Читать книгу Kaffee mit Käuzchen - Franziska Jebens - Страница 21

Napoleon

Оглавление

Völlig verschwitzt und verdreckt hetzen wir zum Check-in-Counter der Lufthansa.

»Zweimal nach Bordeaux, bitte.«

»Sie sind aber spät dran. Sie müssen mit Ihrem Gepäck durch die Security. Wir können die Taschen nicht mehr regulär verladen. Gehen Sie bitte an der Warteschlange vorbei, und melden Sie sich direkt beim Personal. Jemand soll Sie dann schnellstmöglich zum Gate begleiten.«

Ich bin ganz zittrig und nicht sicher, ob wir noch an Bord gelassen werden. Wenn ich mit dem Flugzeug irgendwo hinfliege, bin ich normalerweise drei Stunden vor Abflug am Flughafen. Das hat heute nicht geklappt. Es wäre aber wirklich schade, wenn wir unsere Flitterwochen in Hamburg verbringen müssten.

Doch wir kommen noch an Bord. Mit einem erleichterten »Uff« lassen wir uns in die Sitze der hintersten Reihe fallen.

»Da haben Sie jetzt aber Glück gehabt. Eine Minute später, und wir wären weg gewesen.«

»Das ist unsere Hochzeitsreise«, bringe ich, immer noch atemlos, hervor.

Die Stewardess runzelt die Stirn. Kein Wunder, denn wir sehen wirklich nicht danach aus. Mein T-Shirt hat vom Bierbänke-zum-Transporter-Schleppen vorne am Bauch einen langen Riss, die Haare kleben an meinem Kopf, der immer noch glutrot ist, und meine Hände sind ganz schmutzig.

Carsten sieht nicht besser aus. Seine linke Wange ist zerkratzt, und seine Klamotten sind von verschiedenfarbigen Flecken übersät. Wir haben die letzten zwei Tage damit verbracht, Kühlschränke, Biertische und -bänke, die Musikanlage, die Kabel, die Lichtmaschine, die Deko, den roten Teppich, das Geschirr und den Müll mit einem gemieteten Transporter wieder aus dem Auerwald zu schaffen und bis zu unserem Abflug in die Flitterwochen einfach nicht genug Zeit eingeplant.

»Wenn Sie es sagen!« Die Stewardess hat anscheinend schon viele andere Honeymooner in ihren Traumurlaub begleitet. Als wir über den Wolken sind, bringt sie uns aber doch einen Piccolo aufs Haus.

Zwei Wochen Frankreich. Caro hat uns zur Hochzeit ihre Zeit als Ladenvertretung geschenkt. Wieder ohne Reservierung fahren wir einfach von Bordeaux mit einem Mietauto ein Stück die Atlantikküste hoch.

Wie so oft in letzter Zeit denke ich auch jetzt wieder an das Haus im Wald. Hoffentlich hält die Maklerin ihr Versprechen, sich zu melden, sollten sich noch andere Leute für die Immobilie interessieren. So waren wir mit ihr verblieben. Ich bin mir so sicher, dass wir das Haus kaufen sollten, ja müssen. Mir kommt es manchmal selbst richtig seltsam vor. Es ist wie eine absolute Wahrheit, die niemand mit Bedenken oder Zweifeln anfechten kann. Für mich ist das unser Haus. Jetzt müssen wir nur noch schauen, wie wir das Geld auftreiben, um unsere Vision von unserem Heim im Wald Wirklichkeit werden zu lassen.

Vor unserer Hochzeit waren wir noch zweimal dort. Einmal mit Carstens Bruder Cord und einmal mit meinen Eltern. Cord ist Zimmermann und hat der Maklerin einen großen Schrecken eingejagt, als er mit fachmännischem Blick auf die Balken an der Fassade meinte: »Gammelig … gammelig … gammelig … und der da ist auch gammelig.« Aber im Großen und Ganzen befand er die Substanz für gut – vor allem der Zustand des Dachs war uns sehr wichtig.

Meine Eltern waren sehr überrascht von meiner plötzlichen Idee, ein Haus mitten im Wald zu kaufen. Mein Vater hat das Haus eine Bruchbude und meinen Wunsch, es zu kaufen, eine Schnapsidee genannt. Und meine Mutter konnte nicht glauben, dass ihre Tochter ein Haus im Wald als Zukunftsperspektive ansehen konnte. Ich versuchte, ihr klarzumachen, welche Gefühle dieses Grundstück in mir auslöst, und ging mit ihr durch den Garten. Auf der Hollywoodschaukel, die versteckt in einer Tannenreihe im hinteren Teil des Grundstücks verborgen liegt, setzten wir uns und schaukelten ein bisschen. Ich hakte mich bei meiner Mutter unter und legte meinen Kopf auf ihre Schulter. Direkt vor uns setzte sich in diesem Moment ein Rotkehlchen auf den Zweig eines Baumes und schien uns zu beobachten.

»Hier werde ich glücklich sein. Da bin ich mir sicher!«, meinte ich zu ihr.

»Wirklich? Ich kann mir das so gar nicht vorstellen für dich. Hier mitten im Nirgendwo. Du liebst doch die Stadt und das Reisen. Du liebst Menschen und Mode. Ihr habt einen Laden in der Stadt. Was willst du denn hier den ganzen Tag machen, und wann wollt ihr überhaupt hier sein?«

»Ich werde die Stadt und das Reisen ja nicht aufgeben. Aber ich spüre einfach, dass das hier der richtige Ort für mich ist. Eine Art Extraplatz, an dem Carsten und ich hin und wieder in Ruhe sein können. Ich kann es nicht anders erklären.«

Meine Mutter akzeptierte das.

Mein Vater allerdings sagte: »Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um euch diesen Unsinn auszureden …«

Wieder gehe ich in meinem Kopf unsere Möglichkeiten durch: Unsere Ersparnisse haben wir in unseren Laden gesteckt. Und welche Bank würde uns für dieses Projekt einen Kredit geben? Keiner unserer Freunde hat annähernd genug Geld, um uns zu helfen. Und meine Eltern machen nicht den Eindruck, als ob sie uns das Geld leihen würden.

Carsten füllt mein Glas nach und zerstreut so meine ewig gleichen Gedanken.

»Chambres d’Hôtes« steht in hübschen Lettern auf einem Schild an der Straße. Da wir die letzten zwei Tage im Auto geschlafen haben und durchaus mal wieder eine Dusche vertragen könnten, beschließen wir, uns die Pension anzuschauen.

Der Inhaber sieht aus wie Napoleon und gibt uns nach kurzer Einweisung die Schlüssel zu einem von zwei uralten süßen Häuschen, die auf seinem Grundstück stehen. Die Häuser inspirieren mich dazu, mir vorzustellen, wie hübsch unser Haus eines Tages sein wird. Vielleicht würden wir es auch mit diesen Tonschindeln decken, die Fensterbänke mit verschiedenen Blümchen bepflanzen und einen geschwungenen Weg zur Eingangstür pflastern.

Carsten fühlt sich hier genauso wohl wie ich. Das sehe ich ihm an.

Das Frühstück wird in Napoleons Esszimmer serviert. Er erklärt uns, welche Marmelade und welche Rillette er selbst gemacht hat, und wir lassen uns dazu hinreißen, ihm von unserem Haus im Wald zu erzählen. Überraschenderweise ist er der Erste, der völlig von den Socken und total begeistert ist.

»Il faut le faire. Il faut le faire!« Immer wieder beschwört er uns, dass wir das unbedingt machen sollen. Wir müssen fast schon lachen, weil er so insistiert. Also – il faut le faire.

Am Abend sitzen wir an einem kilometerlangen Sandstrand, trinken Rotwein, während die Sonne untergeht, und versprechen uns, dass wir den Traum von unserem Haus in Alleinlage in die Realität umsetzen werden.

Kaffee mit Käuzchen

Подняться наверх