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3. Widerrufsgründe nach § 49 Abs. 2 VwVfG

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Nach § 49 Abs. 2 Nr 1 ist ein Widerruf zulässig, wenn er durch Rechtsvorschrift zugelassen oder im VA vorbehalten ist. Gesetze, die einen Widerruf erlauben, gibt es außerordentlich häufig:

Beispiel:

§ 12 Abs. 2 S. 2 BImSchG: Die Genehmigung „kann mit einem Vorbehalt des Widerrufs erteilt werden, wenn die genehmigungsbedürftige Anlage lediglich Erprobungszwecken dienen soll.“

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Für den im VA vorbehaltenen Widerruf ist entscheidend, ob die Beifügung des Widerrufsvorbehalts rechtmäßig ist. Das ist insbes. dann nicht der Fall, wenn ein Gesetz die Widerrufsgründe abschließend aufführt oder wenn ein Rechtsanspruch auf den VA ohne Widerrufsvorbehalt bestand[88]. Im Übrigen ist ein Widerrufsvorbehalt als Nebenbestimmung zu einem VA nur unter den in § 36 normierten Anforderungen zulässig (s.o. Rn 429). Insbes. darf ein Widerrufsvorbehalt nicht gleichsam „automatisch“ einem VA hinzugefügt werden, da dies den Vertrauensschutz aushöhlen würde[89]. Enthält der Widerrufsvorbehalt besondere Gründe, so müssen diese erfüllt sein. Wenn solche Gründe im Einzelfall fehlen, müssen besondere Gründe des öffentlichen Interesses vorliegen, die den Widerruf erfordern. In der Begründung des Widerrufsbescheids muss die Behörde diese Gründe darlegen.

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§ 49 Abs. 2 Nr 2 erlaubt den Widerruf, wenn mit dem VA eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat. Mit „Auflage“ ist die Nebenbestimmung iSd § 36 Abs. 2 Nr 4 gemeint (s.o. Rn 422). Inhaltliche Beschränkungen des VA fallen nicht unter Nr 2. Ein Verschulden für die Nichterfüllung der Auflage fordert das Gesetz nicht[90]. Bedeutsam ist allein das öffentliche Interesse an der Durchsetzung des mit der Auflage verbundenen Zwecks. Für die Ausübung des Widerrufs verlangt das Gesetz nicht, dass zur Erfüllung der Auflage eine erneute Frist gesetzt und der Widerruf angedroht wird. Die Frist ergibt sich normalerweise aus dem VA oder der Auflage selbst. Liegt eine Ausnahme vor, muss eine Frist gesetzt werden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann erfordern, dass vor dem Widerruf die Vollstreckung der Auflage versucht werden muss. Das Übermaßverbot steht einem Widerruf ferner entgegen, wenn eine unwesentliche Auflage unerfüllt geblieben ist.

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Nach § 49 Abs. 2 Nr 3 ist der Widerruf zulässig, wenn die Behörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt war, den VA nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde. Die nachträglich eingetretenen Tatsachen müssen Veränderungen in den sachlichen Voraussetzungen des VA ergeben; ein nachträgliches Bekanntwerden unverändert gebliebener Umstände genügt für den Widerruf nicht. Entscheidend ist, dass die nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen, wären sie bei Erlass des VA bekannt gewesen, die Behörde berechtigt hätten, den VA nicht zu erlassen. Dabei müssen die neuen Tatsachen eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überwinden: In technischen Fragen genügt daher nicht der Hinweis auf eine Einzelmeinung, die sich bislang noch nicht durchgesetzt hat[91]. „Berechtigt“ ist eine weite Formulierung; sie erfasst auch Tatsachen, die für Zweckmäßigkeitserwägungen bedeutsam gewesen wären. Ein Widerruf nach Nr 3 (und nach Nr 4) entfällt freilich, wenn die Bindungswirkung des VA darauf abzielt, vor nachträglichen Änderungen der Sach- und Rechtslage zu schützen.

Beispiel:

Die Baugenehmigung erlaubt, ein ihr entsprechendes Haus zu nutzen; eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage führt nicht dazu, dass dieses Nutzungsrecht entfällt.

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Eine Gefährdung des öffentlichen Interesses liegt vor, wenn der Bestand des VA das öffentliche Interesse konkret gefährdet[92]. Die Gefährdung öffentlicher Interessen und die Änderung der Tatsachen müssen in einem Zusammenhang stehen. Die Behörde darf nur das öffentliche Interesse berücksichtigen, dessen Wahrung zu ihrem Aufgabenbereich gehört. Diese Begrenzung ergibt sich daraus, dass die Befugnis der Behörde bei einem Widerruf nicht weitergehen kann als beim Erlass eines VA. Nicht entscheidend ist, ob der Begünstigte von dem VA schon Gebrauch gemacht hat. Hat er von dem VA schon Gebrauch gemacht, ist dieser Umstand bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen.

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Nach § 49 Abs. 2 Nr 4 ist der Widerruf erlaubt, wenn die Behörde auf Grund einer geänderten Rechtsvorschrift berechtigt wäre, den VA nicht zu erlassen, sobald der Begünstigte von der Vergünstigung noch keinen Gebrauch gemacht oder auf Grund des VA noch keine Leistungen empfangen hat und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde. Nr 4 erfasst die nachträgliche Änderung der Rechtslage im Gegensatz zu Nr 3, die die nachträgliche Änderung der Sachlage (Tatsachenlage) zum Gegenstand hat. Um keine Änderung der Rechtslage handelt es sich, wenn sich lediglich die Rechtsprechung ändert[93]. Anders als bei Nr 3 muss hinzukommen, dass der Begünstigte von der Vergünstigung noch keinen Gebrauch gemacht oder auf Grund des VA noch keine Leistungen empfangen hat. Schließlich muss – ebenso wie bei Nr 3 – ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet sein (s.o. Rn 640).

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Nach § 49 Abs. 2 Nr 5 ist schließlich ein Widerruf des VA erlaubt, um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen. „Schwere Nachteile für das Gemeinwohl“ liegen vor, wenn besondere, erhebliche, überragende Interessen der Allgemeinheit den Widerruf des VA gebieten. Als Auffangtatbestand ist Nr 5 eng auszulegen[94]. Eine bloße Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses ist daher nicht ausreichend.

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