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Kapitel 12

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Irgendwann musste ich wohl über dem Film eingeschlafen sein, denn ich wachte erst wieder vom Geschrei der Möwen auf, der Laptop lag noch neben mir. Ich hatte mich zum Glück während des Schlafes nicht draufgelegt. Ich hatte trotz allem gut geschlafen. Vielleicht lag das ja an der Seeluft und daran, dass ich mich so viel draußen bewegte. Was immer es auch war, ich fühlte mich gut. Ich entschied mich dafür, dass ich den Tag mit einem kleinen Spaziergang beginnen wollte. Also duschte ich zuerst, zog mich an und ging dann hinaus. Mich zog es wie immer an den Strand. Ich war schon immer ein Wassermensch gewesen, aber schwimmen mochte ich nie so wirklich gerne, auch wenn mir mein Großvater zu Lebzeiten oft gesagt hatte, dass ich eine gute Schwimmerin abgeben würde. Das Laufen gab mir Freiheit. Früher hatte ich das noch öfter gemacht, aber als ich mit der Arbeit angefangen habe, hatte ich dafür dann keine Zeit oder schlichtweg keine Energie mehr.

Sobald ich den Sand unter den Schuhen spürte, verlangsamte ich meine Schritte. Ich stellte fest, dass der Sand mich entschleunigte. Vielleicht auch innerlich? Ich fühlte in meiner Tasche, dass ich meine Kopfhörer dabeihatte und dachte gerade, dass es doch schön wäre, ein wenig Musik zu hören, als mir mal wieder einfiel, dass ich Musik ja immer auf meinem Handy hörte und das lag mal wieder auf meinem Zimmer. Und mal wieder verfluchte ich nicht meine Dummheit, das Handy liegen gelassen zu haben, sondern dass ich immer noch von meinem Handy abhängig war und mir angewöhnt hatte, meine ganze Musik darauf zu spielen. Ich nahm mir vor, mir einen MP3-Player oder so etwas zu kaufen und unabhängiger zu werden. Dann hatte ich eben keine Musik. Also schlenderte ich ein wenig den Strand entlang und beobachtete, wie sich die kleinen Wellen brachen, als sie auf den Strand trafen. Zusammen mit dem Rauschen hatte das eine beruhigende Wirkung auf mich. Nachdem ich fand, dass ich lange genug in die eine Richtung gegangen war, entschied ich mich dafür, umzukehren. Vielleicht wartete meine Mutter ja schon auf mich. Ich fand es immer noch total schön in Glücksburg und konnte mir kaum vorstellen, dass dieser Urlaub irgendwann ein Ende haben würde. Aber lag das nicht in meiner eigenen Hand? Wie meine Mutter schon gesagt hatte: ich hatte alle Möglichkeiten der Welt.

Ich schlenderte wieder zurück und versuchte noch weiter nachzudenken, aber mein Kopf war so leer, ich schaffte es nicht, einen klaren Gedanken zu fassen.

Im Foyer der Pension nahm ich mir einen Kaffee aus der Maschine, die dort allen Gästen zur Verfügung stand und setzte mich in einen der gemütlichen Sessel.

„Ist meine Mutter schon ausgegangen?“, fragte ich die Rezeptionistin.

„Ich habe sie noch nicht gesehen“, antwortete sie. Neben der Kaffeemaschine lagen auch ein paar Klatschmagazine. Ich nahm mir eins und blätterte es gedankenverloren durch. Die Sachen, die Ottonormalverbraucher jeden Tag erlebten, wurden aufgeputscht und dann so dargestellt, als gäbe es kein größeres Leid auf der Welt. Jeder wusste es, doch trotzdem las jeder solche Hefte gerade beim Warten gerne. Kurze Zeit später kam auch schon meine Mutter beschwingten Schrittes ins Foyer.

„Kind, du bist ja schon wach“, meinte sie leicht erstaunt. Ich konnte darauf wenig erwidern, denn ich hatte seit einiger Zeit jegliches Gefühl für eine solche verloren. Mein Handy war immer mein Taktgeber – im doppelten Sinne – gewesen. Vielleicht sollte ich mir beim nächsten Stadtbesuch eine neue Armbanduhr kaufen.

„Wollen wir frühstücken gehen?“, fragte sie.

„Ja, gerne“, meinte ich und war im Begriff aufzustehen.

„Wir bieten hier auch ein sehr leckeres Frühstück an“, sagte die Rezeptionistin. „Aber wir haben doch keins dazu gebucht“, meinte meine Mutter.

„Das macht nichts“, erwiderte sie. „Nehmen sie einfach im Esszimmer Platz. Ich komme gleich.“

Das Frühstück war wirklich ausgezeichnet.

„Also, wann kommt Thomas heute?“, fragte ich, nachdem wir eine Weile aufgrund des Essens geschwiegen hatten.

„Ich denke so heute Abend. Ich habe vorhin mit ihm telefoniert, als er gerade losgefahren ist. Er wohnt ja ein kleines bisschen näher dran, also wird er vielleicht am späten Nachmittag oder frühen Abend da sein.“ Ich nickte stumm.

„Was hast du heute geplant?“, fragte mich meine Mutter nach einer weiteren Weile.

„Ich weiß noch nicht. Vielleicht gehe ich mir mal das Schloss anschauen.“

„Gute Idee.“

„Hast du etwas geplant?“, fragte ich zurück.

„Nein“, antwortete meine Mutter. „Ich werde mich wahrscheinlich auch ein wenig herumtreiben“ „Wir können ja zusammen ins Schloss gehen“, schlug ich vor.

Meine Mutter schaute erfreut, meinte dann aber: „Ach, ich will ja nicht an dir drankleben.“

„Wie kommst du denn darauf? Das tust du überhaupt nicht“, meinte ich leicht empört.

„Okay, dann komme ich mit“, sagte sie und lächelte. Nachdem wir unser Frühstück also beendet hatten, machten wir uns auf den Weg. Eigentlich war ich nicht so der Fan davon, Gebäude zu besichtigen, aber hier gab es ja nicht so viel und das Schloss war zumindest als eine Attraktion ausgeschildert und galt als einer wichtigsten Residenzschlösser Norddeutschlands. Außerdem sah es wunderschön aus mit seiner weißen Fassade und es lag direkt an einem See. Auch das Innere war sehr stilvoll gehalten und selbst mir gefiel es richtig gut. Durch das Staunen merkten wir gar nicht, wie schnell die Zeit vergangen war und so war es bereits fast drei Uhr, als wir das Innere des Schlosses wieder verließen.

„Es war atemberaubend schön“, sagte meine Mutter draußen.

„Ja, es war schön“, meinte ich zustimmend, auch wenn ich es nicht als atemberaubend bezeichnen würde.

„Was wollen wir jetzt machen?“, fragte meine Mutter.

„Wie wäre es mit einem Kaffee?“

„Gute Idee.“ Wir schlenderten noch ein wenig um den Schlosssee und fanden ein Café nicht weit vom Gebäude.

„Hat sich Thomas noch einmal gemeldet?“, fragte ich.

„Ja, er hat angerufen, als wir im Schloss waren. Ich werde ihn gleich zurückrufen. Hast du mal wieder mit Alex gesprochen?“

Ich wurde leicht rot, denn ich wollte es immer wieder machen, war dann aber zu müde oder habe es vor mir hergeschoben.

„Nein, noch nicht“, meinte ich etwas zerknirscht.

„Warum willst du ihn nicht einladen?“

„Weil ich doch spätestens Samstag eh wieder nach Hause fahre.“

„Okay“, meinte sie, aber ich hatte den Eindruck, dass sie an meiner Aussage zweifelte. Warum, wusste ich nicht, aber möglicherweise war das weibliche Intuition.

„Wollen wir noch etwas zusammen machen, bevor Thomas kommt oder möchtest du etwas allein sein?“, fragte sie mich. Ich zuckte mit den Schultern.

„Ach komm, jetzt tu nicht so.“

„Was meinst du?“, fragte ich etwas verwirrt.

„Schatz, ich seh, dass dich das alles ziemlich aufwühlt und einer Mutter tut das nie gut, ihr Kind so zu sehen.“

„Mama, mir geht’s gut. Da ist nichts...“, begann ich erneut, aber selbst ich merkte, dass sich das falsch anhörte.

„Wenn du möchtest, kannst du auch das Auto nehmen und ein wenig nach Flensburg fahren, dann kommst du mal ein wenig hier raus“, bot meine Mutter an.

„Das ist echt lieb von dir“, sagte ich dankbar und lächelte sie an. Vielleicht haue ich mich noch ein wenig aufs Ohr. Ich finde, die Seeluft macht mich so träge“, lachte sie und irgendwie musste ich mit einstimmen, denn meine Mutter hatte manchmal so ein herzerfrischendes Lachen, das alle Sorgen verschwinden lassen konnte.

Zurück an der Pension überreichte sie mir ihre Autoschlüssel. „Aber sei lieb zu Paulchen“, meinte sie noch zu mir. Ach ja, meine Mutter und die Autos. Nicht, dass sie ein solch riesiger Fan davon war, aber sie hing doch sehr an ihrem Wagen und gab ihm sogar einen Namen. Ich hatte mal gelesen, dass jeder siebte Deutsche das tat, was ich ziemlich lustig fand. Für mich war ein Auto einfach ein Gebrauchsgegenstand, eine Notwendigkeit. Was wollte ich in Flensburg machen? Einen wirklichen Plan hatte ich nicht. Ich würde einfach ein wenig durch die Stadt bummeln und mich inspirieren lassen. Ich entschied mich, in einem Parkhaus zu parken, dann musste ich nicht so weit in die Innenstadt laufen oder überhaupt erst die Innenstadt suchen. Na ja, eigentlich wusste ich ja auch, wo sie war, aber bei meinem Orientierungssinn konnte das auch durchaus mal passieren, dass ich mich verlief, obwohl ich wusste, wo ich eigentlich hinmusste. Ich ging aus dem Parkhaus raus und befand mich fast mitten in der Stadt. Ich fand, dass die Stadt fast noch schöner war, als Glücksburg, natürlich war hier ein bisschen mehr los, aber ich liebte die engen Gassen und die Fachwerkhäuser. Natürlich gab es so etwas ungefähr auch in München, aber hier war es doch irgendwie etwas anderes und dazu noch direkt am Meer. Einfach herrlich. Wurde ich hier tatsächlich ein anderer Mensch? Ich sah schon die Schlagzeile, falls die lokale Zeitung hier auf mich aufmerksam werden sollte (warum auch immer): „Frieda Meyer – Von der erfolgreichen Anwältin aus München zum Glücksburger Landei“. Ich musste bei dem Gedanken lächeln. Sollte ich mich hier einfach nur an die Förde setzen und ein bisschen die Seele baumeln lassen? Ich schalt mich in Gedanken, dass ich meinen Laptop nicht mitgenommen hatte, dann hätte ich zumindest etwas arbeiten können. „Frieda, bist du doof?“, sagte meine andere innere Stimme (wurde ich hier langsam verrückt?), „Du kannst hier doch nicht an Arbeit denken, genieß die Zeit.“ Ja, das würde ich tun. Und ich würde gleich damit anfangen. Ich schlenderte entlang des Hafens und beschloss dann, die kleinen Gässchen zu erkunden und irgendwie konnte ich mich gar nicht sattsehen. Plötzlich hatte ich auch den Wunsch in solch einem kleinen Häuschen oder so einer Wohnung zu leben. Vielleicht später, wenn ich in Rente gehen würde und Zeit dafür hatte. Ob die Leute hier das wohl auch so wertschätzten, in solchen Häusern zu wohnen oder war es für sie normal? So normal, wie es für mich war, in München zu leben?

Während ich so vor mich hinsinierte, merkte ich auf einmal, dass ich auf etwas Solides traf. Diese feste Masse stellte sich als ein Menschenkörper heraus, in den ich hineingerannt war.

„Passen sie doch auf!“, meinte der Mensch unwirsch. „Jetzt habe ich mir Kaffee über die Hand geschüttet. Nein, ich meine nicht Sie, Herr Fuchs, ich bin nur gerade unterwegs.“

„Entschuldigung, das tut mir sehr leid“, sagte ich und meinte es ehrlich. Dann blickte ich in sein Gesicht und sagte: „Oh, hallo Herr Stattmann.“ Sofort schien auch der Ärger aus seinem Gesicht verschwunden zu sein.

„Frau Meyer, das tut mir leid. Ich wollte nicht unhöflich sein. Es ist ungewöhnlich Sie hier zu treffen.“

„Ja, ich mache nur einen kleinen Stadtbummel. Aber ich will sie nicht aufhalten. Bis Freitag dann.“ „Ja, bis Freitag“, sagte er noch. Und als wir uns getrennt hatten, hörte ich ihn wieder mit seinem Telefon sprechen: „Ja, Herr Fuchs, ich bin es wieder...nein, nur ein kleiner Zwischenfall…“ Und dann war er schon außer Hörweite. Dieser Zwischenfall hatte mich wirklich auf zweierlei Weisen geschockt. Zuerst einmal, dass ich überhaupt in ihn hineingerannt war und dann noch, als ich in seine Augen geschaut hatte. Dieses Blau war aber auch einfach umwerfend. Anscheinend schienen hier die Menschen genauso im Stress zu sein, wie bei uns im Süden. Oder lag es nur an der Berufsgruppe? Ich setzte meinen Schlendergang weiter fort und war entzückt über die vielen kleinen Geschäfte, die Filzwaren und andere handgemachte Sachen anboten. Schließlich betrat ich einen solchen und verließ den Laden mit ein paar neuen Filzuntersetzern. Vielleicht würde ich sie nie als solche gebrauchen, aber zumindest waren sie sehr dekorativ. Ich hatte derweil auch gar nicht darauf geachtet, wie schnell die Zeit verflogen war und war leicht überrascht, als ich merkte, dass ich zwei Stunden nur mit dem Schlendern verbracht hatte. Da ich aber die Ankunft meines Onkels nicht verpassen wollte, bewegte ich mich zurück zum Parkhaus und fuhr zurück nach Glücksburg.

Annabelle

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