Читать книгу Kommunale Pflegepolitik - Frank Schulz-Nieswandt - Страница 15

Zwischenfazit

Оглавление

So gesehen, wir fassen zusammen, sollte die Gemeinde als Genossenschaft gedacht werden. Achtsame244 Nachbarschaft (weit über die Grenzen von Familie und Verwandtschaft hinausgehend als philia): Die Ordnung des Gemeindelebens muss wieder als (nicht im Sinne der Rechtsform des Genossenschaftsgesetzes, dem GenG) genossenschaftsartiges Sozialgebilde verstanden und erlernt werden. Auch einzelwirtschaftliche Gebilde der eG oder aber auch z. B. Seniorengenossenschaft in der Form eines eingeschriebenen gemeinnützigen Vereins (e. V.) können hier eine Rolle spielen. Insgesamt geht es aber um die kulturelle Grammatik des sozialen Miteinanders: Um Geben und Nehmen, also um die Gegenseitigkeitshilfe. Gemeint ist eine effektive Praxis der selbstorganisierten Selbsthilfe in Selbstverwaltung als Moralökonomik der Bedarfsdeckung. Auch hier bleibt im grundierenden Hintergrund die Notwendigkeit professioneller sozialer Infrastruktur im sozialen Rechtsstaat als föderaler Gewährleistungsstaat bestehen und betont.

Die Idee der sorgenden Gemeinschaften wird im Sozialrecht, aber auch von Bund, Länder und Kommunen, wenn man z. B. an die Engagementpolitik denkt (oder an die Mehrgenerationenhäuser als Typen von Begegnungs- und Dienstleistungszentren) zunehmend gefördert. Letztendlich dreht es sich um die Freiheit des Menschen mit Blick auf sein gelingendes Dasein als Führung des Lebenslaufes. Doch dies kann er immer nur im Knotenpunkt der Kreise seiner sozialen Beziehungen. In diese bleibt die Möglichkeit seiner Freiheit eingebettet. Autonomie ist in dieser Kontextabhängigkeit daher relativ und relational. Genau hieran knüpfen die Idee und die zunehmende Praxis der Sozialraumorientierung der Sozialpolitik vom personalistischen Standpunkt aus an.

Daher muss Freiheit geordnet werden. Freiheit benötigt Ermöglichungsräume. Aber diese müssen von der Gesellschaftspolitik gestaltet werden. Das verweist uns auf die Aufgabe, dass das Zusammenspiel von primärer Vergemeinschaftung (in Familie, Partnerschaft und Freundschaft), Staat, Markt und Dritter Sektor (der Non-for-Profit-Organisationen) passungsfähig zum sozialen Wandel gelingt.

Im Schnittbereich dieses passungsfähigen Gefüges steht der lokale Verdichtungsraum der Caring Communties (die soziale Einbettung und Unterstützung genossenschaftsartiger Netzwerke als Sozialraum der Person). Das kann man modern durchaus auch »Heimat« nennen: Denn aus der Entwicklungspsychologie, aus der Bindungsforschung etc. wissen wir sehr wohl, dass Individualisierung einer Einbettung in zwischenmenschliche Geborgenheit bedarf. Sonst scheitert der Mensch im Dasein seines Lebenslaufes.245

Personalität (P) bezieht sich auf das Gelingen des Daseins als ein »gutes Leben« (gL). Die Idee ist als zwei-dimensionaler Vektorraum von Autonomie (A) und Partizipation (P) zu verstehen:


Doch im Verlauf des von Endlichkeit geprägten Lebenszyklus bis in die Hochaltrigkeit hinein kommt ebenso die Sorgeabhängigkeit als Funktion der existenziellen Vulnerabilität (V) menschlicher Kreatürlichkeit246 (nicht nur in dem Vulnerabilitätsverständnis247 der theologischen Anthropologie) zum Ausdruck.


Dies gehört zum notwendigen Realismus in Bezug auf die normativ-rechtlichen Vorgaben der Werte der Selbstständigkeit und Selbstbestimmung sowie der Teilhabe.

Zu betonen sind daher 1.) Die Relativität der Autonomie (der Mensch ist nicht in absoluter Unbedingtheit248 frei), 2.) die Kontextualität der Autonomie (der Mensch steht immer in Wechselwirkung zu seinen Umwelten, in die er gestellt ist) sowie 3.) die Relationalität der Autonomie (der Mensch lebt als Individualität immer eingelassen in soziale Beziehungen). Diese Einbettung von Autonomie, somit die Wechselwirkung beider Pole des Existenzgeschehens (Person und Welt), wird in Abbildung 3 ( Abb. 3) aufgegriffen und zum Ausdruck gebracht: Das Person-sein ist sodann die gelungene Mitte zwischen Selbst und Welt, zwischen Eigensinn und Gemeinsinn.


Abb. 3: Person-Sein zwischen Selbstbezug und Weltbezug, eigene Darstellung

Definieren wir nochmals wichtige Bausteine dieses Denkens einer Landschaft gelingender Daseinsführung im sozialen Miteinander:

Personalität: Person-Sein meint die reife Form des dialogischen und somit gemeinschaftsfähigen Individuums. Es kann Ich sagen, aber sich auch als Mich in der sozialen Welt des Wir und des Uns angesichts des Du verstehen (vgl. oben das »IMWUD«-Morphem). Er ist nur wirklich ein Selbst im Modus des gelingenden sozialen Miteinanders; er ist Knotenpunkt seiner sozialen Beziehungen. Die Anthropologie der Personalität meint jenseits von Individualismus und Kollektivismus eine dritte (ontologisch »wahre«) Form der Wesensentfaltung des Menschen im Modus von Autonomie und Partizipation. Sie drückt den rechtsphilosophischen Kern der Idee der Inklusion aus, die wiederum im Kontext der Sozialraumentfaltung auf die Notwendigkeit von Caring Communities angesichts der Vulnerabilität der menschlichen Kreatur verweist. Telos der ganzen Geschichte ist diese Personalisierung des Menschen und somit die konkrete Freundschaft und Nächstenliebe (Altruismus und Gabe auf der Grundlage von Empathie) als die Logik des gelingenden sozialen Miteinanders.

Wenn man den theologischen Schnickschnack weglässt, so hat Josef Goldbrunner den Kern des Themas voll getroffen, wenn er argumentiert, man müsse die Differenz von Persönlichkeit und Person betonen: Persönlichkeit ist ein Begriff der Psychologie: »Person jedoch ist ein ontologischer, seinsmäßiger Begriff«249. Zum roten Faden gehört auch das Bemühen, Strukturalismus250, Psychoanalyse251 und phänomenologische Welterschließung kohärent zusammen zu denken. Redundanz in den zahlreichen Schriften? Eher nicht. Henri Bergson hat bemerkt, jeder, der wahrhaft wissenschaftlich arbeite, verfolge in seinem ganzen Leben einen einzigen Gedanken, den er sodann stets erneut zu formulieren versuche252, zu ergreifen, was immer ein Stück flüchtig bleibe.

Personalität (P*) bezeichnet, das Ganze formaler darlegend, keinen mittleren Wert auf einer Kollektivismus-Individualismus-Skala, die einen Trade-off-Zusammenhang aufweist:


abbildet als


Kollektivismus K (Gemeinschaft) wäre ein traditionalistischer Raum der Bindungen. Individualismus I (Gesellschaft) wäre ein moderner Raum der Möglichkeiten. Personalität liegt als Phänomen außerhalb einer Trade-off-Linie als geometrischer Ort aller Kombinationen von Merkmalsausprägungen von Kollektivität und Individualität. Personalität (P*) ist nicht der Mittelwert von K und I:


P* repräsentiert dagegen eine gelingende Daseinssituation, in der das reife, da personalisierte Individuum kulturell eingebettet ist in Kontexte des sozialen Miteinanders.

Das empirisch »richtigkeitswahre« Leben ist nicht unbedingt das »seinswahre« Leben, das in (nicht vulgärer253) hylemorpher254 Absicht danach strebt, in empirischen Formbefunden zutreffend diagnostiziert zu werden.

Kommunale Pflegepolitik

Подняться наверх