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Kapitel 7

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Die Zugfahrt war lang, aber angenehm und ausnahmsweise gab es mal keine Kevins oder Chantalls, die aufgeregt den Gang hoch- und runterliefen. Seitdem ich arbeitete und privat mit der Bahn reiste, wollte ich auch nicht mehr darauf verzichten, einen Sitzplatz zu reservieren. Es kam oft genug vor, dass gerade zu Weihnachten der Zug so voll war, dass es absolut keinen Sitzplatz mehr gab und ich demnach zwei Stunden im Stehen verbrachte.

Ich kam sogar recht pünktlich am Bahnhof in Glücksburg an. Von Flensburg aus hatte es keinen Zug mehr gegeben und so war ich mit dem normalen Linienverkehr bis zum Bahnhof gefahren. Ich hatte meiner Mutter vorher geschrieben, wann ich wo ankommen würde und nun sah ich ihre Gestalt schon von weitem am Bussteig sehen. Als der Bus anhielt, konnte ich es kaum erwarten auszusteigen. Ich atmete tief ein und spürte sofort, wie sich die Seeluft in meinen Lungen breitmachte und die miefige Großstadtluft verdrängte. Schon allein dieser erste Atemzug reichte, um mich in Urlaubsstimmung zu versetzen.

„Hallo Mama“, begrüßte ich sie und wir umarmten uns.

„Hallo Frieda. Wie geht es dir? Hattest du eine gute Reise?“

„Ja, es war ein bisschen lang und anstrengend, aber okay. Und bei dir?“

„Ich auch, aber du weißt ja, das Alter macht sich manchmal bemerkbar.“ Sie lächelte. „Ich habe mir die Pension schon einmal angeschaut und die Schlüssel abgeholt. Sie ist sehr sauber und man hat sogar Blick aufs Meer.“

„Sehr gut“, sagte ich.

„Komm, bringen wir deine Sachen weg und lass uns danach etwas essen gehen. Ich habe ziemlichen Hunger, wollte aber noch auf dich warten.“

„Och, das hättest du doch nicht tun brauchen, Mama“, protestierte ich.

„Ich weiß, aber ich wollte.“ Die Pension war wirklich nicht weit von der Bushaltestelle. Es schien mir so, als wäre nichts wirklich weit voneinander entfernt. Laut Wikipedia gab es hier in Glücksburg auch nur knapp sechstausend Einwohner und war bekannt als die nördlichste Stadt Deutschlands. Nichtsdestotrotz hatte ich mich auf den ersten Blick in diese Stadt verliebt: sie lag direkt an der Ostsee und hatte sogar ein Schloss. Das musste ich mir beizeiten wohl mal ansehen. Zehn Minuten später erreichten wir unsere Bleibe. Meine Mutter gab mir meinen Schlüssel, ich stellte meine Tasche ab und ließ mich erst einmal aufs Bett fallen. Gott, war ich erschöpft. Das merkte ich jetzt erst, aber ich wollte meine Mutter auch nicht zu lange warten lassen. Also wusch ich mir schnell das Gesicht, suchte ein paar neue Klamotten raus und ging zum Zimmer nebenan. Ich klopfte: „Ich komme gleich“, kam es von der anderen Seite der Tür und eine Minute später kam sie heraus und wir gingen wieder ins Zentrum.

Wir fanden ein kleines Restaurant, das lokale Speisen auf der Karte hatte. Ich bestellte allerdings nur einen Salat, da ich mich seit meinem vierzehnten Lebensjahr vegetarisch ernährte und lokale Speisekarte eben sehr viel Fisch bedeutete. Trotzdem schmeckte es ziemlich gut. Auch meine Mutter war von ihrem Seebarsch begeistert. „So etwas würden die bei uns nie so gut hinkriegen“, meinte sie zufrieden. „Aber du musst mehr essen, mein Kind. Du bist so dünn. Vielleicht solltest du das auch mal probieren.“

„Mir geht es gut, Mama“. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Obwohl meine Mutter meine Lebensweise akzeptiert hatte, versuchte sie mich hin und wieder auf ihre charmante Art und Weise davon zu überzeugen, doch zumindest mal Fisch zu essen. Das wäre doch so gesund.

„Du bist wirklich meine Tochter“, sagte sie und wir beide mussten lachen.

„Wie sehen jetzt die Pläne für die nächsten Tage aus?“, fragte ich.

„Morgen Mittag habe ich einen Termin beim Notar, aber du kannst gerne mitkommen. Je nachdem, wie es sich ergibt, werden wir uns wohl um die Beerdigung kümmern und weiter habe ich noch nicht gedacht. Vielleicht fahre ich dann wieder nach Hause oder bleibe noch ein wenig. Es ist ja ganz nett hier.“ Bei Letzterem konnte ich meiner Mutter nur zustimmen. Ich war noch nie hier oben an der Küste gewesen. Die nördlichste Stadt, in der ich jemals gewesen war, war Hamburg.

„Ich finde es schade, dass Annabelle und ich uns damals so sehr gestritten haben und deswegen kaum noch Kontakt hatten.“ Jetzt sah ich tatsächlich doch etwas Traurigkeit in den Augen meiner Mutter.

„Weswegen habt ihr euch damals gestritten?“, fragte ich.

„Ich weiß es ja selbst nicht mehr. Es war irgendetwas sehr Dummes, über das man wahrscheinlich heute lachen würde, aber keiner von uns hatte den Mut, seinen Stolz herunterzuschlucken und auf den anderen zuzugehen.“

„Das ist schade, aber jetzt kann man es leider nicht mehr rückgängig machen. Wir müssen jetzt versuchen, nach vorne zu schauen.“

„Du hast Recht, man kann die Zeit leider nicht zurückdrehen.“ Meine Mutter überraschte mich etwas. Sonst war sie immer die toughe Frau und diese weichen Seiten kamen nur äußerst selten zum Vorschein.

„Auf das Leben“, sagte ich und hob mein Weinglas.

„Auf das Leben“, sagte auch meine Mutter und wir stießen an.

Annabelle

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