Читать книгу Annabelle - Frederike Gillmann - Страница 10
Kapitel 6
Оглавление„Du willst nach Glücksburg? Morgen schon?“ Die Überraschung konnte ich Alex ansehen. „Hast du dir das auch gut überlegt? Ich meine mit der Arbeit und allem?“ Plötzlich bekam ich doch wieder Gewissensbisse. Hatte ich es mir gut überlegt?
„Ja“, sagte ich so selbstsicher, wie es eben ging.
„Na dann, das ist dann deine Entscheidung.“ „Was soll das denn jetzt heißen?“ Mir war der leicht resigniert-enttäuschte Farbton in seiner Stimme nicht entgangen. „Nichts. Nur, dass es deine Entscheidung ist.“
„Aber?“
„Nichts aber.“
„Alex, ich kenn dich zu gut. Wenn du ein Problem hast, dann lass es raus.“
„Ich finde nur ehrlich, dass du nicht gründlich genug überlegt hast. Ich meine, was bringt es dir denn? Deine Tante, die du nicht richtig gekannt hast, ist gestorben. All die Jahre hat es dich anscheinend nicht wirklich interessiert, dass es sie gibt und auf einmal willst du nach Norddeutschland?“
„Jetzt mach mal halblang“, sagte ich ein wenig wütend. „Es ist immer noch meine Tante und die Schwester meiner Mutter. Auch wenn ich sie nicht wirklich persönlich kannte, dann gehört sie immer noch zur Familie. Also was ist dein Problem?“
„Mein Problem ist, dass wir uns kaum noch sehen!“, rief Alex jetzt zurück. Ich wollte so einem Streit eigentlich entgehen, aber wir waren einfach schon mittendrin. Ich konnte es kaum fassen: Alex machte so einen riesigen Aufstand, weil wir zu wenig Zeit miteinander verbrachten?
„Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun“, schrie ich zurück.
„Eben doch. Ich wollte dich damit überraschen, dass ich mir ein paar Tage freigenommen habe, damit wir zumindest abends mehr Zeit miteinander verbringen können und jetzt haust du einfach ab!“
„Erstens haue ich nicht einfach so ab und zweitens kannst du gerne mitkommen.“
„Ich will aber nicht nach Norddeutschland im November. Das ist total unromantisch und kalt.“ Langsam fand ich, dass sich mein Freund verhielt, also würde er nicht das Spielzeug bekommen, was er wollte.
„Tja, das ist wohl dann deine Entscheidung. Ich fahre morgen. Und wenn es dir nicht passt, dann musst du wohl damit leben.“
„Wie kannst du nur so egoistisch sein?“, warf Alex mir nun vor.
„Alexander“, versuchte ich ihn nun zu beruhigen. „Warum verstehst du nicht, dass mir meine Familie wichtig ist? Und wer weiß, vielleicht ist es dort ja ganz schön. Vielleicht würde dir eine kleine Auszeit auch einmal ganz guttun.“
„Ich brauche keine Auszeit, ich will einfach nur mit dir zusammen sein. Und ich dachte, wir könnten an unseren Familienplänen weiterarbeiten.“ Jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen: darum ging es ihm also.
„Du hast dir freigenommen, damit wir mehr Zeit im Bett verbringen können? Und du nennst mich egoistisch?“
„Nein, so war das jetzt nicht gemeint…“, versuchte sich Alex an einer Antwort. „Und wie dann?“ Ich schaute ihn erwartend an, aber die Antwort blieb aus. „Ich habe jetzt keine Lust mehr zu diskutieren. Gute Nacht.“ Damit drehte ich mich auf die Seite und versuchte zu schlafen.
Am nächsten Morgen war die Stimmung immer noch etwas kühl. Das Frühstück verbrachten wir mehr oder weniger schweigend, aber auch generell redeten wir nicht viel, denn in Gedanken war jeder von uns schon wieder bei der Arbeit. Ich hatte gestern meinem Chef noch eine E-Mail geschrieben und gesagt, dass ich aufgrund eines familiären Zwischenfalls ein paar Tage freimachen müsste. Ich wusste, er würde darüber nicht glücklich sein, denn er erwartete von uns immer Topleistung und Urlaub kam auch äußerst selten in seinem Wortschatz vor, aber für mich war das hier jetzt ein Notfall.
„Soll ich dich zum Bahnhof bringen?“, brach Alex das Schweigen.
„Okay“, sagte ich nur und widmete mich wieder den Gedanken an die Reise. Ich wusste, dass ich einen anstrengenden Tag vor mir hatte und ich hoffte, dass ich zumindest keine herumschreienden Kinder bei mir im Abteil haben würde.
Wir beendeten unser Frühstück, ich kontrollierte noch einmal, ob ich auch alles dabeihatte, zog meine Allwetterjacke an (man konnte ja nie wissen) und Alex und ich stiegen ins Auto. Ich hatte meiner Mutter heute Morgen geschrieben, dass ich mit dem Zug kommen würde. Sie wollte weiterhin mit dem Auto fahren, wovon man sie auch nicht abbringen konnte, trotz ihrer sechzig Jahre. Vielleicht war es auch der langsam eintretende Altersstarrsinn und meine Mutter hatte schon immer einen starken Willen gehabt.
Die Fahrt zum Bahnhof dauerte zwanzig Minuten. Als wir dort ankamen, stieg Alex mit aus und holte meinen kleinen Koffer aus dem Kofferraum. „Also dann, viel Spaß, meld dich mal“, sagte er steif. „Ja, mach ich.“ Ich sah das Unbehagen in seinen Augen. Schließlich küssten wir uns noch zum Abschied, aber es fühlte sich nicht so an, wie zwei Verliebte, die sich trennten und sich unglaublich vermissen würden.
„Also dann...“, sagte ich noch während ich mich schon langsam auf den Eingang des Bahnhofs zubewegte. „Mach's gut.“ Ich schenkte ihm noch ein Lächeln und hob die Hand zum Gruß. Dann steuerte ich auf den Eingang zu, ohne mich noch einmal umzudrehen.