Читать книгу Annabelle - Frederike Gillmann - Страница 14
Kapitel 10
ОглавлениеDie Rückfahrt verbrachten wir überwiegend schweigend, denn das Wichtigste hatten wir schon im Café gesagt. Man musste ja auch nicht immer reden. Als wir wieder in Glücksburg ankamen, sagte meine Mutter: „Ich spreche mit Thomas und danach haue ich mich ein wenig aufs Ohr.“
„Mach das“, sagte ich ein wenig geistesabwesend.
Ich folgte ihr in die Pension und an unseren Zimmern trennten wir uns. Als ich mein Zimmer betrat, ließ ich mich zuerst aufs Bett fallen und merkte, dass ich mich auf etwas Hartes gelegt hatte: mein Handy. Ich hatte es doch tatsächlich die ganze Zeit über hiergelassen und es hatte mich überhaupt nicht gestört. Das wäre mir in München niemals passiert. Dort war ich regelrecht ein Smombie, wie man heutzutage zu solchen Leuten sagte, die nur auf den kleinen Bildschirm ihres Smartphones starrten. Eigentlich hatte ich nicht sonderlich Lust es anzuschalten, dachte aber, dass es nicht schaden könnte, nur um einmal zu schauen, ob mir jemand geschrieben hatte. Tatsächlich: fünf Anrufe in Abwesenheit von meinem Chef, drei Nachrichten von Alex und eine von Kathi, die lautete: Der Chef ist echt sauer. Irgendwie läuft hier alles gerade drunter und drüber. Ich glaube, du musst bald wiederkommen, sonst dreht der noch völlig durch. Sollte der doch durchdrehen, das war mir momentan auch egal. Ich las Alex' Nachricht: Schön, dass es dir gut geht. Kann ich irgendwas für dich tun? Soll ich hochkommen? Was sollte das denn? Vermisste mich Alex doch mehr als seinen Job?
Ich überlegte, ob ich meinen Chef zurückrufen sollte, machte es dann aber doch nicht, weil ich mir seine Gardinenpredigt ersparen wollte. Vielleicht würde er mir ja sogar wirklich mit der Kündigung drohen. Darauf hatte ich wirklich keine Lust. Ich schrieb Alex zurück: Nein, alles ist gut hier. Du brauchst nicht zu kommen. Mit Mama läuft es echt gut. An Kathi schrieb ich: Der soll ruhig toben, das hat er dann davon, wenn er immer den Kameltreiber spielt. Währenddessen hatte Alex zurückgeschrieben: Bist du sicher? Geht es dir wirklich gut. Du bist ja kaum noch zu erreichen. Mach dir um mich keine Gedanken. Mama wird bald mit dem Bestatter wegen der Beerdigung telefonieren, dann wird in ein paar Tagen das Testament verlesen und dann komme ich auch schon wieder. Ich liebe dich. Bei den letzten drei Worten überlegte ich wieder, ob ich sie wirklich schreiben sollte, aber noch hatte ich die Flinte nicht ins Korn geworfen. Vielleicht würde sich ja noch alles arrangieren. Wer bist du und was hast du mit Frieda gemacht? las ich nun die Antwort von Kathi. Aber dahinter hatte sie einen Smiley gesetzt. Von Zombies entführt und einer Gehirnwäsche unterzogen, schrieb ich kess zurück und auch ich setzte einen Smiley dahinter. Ich schalte jetzt mein Handy aus, schrieb ich ihr noch als Vorwarnung, obwohl ich mir bei Kathi recht wenig Gedanken machte, dass sie sich sorgte, wenn sie mich mal nicht erreichen konnte. Und somit schaltete ich das Gerät wirklich aus, steckte es in die kleine Nachttischschublade, damit es außer Sichtweite war, streifte meine Schuhe von den Füßen, streckte mich auf dem Bett aus und machte ein Nickerchen.
Aus dem Nickerchen wurde dann doch ein Schlaf und ich wachte durch das Klopfen an meiner Tür auf. Ich schreckte ein wenig auf, weil ich sofort daran dachte, dass jemand – wie in einem Horrorfilm – mit der Axt hinter der Tür stand.
„Frieda, bist du da drin?“, hörte ich die Stimme meiner Mutter.
„Ja“, rief ich verschlafen, stand auf und öffnete die Tür. Meine Mutter trat ein.
„Oh, hast du geschlafen?“, fragte sie mit Blick auf meine anscheinend zerzauste Frisur und vielleicht auch meine kleinen Augen. Ich konnte es nicht so genau sagen, denn ich hatte nicht in den Spiegel geschaut.
„Ich habe vorhin mit Thomas telefoniert“, sagte sie ohne Umschweife. „Er wird so schnell wie möglich kommen. Das heißt morgen. Dementsprechend habe ich auch mit dem Bestatter telefoniert und die Beerdigung für Donnerstag angesetzt.“
Ich hörte ihr stumm zu und ich musste erst einmal meine Gedanken ordnen, denn ich war immer noch etwas verschlafen. Was das Nickerchen am Tag anging gab es ja bekanntlich zwei Sorten von Menschen: die einen waren danach topfit, die anderen waren noch müder als vorher. Ich gehörte eher in die zweite Kategorie. „Danach habe ich noch mit Herrn Stattmann telefoniert und den Termin für die Testamentseröffnung auf den Freitag festgelegt.“ Mann, meine Mutter war während meiner kleinen Auszeit ja richtig aktiv gewesen.
„Ich gehe noch eine Runde spazieren. Willst du mitkommen?“
„Ich denke, ich bleibe noch einen Moment hier“, sagte ich.
„Okay“, sagte meine Mutter. „Bis später.“
Sie verließ das Zimmer und ich war wieder allein. Ich hatte das Gefühl, dass ich Zeit brauchte, um meine Gedanken zu ordnen. In den letzten Tagen war viel passiert und musste vor allem darüber nachdenken, was meine Mutter mir gesagt hatte: Hatten Alex und ich wirklich noch eine Zukunft? Sollte ich wirklich meinen Job behalten, wenn ich wusste, dass er mir nichts außer Geld brachte? Wollte ich mich wirklich weiter gegen mein Glück wenden? Aber was war die Alternative? Ich war ratlos. Ich holte doch wieder mein Handy hervor - ich empfand dies als Notfall - ,schal-tete es ein und wählte Kathis Nummer.
„Hey Süße, was gibt’s?“, begrüßte sie mich.
„Ach, so viel“, meinte ich etwas betrübt.
„So schlimm? So langweilig?“, fragte sie.
„Nein, im Gegenteil“, meinte ich. „Es ist echt schön hier und ich komme endlich einmal zur Ruhe. Es ist fast so schön, dass ich gar nicht mehr wegwill.“
„Okay, was ist dann das Problem? Es ist doch schön, wenn du endlich mal runterkommen kannst. Genieß es, denn der Chef dreht schon langsam am Rad.“
„Ich habe viel mit meiner Mutter geredet und sie meinte, ich sollte mir überlegen, die Beziehung zu Alex zu beenden.“
„Okay“, sagte Kathi mit einem leichten Zögern in der Stimme.
„Was meinst du damit?“, fragte ich etwas skeptisch.
„Na ja, das kommt etwas überraschend…“
„Aber?“, fragte ich weiter.
„Ach, nein, so war das jetzt nicht gemeint“, meinte Kathi ausweichend.
„Wie war was gemeint?“, bohrte ich weiter.
„Du, ich ruf dich heute Abend nochmal an, ich muss jetzt weiterarbeiten, okay?“
Das machte mich zwar gerade etwas stutzig, aber dann musste ich eben auf heute Abend warten. „Okay“, sagte ich. „Bis dann.“
„Ich hab dich lieb, Süße“, sagte Kathi noch, bevor wir auflegten.
Was sollte das denn jetzt? Wollte mir Kathi auch irgendetwas sagen? Ich hatte das Gefühl, irgendwie stand gerade die ganze Welt Kopf. Ich liebte Alex doch, oder doch nicht? Ich fühlte mich bei ihm doch sonst immer so geborgen. Warum in letzter Zeit nicht mehr? Hatten wir uns wirklich auseinandergelebt? Ich hatte das Gefühl, dass ich mich bewegen musste. Aus irgendeinem Grund hatte ich beschlossen, meine Sportschuhe mitzunehmen. Ich zog ein paar Sportklamotten und die Schuhe an und lief los. Ich wusste nicht genau wohin, denn schließlich kannte ich mich nicht sonderlich aus, aber ich dachte, an den Strand zu laufen, wäre keine schlechte Idee. Ich lief und lief und lief, bis ich das Gefühl hatte, dass alle Gedanken aus meinem Kopf verschwunden waren und er nicht mehr zu platzen drohte. Auch wenn der Lauf wahrscheinlich wieder nur eine halbe Stunde gedauert hatte (so genau hatte ich nicht auf die Uhr geschaut), fühlte ich mich danach wesentlich besser. Auch meine Mutter war anscheinend gerade von ihrem Spaziergang zurückgekommen, schaute mich nur an, sagte aber nichts.
Ich ging schweigend auf mein Zimmer und nahm meine After-Run-Dusche. Wie viel nur in diesen paar Tagen passiert war. Hatte Annabelles Tod doch tatsächlich etwas Gutes? Hatte er mir auf eine merkwürdige Weise die Augen geöffnet? Doch schon gleich schämte ich mich für den Gedanken. Wie konnte der Tod eines Menschen etwas Gutes bedeuten? Wenn man jemanden verlor – hatte man ihn auch noch so wenig gekannt –, sollte man traurig darüber sein. Egal, ob er vielleicht nicht perfekt war, denn wer war das schon? Aber ich machte keine Abstufung, ob jemand arm oder reich war, jung oder alt. Na ja, zumindest versuchte ich das, was ehrlich gesagt in einer Anwaltskanzlei auch nicht so leicht war. In was hatte ich mich da bloß hineingeritten, fragte ich mich wieder. Nachdem ich mit der Dusche fertig war, hörte ich, wie es an der Tür klopfte. „Nein“, sagte ich mit einer Mischung aus leichter Wut und Genervtheit. Ich liebte meine Mutter zwar, wollte aber doch nicht jede einzelne Minute mit ihr verbringen.
„Alles okay?“, fragte sie besorgt durch die Tür.
„Ja, passt schon“, meinte ich.
Dann hörte ich, wie sie in ihr eigenes Zimmer ging. Was sollte ich bloß tun? War das langsam so ein Lagerkoller? Ich war irgendwo an einem kleinen, wenn auch sehr schönen Ort am anderen Ende von Deutschland. Gut, ich zwang mich selbst dazu abzuschalten, deswegen konnte ich niemandem etwas vorwerfen. Wäre es nicht besser gewesen, wenn ich einfach in München geblieben wäre? Einfach mein altes Leben weiterleben? Nein!, sagte ich mir klar in meinem Kopf. Es musste einen Grund haben, dass ich hier war, irgendjemand oder etwas – und sei es das Schicksal – wollte, dass ich hier war. Mir fiel ein, dass ich ja noch ein Buch dabeihatte. Somit konnte ich mir zum Abendessen wenigstens noch ein wenig die Zeit vertreiben. Es war keine besondere Geschichte, nur erheiternd. Es ging um eine Frau, die von ihrem Geliebten verlassen wurde und sie realisiert, dass sie sich nun ein neues Leben aufbauen musste. Jeder wusste, dass diese Geschichte damit enden würde, dass sie jemand Neues traf, allerdings stritten sie sich aus irgendeinem Grund, fanden am Ende aber dann wieder zusammen und lebten glücklich in einem kleinen romantischen Landhaus. Trotzdem lenkten mich solche Geschichten immer ab, auch wenn das oft nicht der Realität entsprach.