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Ein Königreich in einer Wohnung

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»Wie hieß noch gleich die Straße, die wir so schön fanden? Bei dem netten Café um die Ecke?« Ich schiebe Carsten die Jaffa-Keks-Packung hin, die wir uns als Trost in unserer Wohnungsmisere gegönnt haben.

Heute haben wir uns mit 53 Wohnungssuchenden durch eine Zwei-Zimmer-Baracke gekämpft und versucht, den Makler, den wir uns eh nicht leisten können, für uns einzunehmen und irgendwie positiv bei ihm in Erinnerung zu bleiben. Gar nicht so einfach, denn alles, was ich momentan als Job angeben kann, ist eine Aushilfstätigkeit am Empfang. Frustriert sitzen wir nun in unserem WG-Zimmer auf dem Fußboden herum.

»Du meinst die mit den alten Kastanien? Das ist die Ottersbekallee.«

Ich beschließe, dass wir dort fündig werden: »Lass uns doch versuchen, in dieser Straße eine Wohnung zu finden. Es gibt viele Leute, die Zettel an Laternen anbringen, dass sie eine Wohnung suchen. Lass uns doch auch so einen machen, einen richtig coolen. Und dann nur für die Ottersbekallee.«

Ich bin völlig überzeugt von meiner Idee und setze mich sofort an Carstens uralten PC, wo ich zwei schöne Bilder von uns in ein Word-Dokument einfüge und darunterschreibe: »Liebe Ottersbekallee, wir möchten Eure Nachbarn werden.« Plus Zahlen, Daten, Fakten usw.

Eine halbe Stunde später sind wir in der Ottersbekallee unterwegs und kleben unser Gesuch an die Laternenpfähle.

Und ein kleines Wunder geschieht. Schon nach kurzer Zeit bekommen wir tatsächlich ein Angebot.

»Haber hier. Guten Tag. Ich habe Ihre Nummer von dem Zettel in der Ottersbekallee. Ich spreche doch mit Frau Jebens, oder?«

»Ja? Können Sie uns helfen?«

»Na ja, ich bin aus einer sehr schönen Wohnung in der Ottersbekallee ausgezogen. Also, wenn Sie es genau wissen wollen: Es ist die Nummer 56. Die Wohnung mit dem größten Balkon in der ganzen Ottersbekallee. Und mein Vermieter hat noch keine neuen Mieter, soweit ich weiß. Also, vielleicht kontaktieren Sie ihn mal, wo Sie doch so gern in der Ottersbekallee wohnen wollen?!«

Ich jubiliere und kann mich gerade noch zurückhalten, nicht ins Telefon zu kreischen: »Her mit der Nummer!«

Carsten und ich tippeln aufgeregt von einem Fuß auf den anderen, als wir die Nummer von Herrn Holthusen, dem Besitzer, wählen.

»Mmmh, aha. Frau Haber. Ja. Sie hat mir schon Bescheid gesagt. Sie können die Wohnung natürlich gern besichtigen. Was sagten Sie, machen Sie beruflich? Ach so. Hm, hm. Aha. Soso. Na ja. Hat Frau Haber Ihnen schon gesagt, wie viel die Wohnung kostet? Nein. Na gut, also, das sind 950 Euro zuzüglich Nebenkosten. Aha. Trotzdem anschauen? Na gut. Okay. Dann kommen Sie am besten nächsten Dienstag vorbei …«

950 Euro plus Nebenkosten! Das können wir uns nicht leisten.

Aber die Ottersbekallee … der größte Balkon … Wir können sie uns ja zumindest mal anschauen, beschließen wir. Da Dienstag noch vier Tage hin ist, fahren wir gleich los, um unsere Neugier zu befriedigen.

Wir sehen den Balkon schon von Weitem. Er ist wirklich gigantisch und wird wunderschön eingerahmt von den Kastanien, die die Straße säumen.

Ein Maler ist gerade am Geländer zugange. Durch die Balkontür sehen wir weiße Wände und Stuck. Wir schlendern noch ein paarmal an der Wohnung vorbei und träumen uns in sie hinein.

Die Besichtigung findet in einem paradiesischen Paralleluniversum statt – die Wohnung ist so wunderschön, dass sie nicht von dieser Welt sein kann: dreieinhalb Meter Deckenhöhe, Echtholzparkett, Rosen, Blüten und kleine Engel im Stuck. Hier will ich wohnen. Für immer. 950 Euro plus Nebenkosten? Pfft. Egal. Das klappt schon.

Ich habe extra mein schickstes Kleid aus meinem Koffer gezogen und es auf dem Boden des WG-Zimmers gebügelt. Carsten hat sich sogar ein Oberhemd gekauft. Wir kommen uns ein bisschen vor wie ein Hochstaplerpaar aus einer amerikanischen Screwball-Komödie aus den Fifties. Sind wir wirklich schon so erwachsen, dass wir hier vielleicht wohnen dürfen, oder spielen wir das nur?

Als Herr Holthusen kurz telefoniert, flüstere ich Carsten zu: »Stell dir das doch nur mal vor. Wir in dieser Wohnung. Das wäre doch unglaublich, oder?«

»Oder total normal«, antwortet Carsten voller Zuversicht.

Zwei Tage nach unserer offiziellen Besichtigung im Dreamy-Wohnung-Wonderland klingelt mein Telefon.

»Carsten, Carsten. Das ist die Nummer von Herrn Holthusen«, schreie ich aus seinem WG-Zimmer in die Küche und denke: Der will uns bestimmt absagen.

»Jebens …«

»Guten Tag, Frau Jebens«, meldet sich Herr Holthusen freundlich. Mittlerweile steht Carsten neben mir und hält sein Ohr auch ans Telefon. »Sie haben sich bestimmt schon gefragt, wie meine Entscheidung ausgefallen ist, nicht wahr? Na ja, also ich muss sagen: Ich habe mich für Sie entschieden, denn Sie waren die Einzigen, die unbedingt in der Ottersbekallee wohnen wollen.« Ich reiße Augen und Mund auf, kann mich gerade noch stoppen, Herrn Holthusen kein vor Freude schrilles »Ahhh!« ins Ohr zu brüllen, und springe auf und ab, während er fortfährt: »Den anderen, Mediziner und Anwälte übrigens, war die Straße schnurzpiepe. Aber Ihnen eben nicht. Das finde ich, nun ja, sagen wir mal so, sympathisch. Deshalb. Kurzum. Also, wie gesagt: Sie können einziehen.«

Außer Atem hauche ich: »Vielen Dank. Das tun wir gern. Wir freuen uns sehr!«

Nachdem ich aufgelegt habe, veranstalten Carsten und ich in unserem Zimmer einen wilden Freudentanz, bei dem ich mir den großen Zeh am Bett und Carsten sich den Kopf an der Deckenlampe stößt. Beides tut unserer guten Laune keinen Abbruch. Im Gegenteil. Ich realisiere, dass wir jetzt bald ein gemeinsames Zuhause haben werden, und das fühlt sich toll an.

Woher wir das Geld nehmen sollen? Ich weiß es nicht, und Carsten weiß es, glaube ich, auch nicht so recht. Aber wir wissen, dass diese Wohnung unsere Wohnung ist.

Und so ziehen wir am 1. Oktober 2004 mit einer Matratze, einem Fernseher und ein paar Kochtöpfen in diesen Drei-Zimmer-Palast mit übrigens nicht nur einem, sondern gleich zwei Balkonen ein.

Nach unserer ersten Nacht wache ich frühmorgens auf und weiß im ersten Moment gar nicht, wo ich bin. Das soll wirklich unsere Wohnung sein? Ich schleiche mich in die Küche und finde in unserem kleinen Umzugskarton meine alte, angebrannte Bialetti, die mich seit meinem viermonatigen Spanienaufenthalt nach dem Abi überallhin begleitet, und eine Dose mit Espressopulver.

Als der verbeulte Espresso-Kocher auf dem High-Tech-Cerankochfeld steht und vor sich hin zischt, trete ich zwei Schritte zurück. Hier ist wirklich alles vom Feinsten und ganz neu. Unser Vermieter hat uns – wie im Hotel – einen Liter Milch und Marmelade in den Kühlschrank gestellt.

Ich bringe Carsten seinen Kaffee ans Bett und schlendere mit meinem durch die Räume. Der Stuck strahlt mir entgegen, der Parkettboden ist frisch gewienert, und die Eckbadewanne freut sich auf meinen ersten Besuch.

Während meines Praktikums bei Visionaire in New York habe ich für fünfhundert Dollar in einem Durchgangsflur hinter einem Vorhang mein matratzengroßes »Zimmer« gehabt. Nun wohne ich für die doppelte Miete in einem Palast. Wenn man es so betrachtet, ist die Wohnung doch gar nicht mehr so teuer.

Kaffee mit Käuzchen

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