Читать книгу Kommunale Pflegepolitik - Frank Schulz-Nieswandt - Страница 18
2.1 Das Dasein des Menschen im Mythos
ОглавлениеDavon träumen die Menschen. Immer schon hat der Mythos38 die Menschen dabei begleitet, ihr Dasein zu verstehen.39 Was ist die Existenz des Menschen? Was charakterisiert diese Existenz? Und schon sind wir angesichts des Wesens der Götter an der Tatsache der Endlichkeit angelangt. Unbegreiflich. Kaum oder nur sehr schwer zu akzeptieren. Aber auch der Weg zum Tod hin ist ein Thema im Mythos. Die Rede ist vom Leid und dem Leiden. Von der fehlenden Gerechtigkeit in der Geschichte.40 Wir können das Gute, das Wahre, das Schöne hervorbringen.41 Und dennoch versagen wir immer wieder. Und tragen wegen der Verantwortung für unsere Geschichte Schuld.42 Wir sind eben nicht die Götter, sagt der klassische Mythos. Wir mögen mitunter gottähnlich sein. Davon handelt das »analogia entis«-Theologem. Das Leben der Menschen als Geschichte ist eine große Erzählung von diesem Drama des Daseins. Es fällt schwer, Sinn zu erkennen in diesem Drama. Es erfordert Mut, dieses Wagnis43 anzunehmen, denn das Risiko des Scheiterns – José Ortega Y Gasset spricht vom »Schiffbruch des Lebens«44 – ist groß, aber es ist die einzige Art, ein freies Wesen zu sein: die Rolle anzunehmen und zu spielen. Denn die Fehler, die der Mensch macht, sind die Kehrseite seiner Freiheit, Entscheidungen zu treffen. Aber im Sinne von Morphomata45: Ohne Mut zur Gestaltwerdung, zum Wachstum der menschlichen Persönlichkeit im Modus des gelingenden sozialen Miteinanders versagen wir bereits aufgrund der Flucht aus Angst vor dieser Freiheit heraus.
Diese analytische Perspektive hat lange Zeit die Kritische Theorie vertreten. Sie ist heute in Nischen der Sozialphilosophie als Propädeutik der Sozialwissenschaft zu finden, aber sicherlich nicht mehr in Diskurs-bestimmender Position. Nach 1945 fanden sich ähnliche Haltungen in der sozialkonservativen Theologie, deren Metaphysik des sozialen Miteinanders46 auf hohem Niveau angesiedelt war, aber doch nur wage Schnittstellen zur Gesellschaftsgestaltungspolitik aufwiesen. Dennoch ist – wenn man diese Positionen zugunsten einer Gott-losen Theologie oder einer atheistischen Theologie wendet – hier tiefe Einsicht verborgen, etwa dort und dann, wenn man Karlfried Graf Dürckheim liest, der das wahre Leben als LEBEN groß schrieb, während für die Empirie das klein geschriebene Leben reicht. Oder auch dort, wo Friedrich Heer das »reichere« Leben beschwor und zum »Sprung über den Schatten« aufrief. Immer ist auch Romano Guardini anzuführen. Oder (im Kontext »Kreisauer Kreis«47) auch Alfred Delp48 und sein »personalistischer Sozialismus«49. Eine größere Nähe zur Sozialreform weisen andere Denker auf, die an anderer Stelle zur Sprache kamen.50
Doch genau hier liegt auch das Problem. Die Bücher der sozialkonservativen Sozialkritik der Theologie sind immer nur zur Hälfte zu verdauen, so z. B. die Phänomenologie des Todes, seines Wesens und seiner Erfahrbarkeit bei Johannes B. Lotz51 oder Phänomenologie der Erfahrung der Einsamkeit52. Das sind wichtige Beiträge, um in die Daseinsproblematik und Existenzangst des leidenden Menschen einzudringen. Aber dann folgt die in keiner Weise begründete Behauptung, Mitmenschlichkeit und Gemeinschaft und somit Liebe im sozialen Miteinander reiche nicht aus, um alle diese Angst und Sorgen zu bewältigen: Ohne die Verborgenheit in Gott ginge es nicht. Selbst Rilkes »Deutung des Daseins« wird dann in einem schleichenden Umkippeffekt von Bewunderung zur Wertminderung bemitleidet53. Doch die moderne entwicklungspsychologische Forschung – die Bindungsforschung, die Neurosenlehre und die Existenzialphilosophie54 u. v. a. m. – zeigt uns auf, das genau hier die Abhilfe zu suchen und zu finden ist: in modernen Sorgestrukturen in der Lebenswelt der Gemeindeordnung, vor dem Hintergrund moderner sozialer Infrastrukturen, technischer Hilfesysteme und Mobilitätschancen. Der Mensch muss seine Persönlichkeit im Lebensverlauf entfalten können, wozu er auch in der Modernität unserer Gesellschaft Formen der gemeinschaftlichen Vergesellschaftung, wobei die Begriffsdiskurse als verwilderter Garten erscheint55, braucht. Jedenfalls bekommt man das Problem nicht in den Griff, wenn in einer kruden Auslegung der Soziologie von Ferdinand Tönnies56 das Begriffspaar57 Gemeinschaft (G1) und Gesellschaft (G2) dualistisch und zugleich in einer historischen Sequenz als Substitution (G1 in to wird von G2 in t1 abgelöst, also ersetzt) desorientierend zur Wirkung gebracht wird.58
Mit den Aufgaben wächst man. Doch stetig linear59 – selbst ein Wahn der Modernisierungsideologie des Fortschritts60, der das Leben als Maschinenraum61 codiert – ist dieser Weg nicht. Die Zivilisationsgeschichte der Kultur der Menschen ist anders – brüchiger, voller Abgründigkeiten – zu erzählen. Krieg und Elend, Zerstörung der äußeren Landschaften und mit ihnen auch der inneren Landschaften der Seele62 der Menschen63, das daran sich knüpfende Erkranken des Geistes. Lotz hatte mit bedeutsamen Büchern auch zu den Themenkomplexen »Ich, Du, Wir« und »Eros, Philia, Agape« beigetragen.
Doch auch hier ist die scharfe Kritik in der Frage geformt, warum personalistische Anthropologie des Dialoges und der Begegnung sowie der liebenden Öffnung des Menschen zur Welt immer im Theismus enden muss.64