Читать книгу Kommunale Pflegepolitik - Frank Schulz-Nieswandt - Страница 7
Vorwort
ОглавлениеDas vorliegende Buch hatte mehrere konzeptionelle Phasen in den Jahren 2016 bis 2018/19 durchlaufen. Erst im fortgeschrittenen Jahr 2019 begann, Erträge zahlreicher anderer eigener Publikationen inhaltlich einfließen lassend, die Niederschrift, was aber so klingt, als ob ein fixiertes, »in Stein gemeißeltes« Konzept einfach nur abgearbeitet und ausgerollt worden sei. Weit gefehlt. Das Manuskript wurde vielfach umgebaut. Es wies eine komplizierte Wachstumsgeschichte des Werdens auf. In einigen Konturen hat sich auch das ursprünglich (mit dem Verlag vereinbarte und von uns für uns selbst fest versprochene und daher) anvisierte Konzept nicht einlösen lassen können. In vielen Punkten allerdings schon. Der Fokus auf die Idee der Kommunalisierung der Pflegepolitik ist natürlich beibehalten worden, sonst würde ja sogar der Titel nicht mehr stimmen. Einige Punkte dieser Schreibdynamik sollen kurz zur Sprache kommen.
Mag die Literaturbasis eventuell als Strategie der sozialen Ausgrenzung wirken; die Wahrnehmung Dritter können wir nicht wirklich lenken. Der Bezugsquellenfetischismus ist aber u. E. wohl eher Ausdruck der Demokratisierung der Wahrheitsspiele und Wissensordnungen: Quellen werden klar, Wege rekonstruierbar, Fehler aufweisbar, Schwachstellen erkennbar, aber eben auch Evidenz1 wird untermauert.
Man kann das Buch auch als schlecht geschrieben einschätzen. Denn es hat sich von der frühen Idee einer schlanken Struktur in flüssigem Duktus aufgebläht und zeichnet sich trotz der roten Fäden durch eine Fülle von Verzweigungen und Verästelungen aus. Diese mögen mitunter ablenken, die leitenden Fäden in Nebel tauchen und mit Blick auf den Gang der Untersuchung desorientieren. Und in einem gewissen Sinne ist das Manuskript zu einem Steinbruch von Theorien, Befunden, Diskursen, Sichtweisen, Erörterungen, Kritiken geworden. Diese Verästelungssysteme haben angesichts dieser begrifflichen Assoziation nicht die Ordnung eines Baumes, sie erinnern eher an die Rhizomatik: Die von Gilles Deleuze und Félix Guattari praktizierte metaphorische Verwendung des aus der Botanik stammenden Begriffs des Rhizoms charakterisiert eine Schreibweise, die Hierarchien ablehnt, also nicht entsprechend der traditionellen Form des »Baums des Wissens« konzipiert ist.2 Der Textkorpus mag mit Blick auf seine Geometrie daher etwas fraktal wirken. Vielleicht kann man auch sagen: Die Vielfalt der Gedanken und Aspekte schwärmen3 (in relative Strukturlosigkeit der Landschaft) aus.
Auch das Versprechen, einen politischen Duktus aufzuweisen, dürfte somit im Buch erfüllt sein: Wir nehmen kein Blatt vor den Mund, werden in der Tradition Kritischer Theorie als Kritik des Sich-Einfangenlassens im »Spinnennetz des Kapitalismus« – ein Spinnennetz ist eine von Webspinnen, insbesondere auch von den Arten der Gliederspinnen hergestellte, geradezu kunstvolle Konstruktion, die dem Beutefang (von Insekten) dient – überaus deutlich, bis hin zum Angriff auf die Mutlosigkeit, Phantasielosigkeit, Denkverweigerung, Wahrnehmungsverengung und Interessensborniertheit in Politik und Sozialwirtschaft. Es fehlt an radikalem Denken. Die Abhandlung plädiert für das Engagement im orientierenden4 Lichte von konkreten Utopien. Die interdisziplinäre Abhandlung, keineswegs eine Chimäre5, ist eine sozialpolitische Analyse, eingebettet in eine in der Optik weite, gesellschaftspolitische Sichtung der Problemlandschaften, eine öffnende Sichtweise, die ohne philosophische Fundierung6 nicht möglich ist. Vor allem der durchgängige Blick auf die reichen Potenziale unserer Rechtsregime konfrontiert das Elend der sozialen Wirklichkeit mit den Maßstäben, an die sich die Gesellschaft eigentlich zu orientieren hätte. Die Gesellschaft bleibt sich so viel schuldig, sie wird schuldig angesichts von Unterlassungen und Versäumnissen. An Wissen fehlt es nicht. Wir haben ein Handlungsproblem, das sich als Haltungsproblem fehlenden Willens erweist. Neben mancher Dummheit mag die Arroganz der Macht7 die Wege in die Zukunft blockieren; ausgeprägt ist aber auch der Zynismus schulterzuckender zuschauender Weggucker.
Wenn eine Abhandlung – scheinbar überheblich – so kritisch auftritt, hat sie die Pflicht zur gründlichen Darlegung und Entfaltung ihres Argumentierens. Leichte Kost ist die Lektüre deshalb nicht geworden. Immer wieder werden zentrale Überlegungen vertieft, Seitenwege betreten, Hintergründe ausgeleuchtet, Abgründe vermessen, die Zusammenhänge vielfach aus wechselnden Perspektiven thematisiert. Abbiegungen, Treppen rauf und wieder runter, Kehrtwende, wiederholendes Aufgreifen bereits angesprochener Zusammenhänge, die dergestalt aber vertieft oder nochmals neu akzentuiert ausgeleuchtet werden: Die Ausführungen sind verwickelter Natur.
Manche wissenschaftliche Passagen mögen als allzu akademisch abgetan werden, weil das Interesse an dieser analytischen Tiefe fehlt. Einerseits. Dafür mögen andererseits viele Passagen ausgleichend wirken, die zudem in ihrer Zuspitzung (des »Auf-den-Punkt-Bringens«) politisch provozierend sind. Um zwar nicht Allen, aber doch Vielen etwas gerecht zu werden, sind manche Einschübe, Vertiefungen, Verzweigungen kenntlich gemacht und herausgehoben, weil sie explizit als Exkurse formuliert oder jeweils in einen »Kasten« gesetzt, mit Schaubildern erläutert sind.
Auf einen überaus reichhaltigen Literaturapparat haben wir also entgegen früher Überlegungen und Absichten doch nicht verzichtet. Man nehme es als Service oder, viel wichtiger, als transparente Darlegung der Quellen unseres Argumentierens, denn die Abhandlung baut auf das Denken und Schaffen vieler Mitmenschen auf. Mag so manche Verknüpfung oder auch Auslegung eine Eigenleistung der vorliegenden Abhandlung sein; sie verdankt sich8 weitgehend Dritten in einem Gebirge angehäuften Wissens.
Aachen/Bonn/Köln, Herbst 2020