Читать книгу Annabelle - Frederike Gillmann - Страница 15
Kapitel 11
ОглавлениеIch schaffte es tatsächlich, in diese scheinperfekte Welt einzutauchen und tauchte erst wieder auf, als ich ein erneutes Klopfen hörte.
„Magst du mitkommen, um etwas zu essen?“
„Ja, ich komme gleich“, meinte ich und hievte mich aus dem Bett hoch. Ich tauschte meine gemütlichen Klamotten gegen etwas halbwegs Ausgehfeines, schnappte meine Tasche und beschloss, das Handy wieder auf dem Zimmer zu lassen.
„Na, hast du dich ein wenig beruhigt?“, fragte meine Mutter auf dem Gang. Eigentlich wollte ich Nein sagen, nur um ihr zu zeigen, dass man mit mir nicht so einfach umspringen konnte, aber im Endeffekt war es ja überhaupt nicht ihre Schuld gewesen. Sie machte sich ja nur Sorgen und wollte mein Bestes. Ich war die, die sich das Leben schwer machte.
„Ja, alles gut“, sagte ich ein wenig gespielt mürrisch, aber aus dem Augenwinkel sah ich, wie meine Mutter leicht grinste. „Wo gehen wir hin?“, fragte ich, um das Thema zu wechseln.
„Ich dachte, wir suchen uns wieder ein nettes Lokal.“ Das klang nach einer guten Idee. „Was hast du gemacht?“, fragte sie weiter.
„Gelesen.“
„Was?“
„Ach, nur so eine Kitschgeschichte. Du weißt schon, eine einsame Frau trifft auf einen Mann, verliebt sich in ihn, dann kommt aber irgendwas dazwischen und sie streiten sich, am Ende kommen sie aber wieder zusammen. Immer das Gleiche.“
„Hast du schon einmal daran gedacht, selbst etwas zu schreiben? Das hast du doch früher immer so gerne gemacht.“
„Manchmal schon. Ich denke mir oft, so schreiben kann ich auch, aber entweder ich habe nicht die Zeit oder die Muße, es weiterzumachen.“
„Ach schade, aber vielleicht ja irgendwann.“ Wir fanden einen kleinen Italiener im Zentrum. „Mmh“, machte meine Mutter, als sie die Karte studierte.
„Was denn?“
„Kalorienfrei ist das ja nicht gerade.“ Was sollte das denn jetzt?
„Was ist denn los? Kalorien haben dich doch sonst nie interessiert.“
„Ja, aber du weißt doch, mit dem Alter sollte man da schon drauf achten. Da ist der Stoffwechsel ja einfach langsamer.“ Das kam mir bei meiner Mutter gerade etwas komisch vor.
„Ach komm, du brauchst dir doch darüber keine Gedanken zu machen, du siehst doch super aus. Du solltest froh sein, dass du in dem Alter noch so fit bist.“
„Was soll das denn heißen in meinem Alter?“ Meine Mutter klang leicht empört.
„Nichts Persönliches“, erwiderte ich. „Ich meinte nur, dass es viele gibt, die Anfang sechzig schon Schwierigkeiten haben sich überhaupt zu bewegen. Und du bist doch immer noch fit, gehst spazieren und so.“
„Du hast wohl recht, na ja, trotzdem…“ Damit war das vorerst vom Tisch. Trotzdem entschloss sie sich dazu, nur einen Salat zu nehmen. Ich entschied mit für Spaghetti Aglio e Oglio und es schmeckte wirklich gut. Ich hatte sogar den Eindruck, es schmeckte besser als in München und war weitaus günstiger. Zum Nachtisch nahm ich ein Tiramisu, während meine Mutter lieber darauf verzichtete. Sie probierte einen Löffel und meinte, dass es gut schmecke, mehr wollte sie dann aber doch nicht. „Ist wirklich alles okay bei dir?“, fragte ich sie beim Kaffee.
„Ja, ja, alles gut. Ich freue mich, dass Thomas morgen kommt.“ Das tat ich auch.
„Hast du dir schon überlegt, wie es weitergehen soll?“, fragte sie dann weiter.
„Inwiefern?“
„Na, ob du am Ende der Woche wieder nach Hause fährst oder ob du hierbleibst.“
„Warum sollte ich hierbleiben?“ „Na, du findest es doch schön hier und dieser Ort scheint dir gutzutun.“
„Ja, aber ich muss doch zurück zur Arbeit. Sonst verliere ich noch meinen Job. Außerdem habe ich dort viel zu tun und dort sind Alex und Kathi. Und…“
„Und? Frieda, ich will dir nichts vorschreiben, aber denk drüber nach, noch ein bisschen hierzubleiben. Du kannst nicht immer nur die ganze Zeit an die Arbeit denken und wenn schon. Ich sehe doch, dass es dir hier besser geht als in der Stadt. Wenn es dir so wichtig ist, dann lade Alex doch einfach ein. Vielleicht gefällt es ihm hier.“
„Ich weiß nicht, Alex hat sich auf dem Land noch nie so wirklich wohl gefühlt.“
„Du doch auch nicht so wirklich“
„Man kann seine Meinung ändern.“
„Und warum sollte Alex das nicht tun?“ Ich blieb stumm und sah ein leicht triumphierendes Lächeln auf ihrem Gesicht. „Du solltest keine Ausreden suchen. Wenn irgendwas mit Alex nicht klappt, dann solltest du mit ihm darüber reden. Ihr seid zwei erwachsene Menschen und keine Kinder mehr.“
Wie recht sie doch hatte. Aber leider verlernte man die Gabe, Sachen einfach auszusprechen mit zunehmendem Alter. „Ich weiß, dass du es immer allen recht machen willst, ich war ja genauso, aber je weiter du es aufschiebst, desto unglücklicher machst du dich. Und Alex wahrscheinlich gleich mit.“
Weise Worte von ihr. Wir tranken stumm unsere Kaffees aus und machten uns dann auf den Heimweg. Ich fand, dass in einem Schweigen manchmal so viel mehr lag als in dem Gesagten. Und mit einem Schweigen konnte man so viel mehr sagen als mit Worten. Das merkte ich immer wieder. „Gute Nacht“, sagte meine Mutter zurück in der Pension.
„Gute Nacht, Mama“, sagte ich mit einem leichten Seufzen.
Auf meinem Zimmer fiel mir ein, dass ich ja noch Kathi zurückrufen wollte. Ich schaltete mein Handy ein und wählte ihre Nummer. Langsam konnte ich mich daran gewöhnen, mein Handy öfters mal auszulassen.
„Hey Süße, ich habe schon auf deinen Rückruf gewartet“, begrüßte sie mich fröhlich.
„Ja, ich war mal wieder unterwegs. Gibt ziemlich viel zu erledigen hier.“
„Das freut mich.“
„Also, was gibt’s? Du meintest, der Chef ist immer noch sauer?“
„Ja, glücklich ist er nicht gerade, aber du kennst ihn ja, für ihn kommt die Familie erst an zweiter Stelle.“
„Ja, das kenne ich schon“, meinte ich leicht niedergeschlagen. „Ich frage mich, ob das für ihn der einzige Grund war, mir den Job zu geben.“
„Ach was. Aber er ist halt von dir immer nur diese Topleistung gewohnt. Nicht falsch verstehen, bitte.“
Ich wusste schon, was Kathi meinte: ich war die, die immer abrufbereit war, immer alles gegeben hatte. Aber ich war auch nur ein Mensch und wie meine Mutter schon festgestellt hatte, schien mir so eine Pause mal ganz gut zu tun.
„Was soll ich tun, Kathi?“ Ich fand selbst, dass ich mich anhörte wie ein kleines Kind, aber ich brauchte jetzt nun mal Hilfe.
„Mmh, ich kann dir da leider wenig weiterhelfen, so gerne ich auch möchte. Ich glaube, du musst selbst mal mit ihm sprechen und ihm die ganze Sache näher erklären. Vielleicht hat er dann mehr Verständnis.“ Ich hatte da zwar so meine Zweifel, aber ich nahm mir vor, Kathis Ratschlag zu befolgen. Ich nickte stumm in den Hörer.
„Sonst alles klar bei dir?“, fragte sie.
„Ja, passt schon“, meinte ich. „Morgen kommt mein Onkel, Donnerstag ist die Beerdigung angesetzt und Freitag soll dann das Testament eröffnet werden.“
„Und dann?“, fragte sie weiter.
„Dann mal schauen. Ich weiß noch nicht. Mama hat auch schon gefragt, ob ich bleiben wollte, aber du merkst ja selbst, dass ich momentan überhaupt nichts weiß.“
„Oh Mann“, sagte sie. „Aber du hast ja noch ein paar Tage Zeit. Hast du eigentlich schon mal wieder mit Alex gesprochen?“
„Nein, nicht so wirklich. Also gestern Abend haben wir geschrieben.“
„Ist bei euch alles in Ordnung?“ „Ich denke schon…“, sagte ich leicht zögernd. „Du denkst schon?“, fragte Kathi skeptisch.
„Mann, Kathi, ich muss meine Gedanken einfach komplett neu ordnen. Irgendwie wirft mich das alles hier gerade total aus der Bahn.“
„Ja, das merke ich“, sagte sie und ich konnte ein Kichern in ihrer Stimme heraushören. „Und wie ist es bei dir so?“, fragte ich sie nun zurück.
„Och, sonst ist alles beim Alten. Weißt du was? Ich konnte Paul überzeugen…“
„Überzeugen von was?“, fragte ich begriffsstutzig.
„Überzeugen von Kindern! Wir werden es versuchen!“, hörte ich Kathi jubeln.
„Ach, Süße, das ist ja wunderbar!“ Ich freute mich wirklich für sie. „Dann werde ich ja bald vielleicht Patentante.“
„Ja, das wäre echt cool.“
„Du, wollen wir morgen weiterquatschen? Ich bin ein wenig müde“, sagte ich, obwohl das nicht ganz stimmte.
„Ja, unbedingt“, meinte Kathi, immer noch begeistert von der Nachricht, die sie mir gerade überbringen konnte.
„Cool, dann bis morgen“
„Schlaf gut, Süße. Und langweile dich nicht zu sehr.“
„Ich glaube, das passiert mir nicht, auch wenn Glücksburg nicht gerade eine Weltstadt ist. Mach‘s gut.“ Wir legten auf.
Ich freute mich wirklich für Kathi und dass sie vielleicht bald schwanger werden würde und von irgendwoher hatte ich auch auf einmal diesen Wunsch. Vielleicht hatte Alex ja recht und wir sollten es öfter versuchen. Sollte ich ihn anrufen? Nur um ihm zu zeigen, dass ich ihn nicht vergessen hatte? Aber was sollte ich ihm sagen? Irgendwie hatte ich das Gefühl, das wäre einfach so ein Pflichtanruf und nicht dieser „Ich vermisse dich so sehr“- Anruf. Was war bloß mit meiner Beziehung los? Vor ein paar Tagen lief doch noch alles so perfekt. Wie konnte sich das innerhalb von ein paar Tage ändern? Morgen würde ich ihn anrufen und meinen Chef vielleicht gleich mit. Auch da hatte meine Mutter recht: ich musste mir über meine Zukunft Gedanken machen. Wollte ich diesen Job behalten, der mir offensichtlich immer weniger gefiel? Mal schauen, vielleicht sollte ich auch mal mit Thomas darüber reden, vielleicht hatte er noch einen guten Rat parat. Ich entschied mich dafür, mit einem Film zu entspannen und holte meinen Laptop heraus. Zum Einschlafen entschied ich mich für eine Romantikkomödie. War das schon wieder ein sehnlicher Wunsch nach Romantik? Versuchte ich mir gerade eine heile Welt zu suggerieren, weil meine eigene gerade nicht mehr existierte? Ich versuchte, die Gedanken beiseite zu schieben, schaffte es aber nicht ganz und letztendlich versuchte ich einfach, mich auf den Film einzulassen und nicht immer alles zu zerdenken.