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2.2 Anforderungen an die Unternehmensbesteuerung aus Sicht der Betriebswirtschaftlichen Steuerlehre
ОглавлениеDie wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Besteuerung erfordert ein Rahmenkonzept, das aus intersubjektiv nachprüfbaren Kriterien besteht. In diesem Zusammenhang wird vielfach die Forderung nach Entscheidungsneutralität der Besteuerung erhoben.
Entscheidungsneutralität liegt dann vor, wenn die Steuererhebung – im Vergleich zum Nichtsteuerfall – zu keinerlei Verschiebungen innerhalb der vom Entscheidungsträger im Hinblick auf seine individuellen Zielsetzungen festgelegten Rangfolge der Handlungsalternativen führt. Damit werden Verzerrungen der gesamtwirtschaftlichen Ressourcenallokation vermieden (Allokationseffizienz). Auf einzelwirtschaftlicher Ebene führt Entscheidungsneutralität dazu, dass Entscheidungskalküle vereinfacht werden und sich die Planungs- und Befolgungskosten reduzieren. In der Realität existieren aber keine entscheidungsneutralen Steuersysteme. Ob die geforderte Eigenschaft in gewachsenen Systemen überhaupt erreicht werden kann, darf bezweifelt werden. Denkbare entscheidungsneutrale Systeme (z. B. Cash-Flow-Steuern) sind mit den anderen Kriterien nicht vereinbar. Deshalb erscheint es sinnvoller, Verzerrungen zu messen (positive Ausrichtung) und Second-Best-Überlegungen i. S. partieller Verbesserungen anzustellen. Die Reduktion negativer gesamtwirtschaftlicher Effekte kann daher als ein konsensfähiger Grundsatz angesehen werden.
Adam Smith hat mit seinen vier Steuermaximen1) maßgeblichen Einfluss auf die steuerwissenschaftliche Diskussion ausgeübt und sie über Jahrhunderte geprägt:
Gleichmäßigkeit („contribution in proportion to abilities, that is, in proportion to the revenue which they respectively enjoy under the protection of the state“), |
Bestimmtheit („ought to be certain and not arbitrary“), |
Bequemlichkeit („convenience of payment“), |
Billigkeit („take out of the pockets of the people as little as possible“). |
Die in der Folgezeit von der Finanzwissenschaft intensiv geführte Diskussion der Besteuerungsgrundsätze soll hier um eine betriebswirtschaftliche Perspektive mit Blick auf die Unternehmensbesteuerung ergänzt werden. Anknüpfend an bestehende Systematiken lassen sich sechs zentrale, aufeinander bezogene Anforderungen an ein Unternehmensbesteuerungssystem ableiten, die als Hexagon abgebildet werden:
ABB. 2.1: Besteuerungsgrundsätze Quelle: Eigene Darstellung.
Anknüpfend an die vorherigen Ausführungen wird in einem Reformprozess eines bestehenden Steuersystems nicht Entscheidungsneutralität gefordert. Die Reduktion negativer gesamtwirtschaftlicher Wirkungen i. S. partieller Verbesserungen gegenüber dem Status quo gilt deshalb als ein erster Eckpunkt. Von einem Steuersystem wird weiterhin eine systematische Stimmigkeit erwartet, mit konsistenten und kohärenten Strukturen innerhalb der Einzelsteuern und der Steuerartenverflechtungen. Auch wird eine Abstimmung mit dem Transfersystem und mit den Steueransprüchen ausländischer Fisci gefordert. Im Hinblick auf bestehende Unsicherheiten bei der Bewertung von Einkünften und Vermögen sollte das Steuersystem flexible Strukturen aufweisen. Denkbar sind beispielsweise Wertadjustierungen bei veränderten Informationen im Zeitverlauf oder bei sich verändernden gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Auch das Anknüpfen an bestehende Wertfindungsprozesse in anderen (Rechts-)Bereichen kann sinnvoll sein. Die tradierte Forderung nach Wohlfeilheit zielt auf niedrige Planungs-, Befolgungs- und Erhebungskosten und erfasst sowohl die einzelwirtschaftliche Perspektive der Steuerpflichtigen als auch die Verwaltung.
Transparenz und Fairness als Anforderungskriterium führen zu einem partizipativen Besteuerungsverfahren, in dem Steuerpflichtige die Vorgänge und Belastungsgründe verstehen und vorhersehen können. In Grenzen soll es auch möglich sein, mit dem Fiskus Arrangements zu treffen. Nachhaltigkeit im Steuersystem ist in einer ökonomischen Dimension i. S. v. Suffizienz zu verstehen. Nach der sog. Stiller-Teilhaber-These wird der Steueranspruch des Staates gedanklich auf eine Stufe mit der Teilhabe der Gesellschafter am Unternehmensergebnis gestellt. Der fehlenden Gewinnverwendungsmöglichkeit der Gesellschafter entspricht danach der Steuerverzicht des Staates. Die These hat eine moderierende Wirkung, die mit Blick auf beide Interessengruppen Extrempositionen entgegenwirkt („Man sitzt im selben Boot“). Georg Döllerer (1971) hat dies wie folgt formuliert:2)
„Der Gesellschafter kann von seiner Gesellschaft nicht mehr fordern als den realisierten Gewinn. Der Fiskus in seiner Eigenschaft als stiller – wenn auch gar nicht bescheidener – „Teilhaber“ kann ebenfalls nicht mehr verlangen. Er kann keinen Gewinn besteuern, der noch nicht verwirklicht ist; denn nur der Gewinn, nicht die Erwartung künftiger Gewinne unterliegt der Einkommensteuer.“
Die zentrale Aussage einer an der modernen Unternehmensrealität orientierten Teilhaberthese liegt in der Ausrichtung auf eine nachhaltige Erfolgsgröße, die dem Unternehmen zum Besteuerungszeitpunkt entzogen werden kann, ohne den Bestand zu gefährden. Es geht also nicht um eine Steuerverschonung des Unternehmens an sich, nicht um eine einseitige, interessensorientierte Sichtweise zugunsten von Unternehmen, sondern um eine gedankliche Verknüpfung der Interessen von Eignern und Fiskus an einem ökonomisch-sinnvollen Fortbestand der Einkommensquelle. Diese Sichtweise führt zu einer objektivierten Gewinn- und Überschussermittlung.
ABB. 2.2: Eigner und Staat als Anspruchsberechtigte Quelle: Eigene Darstellung.
Literatur König, R./Wosnitza, M., Betriebswirtschaftliche Steuerplanungs- und Steuerwirkungslehre, Heidelberg 2004, S. 139–144. Marx, F. J., Die Teilhaberthese als Leitbild zur Neukonzeption der steuerrechtlichen Gewinnermittlung, – Handels- und Steuerbilanz nach BilMoG mit Ausrichtung auf eine nachhaltige Teilhabe am Unternehmensergebnis, BB 2011, S. 1003–1006.