Читать книгу Kommunale Pflegepolitik - Frank Schulz-Nieswandt - Страница 14
Einung
ОглавлениеEinung236 meint in der (mittelalterlichen)237 Rechtssprache eine auf einem Eid (rituell: Schwur) gegründete vertragliche Übereinkunft (conjuratio). Auch die durch die (vertragliche) Übereinkunft begründete Gemeinschaft wird Einung genannt, so beispielsweise die städtischen Schwurgemeinschaften von Bürgern oder die Zusammenschlüsse der Handwerker und Kaufleute in Zünften und Gilden. Schließlich meint die durch die eidliche Übereinkunft entstandene Rechtssatzung Einung. Die Rechtsform der Einung umfasst also sowohl Bereiche des subjektiven Rechts in Form der individuellen Selbstbindung durch den Eid und Schwur, als auch Bereiche des objektiven Rechts als Rechtsetzung zur sozialen Regulation des Miteinanders der Rollen im kulturellen Gefüge der sozialen Form als Gebilde.
Mit dem Denken des dialogischen Personalismus von Martin Buber238 und der israelischen Kibbutz-Bewegung wird evident, welche kulturgeschichtliche Bedeutung der jüdische Genossenschaftssozialismus, auch hier mit bereits alttestamentlichen Wurzeln, die der Kritik des Sakralkönigtums239 in Erinnerung an die Selbstverwaltung örtlicher Siedlungsgemeinschaften zu entnehmen ist, hat. Andere Zweige der Forschung führen uns z. B. in die moderne Ethnologie Afrikas, wo die Genese sozialversicherungsartiger Gegenseitigkeitshilfen aus den Kultpraktiken heraus rekonstruiert werden konnte. Man mag darüber streiten, ob diese Ubiquität der Genossenschaft jeweils angemessen verstanden wird im Rahmen240 strukturalistischer oder historischer Anthropologie, einer Kulturgeschichte oder der evolutionsbiologischen Ethologie der Gene und Meme kooperativen Verhaltens und entsprechender altruistischer Fundierungen als Stufen moralischen Urteilens241 auf Grundlage entsprechender Stufen kognitiver Fähigkeiten. Das darf hier nur kurz angemerkt und ansonsten dahingestellt bleiben.
Denkt man die Idee der Genossenschaftsartigkeit, dann gilt: Subsidiarität ist daher nicht einfach Vorrang der individuellen Selbstsorge vor der Sorgeverantwortung der Gesellschaft für das Individuum. Es gibt nur die Miteinanderverantwortung als eine Füreinandersorge.242 Dieses personalistische Menschenbild sollte die Reform der Sozialraum-orientierten Wohn-, Gesundheits- und Pflegepolitik prägen.
Der Verkettung der Menschen in der Sorgegemeinschaft einer Miteinanderverantwortung muss jedoch demnach eine konkrete Gestalt gegeben werden durch eine angemessene kulturelle Einbettung. Die Verkettung muss auf einem neuen Vertrag der Gesellschaftsmitglieder basieren, ein Vertrag, der jedoch nicht- bzw. vor-vertragliche Voraussetzungen hat. Diese vor-vertraglichen Grundlagen des Vertrages ist der (ohne Empathie kaum mögliche243) kollektiv geteilte Glauben an die Würde der menschlichen Person. Dieser Glaube kommt zum Ausdruck im Recht auf selbstständige Selbstbestimmung im Modus der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, wobei die Teilhabe eben nicht nur ein Nehmen, sondern immer auch, sofern möglich, ein Geben ist.