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Zwölfter Brief.

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Inhaltsverzeichnis

New-York im August 1839.

Ausschiffung.

Wie bei Entlassung eines Inhaftirten das Geräusch der ihm abnehmenden Ketten, demselben ein noch nie vernommener Wohlklang ist und sich noch im Kerker frei und glücklich fühlt, eben so hocherfreut waren Alle, als die schweren Ketten die Anker rasselnd in den Meeresgrund hinabließen, und wir uns, geborgen vor Sturm und Wellen, dem nahen Ufer gegenüber befanden. Brennend vor Verlangen, die feste Erde wieder zu betreten und an frischem Brod und Wasser uns zu laben, wünschten wir nach Abgang des Kapitäns selbst ans Ufer zu fahren, wovon wir aber mit dem Bescheid zurückgehalten wurden, daß Niemand das Schiff verlassen dürfe, bevor der Quarantaine-Arzt den Gesundheitszustand der Passagiere untersucht und durch Nachzählen der Personen ermittelt sei, ob die Anzahl derselben mit der Größe des Schiffes nach der Tonnenzahl[30] im Einklang stände.

Bald darauf kamen in einer mit der großen amerikanischen Flagge geschmückten Gondel zwei Herren an, wovon der Eine sich als Arzt, der Andere als Gerichtsperson ausgab. Die Sache selbst aber, warum sie erschienen, war von ihnen nur oberflächlich behandelt. Die sich ins Zwischendeck zurückgezogenen Passagiere wurden während des Hinaufsteigens gezählt und nach der Kajüten-Seite zu verwiesen, weshalb sich leicht und unbemerkt aus dem Zwischendeck durch die Vorkajüte und beim Ersteigen der Kajüten-Treppe überzählige Personen, wenn sich solche am Bord befanden, wieder mit den gezählten vermischen konnten. Eben so schnell wurden die Schlafstellen selbst untersucht, und das Nichtauffinden Versteckter außer Zweifel gestellt.

Keiner wollte ins Spital wandern und Krankheits halber zurückbleiben. Alles hatte die Lager geräumt und den Ausschlag möglichst zu verbergen gesucht. Mit klopfenden Herzen harrten solche unreine Passagiere des Weitern, als der Befehl erging, uns en fronte aufzustellen. „Rechts um, Marsch!“ wurde kommandirt und im Gänseschritt mußten wir vor dem Arzt vorbeidefiliren, wobei Jeder die Zunge möglichst lang hervorstrecken mußte, um den darauf sitzenden Krankheitsstoff erkennen zu können. Demnach waren binnen fünf Minuten 208 Passagiere als gesund erkannt und als tüchtig zum Eintritt in die vereinigten Staaten befunden worden.

Um uns lagen Schiffe von verschiedenen Nationen vor Anker, unter welchen man an der aufgehängten Wäsche auf den Segelleinen die erkannte, welche mit Auswanderern befrachtet waren.

Auch wir erhielten jetzt Befehl, die Wäsche zu wechseln, sowie alle schmutzigen Sachen möglichst zu reinigen, damit morgen, dem Abgange nach New-York, nichts im Wege stehe. Alles kam jetzt in Allarm. Die Holzkübel, woraus es Manchem so trefflich geschmeckt, wurden in Waschgefäße verwandelt und darinnen das Ungeziefer in Unzahl ersäuft. Das Bild eines aufbrechenden Lagers stellte sich dar; hier wurde ein- dort ausgepackt, die Strohsäcke ins Wasser geworfen und diesen manches Hemde, ja ganze Anzüge nachgeschickt. Theils durch Scherz oder aus Muthwille wurden unbrauchbar gewordene Koch- und Nachtgeschirre und leere Bouteillen ins Meer geschleudert, wodurch es an Zank und Streit nicht fehlen konnte, und wobei ein Bubenstreich leicht noch zur Balgerei Veranlassung gab, da man böswillig eine der Leinen zerschnitten, auf welcher mehre gewaschene Hemden gehangen, welche nun der Wind ins Wasser trieb.

Ich und mein Neffe verfehlten ebenfalls nicht uns umzuziehen, und die noch wenig Werth habenden Kleider mit allen Bewohnern wurden in die Fluthen des Meeres befördert. Auch den Leib suchte man möglichst zu reinigen, was freilich nur unvollkommen geschehen konnte, weil dazu der Ort mangelte, an dem es der Anstand erlaubt hätte, solches ungenirt thun zu können; doch hinderte dieses Viele nicht. Frei, den halben Leib entblößt, standen sie da, und boten so, nicht achtend der Eltern Bitten, die erwachsenen Kinder zu berücksichtigen, der Unschuld Hohn. „Nichts mehr von Befehlen, Freiheit ist das Loosungswort, morgen wird das Land betreten, wo Einer wie der Andere gilt!“ Dieß war die Antwort der Frechen.

Bei solchen Gesinnungen war es am räthlichsten, sich stillschweigend von Individuen zu sondern, welche zum Abschaum der Menschheit gehörten und den innern Schiffsraum zu meiden, der heute mehr als gewöhnlich durch Scheuern vor den Schlafstellen gereinigt wurde, und wo man sich um so bänglicher fühlte, seitdem man dem Lande so nahe war, wo der Blick mit sehnlichem Verlangen auf dem Gestade verweilte.

Herrlich und groß ist der Eindruck, welchen die paradiesische Landschaft gewahrt, und übersteigt alle Erwartung. Das Quarantäne-Gebäude am Fuße von staten-Island, welches mit drei Reihen jonischer Säulen geziert, wie ein fürstlicher Pallast emporsteigt, fällt am ersten ins Auge. Weiter hinauf erblickt man freistehend oder zwischen Bäumen die verschiedenartigsten Breterhäuser aufgebaut, welche alle einen Anstrich von weißer Oelfarbe haben und äußerst nett aussehen. In sanften Anhöhen erhebt sich staten-Island mit allen Reizen der Natur. Die Bäume prangten noch mit dem üppigsten Grün, nur die Wiesen fingen an gelb zu werden; sie dienen zum Aufenthalt zahlreicher Heerden von Hornvieh und Pferden, deren Glockengetön uns melodisch ansang. Die meisten Felder waren ebenfalls schon bis auf den in Haufen stehenden Hafer geräumt; nur der Mais stand noch im vollen Grün, und verherrlichte die Landschaft mit seinen rothen Büscheln.

Rechts ist long-Island, deren rauhe mit Wald bewachsenen Bergwände an die Urwälder erinnern; doch auch auf dieser Seite sind weiter hinab, hinter Bäumen versteckt, einzeln stehende weiße Häuser sichtbar.

Die Einfahrt zwischen long-Island und staten-Island erweitert sich nach New-York hin immer mehr zu einem See, und unvergleichlich ist auch hier das Panorama, welches sich dem Auge darstellt. Viele Schiffe lagen theils vor Anker, oder fuhren mit geschwellten Segeln hin und her; eben so erkannte man an den dicken Rauchsäulen die Dampfschiffe, welche zum Transport nach andern amerikanischen Staaten, oder zur Kommunikation von New-York und den Eilanden dienen. Kleine Boote umschwärmten in Unzahl die Gestade und ließen schon hier das innere Leben erkennen. Am äußersten Ende liegt New-York, eine der größten Handelsstädte der Welt, umgeben von Schiffen aller Nationen, deren Masten dem Auge selbst den Anblick der Stadt entziehen, und nur die zahlreichen Thürme und großen Feueressen der Fabrikgebäude ragen über die Erstern hervor. Durch kleine befestigte Inseln und eine auf der hervortretenden Landspitze von long Island erbaute zirkelrunde Batterie, welche mit einem Fort auf einer gerade gegenüber liegenden Insel korrespondirt, wird die Stadt vor feindlichen Angriffen geschützt. Verschiedene andere Werke vertheidigen die Einfahrt in die Bai.

Unter solchen Ansichten und Betrachtungen war der Abend herbeigekommen, das Gewühl auf dem Schiffe legte sich, und jeder von uns suchte ein Ruheplätzchen, welches aber diese letzte Nacht auf dem Fahrzeug um so härter und unbequemer war, da die meisten Strohsäcke über Bord geworfen waren, und man befürchten mußte, von Neuem Ungeziefer zu bekommen. Die rege Phantasie hielt mich lange auf dem Verdeck wach, bis auch mir der Gott des Schlafes die Augen schloß, und süße Traumbilder eilten nach dem Land der Hoffnung voraus. Doch bald wurden wir von Neuem durch das Anschlagen der Wellen und das Brausen des Windes geweckt, welcher das Schiff vom Anker zu reißen drohte. Ein fürchterlicher Orkan hatte sich erhoben, welcher das Fahrzeug, gehalten von zwei großen Ankern, dennoch eine Strecke zurückschob. Alle Ursache hatten wir, Gott zu danken, daß wir nicht um einen Tag später hier an sicherer Stätte ankamen; denn wer vermag zu sagen, was vielleicht auch aus uns so nahe am Ziele geworden wäre, da manches Schiff in dieser furchtbaren Nacht gestrandet und ein Opfer der Sturmeswuth geworden ist. Als aber am Morgen der wüthende Orkan eben so schnell sich gelegt, als er entstanden, und die Alles belebende Sonne freundlich auf uns herniederblickte, da entquollen manchem Auge Thränen des Dankes, und tief gerührt versank ich in Anbetung der Allmacht.

Am 17. August gegen Mittag legten sich zwei Transportschiffe an unser Fahrzeug an, worauf außer den Passagieren auch sämmtliche Kisten geladen wurden, die nicht im untern Raume des Schiffs verpackt, sondern neben den Schlafstellen gestanden hatten, und brachten uns nach der einige hundert Schritte vom Ufer entfernten, auf im Wasser eingerammelten Pfählen erbauten Barriere, wo wir von Neuem ausgesetzt und die Sachen einer Revision unterworfen wurden, damit nichts Steuerbares unverzollt eingebracht werden konnte. Doch die geöffneten Kisten wurden nur oberflächlich untersucht, so daß man sich damit begnügte, nur die obern Schichten abzunehmen, ja selbst bei mehren Koffern nicht einmal Hand anzulegen für nöthig hielt, und sofort mit Kreide das Zeichen geschehener Revision signirte. Nur meinem Landsmann, dem Zimmermann S., welcher eine Kiste mit altem Werkzeug fest vernagelt und nicht vorher geöffnet hatte, wurde solche mit Gewalt aufgeschlagen und bis auf den Boden entleert.

Während obiger Prozedur erkundigte sich ein gewisser Herr Rückardt, Agent der deutschen Gesellschaft in New-York, nach unserm Stand und Gewerbe, und gab den Ort seiner Wohnung an, wo wir, wenn es nöthig seyn sollte, uns Rath holen könnten, ohne jedoch irgend einem der 208 Deck-Passagiere sofort ein Unterkommen zuzusagen; auch stellte er Mehren die Aussicht auf ein solches nicht als erfreulich vor, welches den Muth Vieler nicht wenig niederschlug, da sie, von aller Baarschaft entblößt, auf sofortiges Unterkommen und Verdienst gerechnet hatten. Doch, „nur den Muth nicht verloren!“ (rief Einer dem Andern zu), „noch sind wir nicht am Ziele; erst in der Stadt angekommen, werden wir im Lande der Freiheit schon das Nöthige finden!“

Schnell wurde Alles wieder auf die Schiffe gebracht, um neu Ankommenden Platz zu machen. Ein schneidender Wind schwellte die Segel, und Nachmittags 4 Uhr nach einer sechs Wochen langen Seereise erreichten wir glücklich die mit Menschen angefüllten Ufer von New-York.

Wahn und Ueberzeugung

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