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Siebenter Brief.

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Inhaltsverzeichnis

Bremerhaven im Juni 1839.

Fortsetzung.

Da bei unserer am 26. d. Mittags erfolgten Ankunft im Hafen sich weder der Steuermann, noch der Kapitän sehen ließen, mußte heute ebenfalls auf die Beköstigung verzichtet werden, was bei sämmtlichen Passagieren die größte Unzufriedenheit erregte und zu lauten Klagen Veranlassung gab.

Die Schlafstellen im Zwischendeck waren numerirt, und die zunächst am Mittelmast gelegene, wo die Bewegung des Schiffes am wenigsten fühlbar ist, hatten schon einige Judenfamilien in Beschlag genommen, mußten jedoch ihre Effekten wieder wegräumen, da bestimmt war, daß das Loos entscheiden solle. Mir, dem Sohne meines Bruders, dem Glaser R. und dem Metzger R. fiel der untere Platz No. 18 zu, welcher ziemlich in der Mitte des Schiffes sich befand. Ueber uns logierten drei Bauern nebst einem Frauenzimmer, welche des Einen Braut sein sollte.

Um einen richtigen Begriff vom Schiffsleben zu erhalten, braucht man nur eine Nacht in dem Zwischendeck, wo 208 Menschen schlafen, zuzubringen, wo ohne Unterschied des Geschlechts und des Alters, säugende Kinder, Greise und hochschwangere Frauen unter einander liegen. Das Heulen der Kleinen, das Nachspotten unverständiger Laffen, das Schimpfen und Zanken roher Bauern, das Lachen und Schreien Solcher, die Nichts auf der Welt zu verlieren haben und einer schönen Zukunft entgegen zu gehen glauben, das nachgeahmte Heulen der Katzen und Bellen der Hunde; alles Dieses unterbricht die Ruhe der Nacht, und früh am Morgen trieb mich ein Knoblauchgeruch und die mephitischen Ausdünstungen, welche das faule Wasser im Kiel des Schiffs verbreitet, vom Lager.

In der Restauration, während des Frühstücks, erhielt ich die Kunde, daß auf dem Schiffe die größte Aufregung herrscht, da der Obersteuermann während der Abwesenheit des Kapitäns, der in Bremen war, keine Provision vom Schiffe aus verabreichen wollte, welches mehre Passagiere beunruhigen mußte, da solche keine Lebensmittel mehr besaßen, aber auch kein Geld zu deren Anschaffung hatten. Die Erbitterung wurde um so größer, als der später ankommende Kapitän erklärte, daß der für die Reise bestimmte Proviant, solange das Schiff noch nicht in See gegangen, nicht angegriffen werden dürfe, sondern der Mundbedarf von dem dazu beauftragten Agenten Herrn U. hier abgegeben werden müsse und wir uns lediglich an diesen zu halten hätten.

Dazu aufgefordert, und um Unordnung zu verhüten, stellte ich mich an die Spitze der Unzufriedenen und begab mich mit noch sechs Andern auf das Komptoir des Agenten, wo wir leider vernehmen mußten, daß wir nicht die Ersten seien, welche dergleichen Beschwerde führten und von den Schiffsmäklern in Bremen um mehre Tage Beköstigung geprellt würden, indem von Jenem kein Befehl an ihn zur Abgabe von Lebensmitteln an uns ergangen sey.

Auf meine Drohung, dieses widerrechtliche Verfahren zur Warnung Anderer öffentlich bekannt zu machen, erwiderte Herr U.[21] frech genug, daß uns dieses freistände und daß wir ja auch bei der Behörde in Bremen gegen Herrn W. auftreten könnten; wohl wissend, daß bei dem segelfertigen Schiff, welches stündlich zum Abgang bereit war, keiner von uns von diesem Vorschlag Gebrauch machen könne.

Meine Begleiter, welche ihren Unmuth über dieses sonderbare Benehmen des Herrn Ulrich nicht langer verbergen konnten, überhäuften ihn mit den gemeinsten Reden, die der saubere Herr gelassen einsteckte, da er vermuthlich an dergleichen Auftritte schon gewöhnt war. Es blieb uns jetzt nichts weiter übrig, als bei der Polizei-Behörde in Bremerhaven Schutz zu suchen, welche auch sofort durch einen Gensdarmen den Befehl absandte, daß die Agentur unverzüglich die nöthigen Lebensmittel auf das Schiff liefern solle, um sich nicht bei wiederholter Klage strengen Ahndungen auszusetzen. Geschah nun auch das Erstere, so erfolgte doch keine Entschädigung wegen der rückständigen Lieferungen und das Kostgeld vom 20. bis 28. Juni kam dem saubern Herrn zu Gute.

Eine neue Verlegenheit trat für uns ein, als der Schiffskoch, ein Neger, für die Deck-Passagiere nicht kochen wollte und vorgab, nur für die Kajüte und Matrosen engagirt zu seyn. Es wurde deshalb von uns die Einrichtung getroffen, daß das Geschäft des Kochens der Reihe nach, immer von acht Personen, besorgt werden sollte, welches aber das Unangenehme für sich hatte, daß bei stürmischer Witterung Niemand auf das schaukelnde Schiff sich getraute, wodurch mancher Fasttag entstand.

Die Zeit, welche der Auswanderer in Bremerhaven zubringen muß, langweilt sehr, da das ewige Einerlei durch Nichts unterbrochen wird, zumal wenn man die Gasthäuser meidet, wo öfters die Matrosen mit Erstern karambuliren; ich hielt mich daher gewöhnlich in einem Schiffswerft auf, wo mir durch Zuneigung der Arbeiter Gelegenheit ward, Manches, was Bezug auf Schiffsbau und Seereise hatte, kennen zu lernen. Um so öfterer wurde aber die Nachtruhe gestört, wie ich solches schon erwähnt und folgender purlesker Auftritt bezeugen wird: Durch Beihilfe des Untersteuermanns hatten sich zwei Juden als blinde Passagiere mit auf das Schiff begeben, ohne daß dieses irgend einem der übrigen Reisenden aufgefallen war. Da dieselben sich aber unpolitisch genug des Nachts zu weiblichen Personen gesellten, so wurde die Eifersucht rege, die Liebhaber der Schönen wurden erwischt und aus dem Versteck geworfen.

Durch den Lärm wurden Alle wach und da es Mehre schon längst auf die Israeliten abgesehen hatten, so wurde sofort bei dunkler Nacht ein förmliches Treibjagen nach den geängstigten Juden gehalten. Gleich gehetzten Rehen, von den Hunden verfolgt, deren Gebell treu nachgeahmt wurde, suchten die Armen Schutz in den Schlafstellen ihrer Genossen, da das Entrinnen unmöglich und der Ausgang besetzt war. Die Jäger, immer auf den Fersen und die Lust, sich unerkannt das Müthchen zu kühlen, spendeten der Jagdhiebe viele, und Mancher erhielt so, was man ihm längst zugedacht hatte. Zum Glück brachte der Obersteuermann Licht und hinter Fässern wurden die Gesuchten entdeckt, ergriffen und noch diese Nacht dem Gericht überliefert.

Die bis zum 4. Juli konträr wehende Luft hatte sich mehr zu unsern Gunsten gewandt, welches den Kapitän bestimmte, das Schiff am 5. durch den Lootsen aus dem Hafen bringen zu lassen, um solches neben drei andern, ebenfalls zur Abfahrt bereit liegenden Schiffen vor Anker zu legen, bis der Wind vollends sich gedreht und so die Fahrt schnell und sicher zwischen England und Frankreich durchgehen könne, da Seitenwind leicht nach dem nahen felsigen Ufer treibt, wo schon manches Fahrzeug auf Untiefen gestrandet ist.

Der heutige Tag wurde von den Amerikanern festlich gefeiert, die Flaggen aufgezogen und herrlich gelebt, da der 4. Juli, weil an solchen 1776 die Unabhängigkeit von englischer Herrschaft verkündet war, hoch in Ehren steht. Auch unsere Matrosen trugen das Ihrige bei und kamen erst spät am Abend benebelt auf dem Schiffe an, wo sie das vom Ufer nach dem Fahrzeug gelegte Bret auf allen Vieren passirt hatten.

Am 5. d. beim Grauen des Morgens mahnte schon des Obersteuermanns Stimme zum Aufbruch und bald rufte der Gesang der Matrosen beim Ordnen des Tauwerks die Passagiere auf das Verdeck, um noch einmal das nahe Ufer zu sehen; die aufgehende Sonne spiegelte sich in mancher Thräne, welche bei der Trennung vom Vaterland den Zurückgebliebenen geweint wurde. Ein dumpfes Lebewohl schallte in die Lüfte, aber die Geliebten, welchen es galt, vernahmen es nicht.

Unwiderstehlich zog es mich nochmals auf die Erdscholle, welche mein Vaterland mit einschließt, um am Ufer unbelauscht den mannigfachen Gefühlen, welche in dieser Scheidestunde meine Brust beengten, durch Thränen Luft zu machen. War es Ahndung einer beschwerlichen Seereise, oder wie soll ich das Grauen nennen, welches sich meiner bemeisterte, als ich das Schiff von Neuem besteigen wollte. Furcht vor Gefahren war es nicht, denn diese kannte ich nicht, da eine innere Stimme mir zurief: Du siehst die Deinen wieder! und doch hing zentnerschwer der Boden unter meinen Füßen, als wolle er mich zurückhalten auf Deutschlands Erde. Nur eines Gedankens war ich mächtig, an Weib und Kinder, und ihr Bild stand vor meinem Herzen. Heilige Vorsätze glühten in meiner Seele und meine Lippen stammelten Segen für die Zurückgebliebenen. Unaufhaltsam flossen die Thränen, da der Schmerz mich übermannte. Fieberkrank nahm ich das Schiffslager ein, um es sobald nicht wieder zu verlassen.

Ich selbst durfte von dem gesalzenen Fleisch nur wenig essen, noch weniger von dem Wasser trinken, welches zur Seereise bestimmt war, da dieses bei mir Erbrechen verursachte. Der Kaffee mußte daher das Beste thun.

So sind denn dieses die letzten Zeilen, welche ich an Euch, meine Lieben, von hieraus schreibe, und auf Gott vertrauend, treten wir die große Seereise an. So lebt denn Alle wohl! und bin ich auch fern, so ist doch mein Geist stets um und neben Euch.

Wahn und Ueberzeugung

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