fundamentalen Bedeutungen. Nachbarschaft34, Wohnen, Freundschaft35, Familie, Gemeinde – dabei den Alltag kategorisch übergreifend verstehend – mögen triviale Selbstverständlichkeitsbegriffe sein. Sie sind es jedoch nicht. Nach dem Werk »Dialektik des Konkreten« von Karl Kosik, wenngleich ihm die Studien von Agnes Heller36 und von Henri Lefebvre37 (dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass Georg Lukács noch 1963 schrieb, es bestünde ein »Mangel an Vorarbeiten«38) zur Seite gestellt werden müssen, ist bislang kein grundlegenderer Beitrag zum Verständnis der »Metaphysik des alltäglichen Lebens« vorgelegt worden: »Nicht der Mensch hat Sorge, die Sorge hat den Menschen.« 39 Für Heidegger40, das hat nochmals Bakewell deutlich herausgearbeitet41, ist der Alltag der Bezugsraum der ontologischen Überlegungen seiner Metaphysik, die das Mitsein42 des Menschen in den Mittelpunkt des Zeitgeschehens des endlichen Lebens stellt. Der Alltag ist der Ort, wo sich die Frage nach »Eigentlichkeit oder Uneigentlichkeit« des Daseinsvollzuges stellt. Für Karlfried Graf Dürckheim ist der Alltag die Welt, in der der Mensch durch die Erfahrung der Seinseinbettung zur Person wird, werden kann, wenn genau dies geschehen mag: »Wo das Sein uns ergreift, verwandelt die Grundstimmung sich.« 43
Ist Mitsein der Modus des In-der-Welt-Seins des Menschen, dann ist der Mensch als Homo mundanus44 kein »Weltfremdling«, sondern immer schon (als ein Apriori philosophischer Anthropologie anerkannt) als ein »Mitten-drin« verstehbar. Und der Mensch ist nicht als absolutes Subjekt gegenüber der herrschaftlich frei verfügbaren objektiven Welt in einer Position des »Gegenübers« stehend. Er entwirft sich, macht seine Geschichte, damit sich tätigend als ein »Selbst« bildend, aber immer im Lichte seines Geworfenseins, wie es Martin Heidegger ausdrückte und was Karl Marx meinte, als er schrieb: Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber unter den jeweils gegebenen Bedingungen. Der Mensch schuf und schafft sich also selbst.45 Die Formel vom »Geworfenen Entwurf« expliziert die Dialektik von Freiheit und Grenzen, Geschichte und Verantwortung, die den Menschen charakterisiert.46
Der Alltag führt uns an die Reflexion der conditio humana heran.47 Somit an das Wesen des Menschen in seinem Person-sein-Können. Mit der Konjunktivform des »Sein-können« sind wir schon mitten drin in den Tiefen der Umwege. Wichtig ist: Es geht um die Möglichkeitsform. Auch der Begriff der Möglichkeit scheint alltäglicher Gebrauchsnatur zu sein. Ja, auch. Aber Möglichkeit ist zugleich eine Kategorie der Ontologie dynamischer Prozesse, vor allem in kritischer Absicht, wenn es um das Noch-nicht-geworden-Sein des Möglichen geht. Dies deshalb, weil damit der Schmerz und das Leiden beginnt, die die uralte Theodizeeproblematik48, die das Schweigen über das Leid49 zum Brechen bringt, nun mit Bezug auf das Böse in der Welt50 zur Frage der Selbstverantwortung der Gesellschaft in ihrer Geschichte macht. Gott verschwindet damit und wird zur Chiffre einer Ethik der Miteinanderverantwortung.
Die Differenz des Noch-Nicht zur Welt der Faktizität der sozialen Tatsachen ist die Entfremdung. Faktizität wird erst relevant, wenn sie mit der Fiktionalität konfrontiert, ja, durch die Fiktionalität der konkreten Utopie gefiltert wird. Doch diese Fiktionalität als Idee ist selbst faktisch, Teil der Faktizität, ihre eigene Entelechie, die aber des Gärtnerns bedarf, weil die Teleologie der Geschichte nicht vermischt werden darf mit einem Historischen Materialismus, der in der imperialen Sowjetideologie von der Dialektik getrennt wurde, sich selbst Lügen strafend, da die Gewalt zur Geburtszange des neuen Lebens erklärt wurde.
Es geht also um nicht-selbstverständliche Selbstverständlichkeiten im Leben der Menschen. Und damit geht es um radikales Denken, wenn es als kritisch bezeichnet werden soll. Wir sind schon längst mitten in der Metaphysik der Tiefengrammatik unseres Themas: Es geht um ein Gegebensein von Gegebenheiten, die nicht so entfaltet sind, dass der singuläre Mensch bzw. die Menschen (explizit als Plural gemeint) im Miteinander zur Wahrheit der Existenz im Modus der solidarischen Liebe51 kommt bzw. kommen.
Eine der grundlegenden Voraussetzungen der angemessenen Lektüre der vorliegenden Abhandlung ist das Aufsetzen einer passungsoptimalen Brille. Diese Brille ist nicht in rosa Farbe getaucht. Es geht um die epistemologisch bedeutsame Funktion der Brille im Sinne des verstehenden Durchblicks. Wenn von Liebe die Rede ist, dann im Sinne eines wissenschaftlichen Gebrauchs dieser Kategorie. Weder das flüchtige Verliebtsein noch die Libido als Ökonomik der Begierde ist gemeint. Wir sind eingetaucht in das Symposium von Platon. Es geht um das »Menschsein im Mitsein«52, also um anthropologische Fragen der Grundlegung des Verstehens des Daseins.
Wahrheit ist hier nicht empiristisch gemeint; oder nur zum Teil. Wahrheit meint hier nicht die Wahrheit der »Es-gibt-Sätze«. Denn das Gegebene kann sowohl gut wie auch böse sein. Es geht um die Wahrheit der Wirklichkeit als Wahr-Geworden-Sein des Möglichen.53 Über die Kategorie der Möglichkeit haben wir ja soeben bereits einige Worte – mehr nicht – »verloren«. Das ganze Problem wird deutlich, wenn man bei der Lektüre der großen Studie »Der Mensch im Widerspruch« von Emil Brunner54 den Untertitel im Blick hält: Die christliche Lehre wird als »Lehre vom wahren und vom wirklichen Menschen« anthropologisch (und damit gegen den dualistischen Supranaturalismus der pseudodialektischen dogmatischen Orthodoxie von Karl Barth55) entfaltet. Das ist die expressionistische56 Haltung einer existenzialen Wissenschaft von der praktischen Sozialpolitik: Ihr »Schrei«57 ist Ausdruck der Erkenntnis des sozialen Dramas als (nicht zu wörtlich zu nehmende) skalierbare58 Differenz des Nicht-erfüllt-Seins des Lebens.
Drama59 ist ein Oberbegriff für Texte mit verteilten Rollen.60 Die Dramatik ist neben der Epik und der Lyrik eine der drei grundlegenden literarischen Gattungen.61 Kennzeichnend sind die Dialoge. Ein Drama kann aber als Epos (in der Antike sodann von der Lyrik abgelöst62), die »Grundfragen des menschlichen Daseins«63 thematisierend und damit u. a. Menschenbilder64 transportierend, modern als Roman65 nacherzählt werden. Modernität verweist auf die Aktualisierbarkeit faszinierender66 alter Archivvorlagen. Dass das Leben tragische67 und komische Züge trägt, ist evident. Die Akte der Aufführungen auf der Bühne des Lebens mögen die Altersklassen im Lebenslauf sein. Kritische Lebensereignisse, von der Entwicklungs- und Sozialpsychologie breit erforscht, mögen Wendepunkte im Handlungsablauf sein. Ob sich die Katharsis68 einstellt, ist eine Frage der Reifung der Subjekte.69
Die Poetik70 ist die Lehre von der Dichtkunst, somit Theorie der Dichtung, und als solche setzt sie sich mit dem Wesen der Dichtung71 auseinander, ihrem existenzialen Wert, konkretisiert als ihre Aufgaben (Funktionen), ihren Ausdrucksformen und ihren poetisch fassbaren Gattungen. Die Poetik der kritischen Sozialwissenschaft, die zugleich ihre tiefe Verbundenheit zur Semiotik einerseits und zur Psychoanalyse andererseits offenbart, gehört nun zu den Metaebenen der vorliegenden Abhandlung, die sich »objekttheoretisch« und damit thematisch um den »Kommunalismus«72 (um die Kommunalität; um das Phänomen der communitas73) der menschlichen Daseinsführung zentriert, aber, um das Ziel in gründlicher Weise zu erreichen, die komplexen Umwege, Seitenpfade, Vertiefungswege, Verästelungen, vielleicht auch einige Abwege des Sich-Verlaufens »in Kauf nehmen«. Kaufen: eine Sprache, die wir eigentlich vermeiden wollen, deren Nutzung aber zugleich deutlich macht, wie sich der zur leiblichen (geistigen, seelischen, körperlichen) gouvernementalen Hegemonie neigende Gegenstand unsere eigene Gefangenschaft in dieser unserer Welt anzeigt. Kritische Theorie muss sich aus den an eine Riesenkrake erinnernden Armen ihres Objekts, das sie analysiert und zu dem sie gehört, hinreichend relativ befreien. Sonst wird sie selbst in das Dunkel der Tiefe74 gezogen. Nicht zufällig gehört die Krake75 zu den Monstern der phantastischen Erzählungen der Menschheit, gerade im Meer, das einerseits die Weite (des Abenteuers [philosophischer: des Wagnis76] des Lebens) symbolisiert, aber auch die gefährliche dunkle Abgründigkeit77 genau dieses Abenteuers zum emotionalen Ausdruck bringt. Und auch die Leserschaft muss, im analogen, soziolinguistisch verstehbaren Käfig gefangen, »ihren (allerdings doppelten) Preis zahlen«, doppelt, weil die Abhandlung erstens zum Lesen zu beschaffen ist und zweitens im Modus des Lesens sodann verstehend zu verarbeiten ist. Wir müssen die kulturelle Grammatik der sozialen Formen des Miteinanders verstehen, wozu wir eben auch in die Tiefe des Hades78 der psychischen Strukturen absteigen müssen.
Es mussten also Umwege gegangen werden, um an das Ziel zu kommen. Es geht nicht um ein oberflächliches Verständnis von Governance der Sozialpolitik. Es geht nicht um die direkte und unmittelbare Hinwendung zur vielfach diskutierten politikwissenschaftlichen Sicht auf die Steuerung im Kontext vertikaler und horizontaler Politikverflechtung, um soziologische Fragen der Netzwerkbildung79, um juristische Debatten über das (auch europarechtlich brisante) Prinzip der Subsidiarität80 im Föderalismus, über das Prinzip der Konnexität81 im Finanzföderalismus usw. All das wird aufzugreifen sein. Aber diese Themendimensionen werden kohärent einzubetten sein in einen anthropologisch fundierten Zugriff auf die große Herausforderung, vor der unsere Gesellschaft politisch in Verantwortung steht. Verantwortung meint: Auf die offenen Fragen (vor allem im Modus des Hilferufes) angemessene Antworten geben.
Die Tiefengrammatik des Feldes wird dort deutlich, wo wir in psychodynamische Analysen eintauchen, und auch dort, wo überaus deutlich ausgesprochen werden muss, dass es um hegemoniale Kämpfe82 in der ideologischen Landschaft der (gesellschaftsbezogenen, nicht nur wirtschaftspolitischen) Ordnungspolitik geht.
Die Abyssus-Bezüge sind hier im Sinne der philosophischen Anthropologie zu verstehen. Wir wollen hier nicht mit der Angststörung der – in der Filmgeschichte, aber auch allgemeiner in der Kulturgeschichte83 präsente – Arachnophobie theoriestrategisch spielen. Vielleicht sind wir Menschen für den Beutefang des weltweiten Turbo-Kapitalismus mit seinen Netzwerken nur Insekten. Schließlich ist es in der Warenökonomie ebenso, dass wir – im Prozess der Wertschöpfung – verwertet werden. Wer das Spiel nicht mitmacht, wird frühzeitig (»freigesetzt« nennt man es in der Arbeitsmarkttheorie) abgeschrieben. Freisetzung wurde 1994 zum »Unwort des Jahres« erklärt, da es als Beispiel für »sprachliche Demütigung« galt. Dann ist, wie soziolinguistische Studien der Ethnographie der Hartz IV-Praxis zeigen konnten, der Mensch nicht mehr »Kunde« der Arbeitsagenturen, sondern »Klientel« der Jobcenter. Schaut man sich angesichts der lateinischen Sprachwurzel die soziale Wirklichkeit des Phänomens in der Antike an, so wird die vor-feudale Struktur deutlich: Menschen in wirtschaftlicher Not und mit fehlender rechtlicher Souveränität werden Schutzbefohlene der Treueleistungen gegenüber dem Patronagesystem, das sie in klientilistischer Abhängigkeit quasi-familialistischer Art einbettet. Es ist wohl offensichtlich, dass die Begriffe Wert und Freiheit hier vom System in den Wahrheitsspielen eigenwillig ausgelegt werden. Menschen als Insekten metaphorisch zu verstehen, ist in der Geschichte der Kulturkritik (im Diskurskontext der Vermassung in der Großstadt als Moloch84) eine verbreitete diagnostische Strategie.85 »Ameisengesellschaften«86 (oder gar der Ameisenstaat) sind eine Faszinationsgeschichte, als sei hier die natürliche87 Vorgeschichte gesellschaftlicher Kohäsion zu studieren. In der Kulturkritik der Moderne im Prisma der »konservativen Revolution« galt hier der Masse die Kritik im Modus des Ekels. Die Masse war ungeheuerlich; Ungeheuer dienten daher der Beschreibung der Massen.88 Antidemokratisches Denken gegenüber der Masse generierte dann wirklich die Masse des Faschismus89. Nur eine (letztendlich bildungsinfrastrukturpolitische, auf befreiende Befähigung abstellende) Kritik der Masse im Dienste der Demokratie – also das Pochen auf soziale Chancen zur Personalisierung90 der einzelnen Menschen – ist legitim.
Kritische Theorie muss daran gemessen werden.91 Nur dann, denn sonst kippt92 Kritik selbst um in Hass auf die dummen Massen, kann (darf) über das Monsterhafte93 des Kapitalismus94 debattiert werden. Wir müssen unsere Emotionen als Leidenschaften der kritischen Haltung in der engagierten Wissenschaft selbst wiederum psychoanalytisch gekonnt kontrollieren. Diese Auffassung engagierter Wissenschaft setzt sich von der gängigen cartesianischen Subjekt-Objekt-Spaltung ab: Wissenschaftssubjekte sind Teil des Objektzusammenhangs. Das liefert sie nicht in Blindheit aus. Diese Einbettung kann methodisch (auf einer Metaebene) kontrolliert werden. Und sie muss reflektiert werden: eine Frage achtsamer Haltung im Selbstmanagement. Diese Haltung mag nicht Mainstream sein, ist aber elaboriert, sei es in der neueren französischen Phänomenologie, vorher schon bei Paul Ricoeur, sei es schon bei Hans-Georg Gadamer, der Hermeneutik nur im Kontext von Geschichte als vorgängiger Sinn – und somit auch Traditionszusammenhang – verstehbar sieht. Kritische Wissenschaft ist, epistemisch, letztendlich95: ontologisch gesehen, als Kunst des Verstehens eingebettet in ihre Landschaft, aus der heraus sie wirkt, wie einst die Musen96 des Altertums.
Der Berg97 ist eine polyvalente Metapher in der Deutung des Lebens. In der tiefenpsychologischen Forschung und in der psychotherapeutischen Praxis steht er als Entwicklungsherausforderung, an der das Selbst und die Selbstbehauptung – ganz in einem (hier sozial- und kulturwissenschaftlichen98) Sinne der Metamorphosen von Ovid99 – wachsen können.100 In der Managementdiskussion transformiert sich derartige Einsicht nicht selten zum maskulinen Wahn. Leistungsideologien schreiben sich hier ein, auch ein narzisstischer Omnipotenzwahn, dort wo aus dem Motto, der Glaube versetze Berge, der Wahn entsteht, männliche Helden können alles. Es ist mit dem Fundamentalaffekt der Erfahrung von Angst verbunden, die hier durchaus numinos sein kann. Als »absolute Metapher« im Sinne von Hans Blumenberg mag der Berg101 Inbegriff des »Absolutismus der Wirklichkeit«102 sein. Aus religionswissenschaftlicher Sicht geht es bei heiligen Bergen um den Berührungspunkt zum Göttlichen zwischen Himmel und Erde.