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Sechzehnter Brief.

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Inhaltsverzeichnis

New-York im Oktober 1839.

Fortsetzung.

Bis zum 12. Oktober ging Alles gut, und von meinem Verdienste, 1½ Dollar täglich, wurde nicht viel verausgabt, da ich mich bei meinem Schuldner, dem Zimmermann S. auf gemeinschaftliche Kosten mit einlogirt hatte, ihn so unter Aufsicht behielt, und dieses mir Gelegenheit darbot, durch Anrechnen der Hälfte Hausmiethe (2 Dollars monatlich), ohne daß es ihm drückend wurde, nach und nach zu meinem Guthaben zu gelangen.

Am 12. Abends, von schwerer Arbeit ermüdet und erhitzt, ging ich nach dem River (Fluß) um mit dem Dampfboote nach New-York, wo ich wohnte, überzufahren, kam aber zu spät, und da dasselbe schon abgegangen war, sah ich mich genöthigt, in kalter Abendluft des Bootes Rückkehr zu erwarten. Ein kalter Schauer überfiel mich, und bevor ich noch das Quartier erreicht, bekam ich die fürchterlichste Kolik. Branntwein ist hier die gewöhnliche Medizin, welche bei derartigen Anfällen in Anwendung gebracht wird, und auch ich suchte durch Anrathen in einem Trinkstore mir durch mäßigen Genuß Linderung zu verschaffen. Des Getränkes nicht gewöhnt, nöthigten die erschlafften Glieder bald, die Augen zu schließen, bis mich noch heftigere Schmerzen weckten, weil bei abgelegter Bandage der Leibesschaden hervorgetreten war, und die krampfhafte Verschließung der Oeffnung, den Rücktritt unmöglich machte. Nur wer an gleichem Uebel gelitten, vermag zu empfinden, was ich in dieser Lage habe abhalten müssen. Nichts war vermögend den Schmerz zu stillen, und mit sehnlichem Verlangen erwartete ich am Morgen die Ankunft des deutschen Arztes, von welchem ich Hülfe hoffte. Erst Nachmittags 3 Uhr erschien dieser und um meine Verzweiflung auf das Aeußerste zu treiben, erklärte er: daß mein Quartier einen nicht schicklichen Ort abgebe, um einen derartigen Schaden zu operiren, er wolle aber dahin wirken, daß ich sofort in dem Spital aufgenommen werde. — Doch leider berichtete erst der Magistrat, von welchem der weitere Befehl zur Aufnahme ausging, an den Eigenthümer des Schiffes, welches uns nach Amerika übergeführt, weil aus dessen Kosten meine Verpflegung Statt finden sollte, da wir noch nicht über ein Jahr im Lande seyen, in welcher Zeit derartige Verpflegungen dem Schiffseigner zur Last fallen, wenn der Kranke selbst kein Vermögen besitzt[38].

Dieser, um Gewißheit zu erhalten, ob ich einer der Passagiere sey, welcher sein Schiff mit befrachtet habe, schickte den Kapitän an mich ab, der nun in Begleitung eines Viertelsmeisters Nachricht über meine Lage und sonstigen Vermögensverhältnisse auszukundschaften suchte. Nach gewonnener Ueberzeugung, daß ich unter die Kategorie der Unbemittelten zu rechnen sey, machte derselbe noch einen Versuch durch Anbieten einiger Dollars, mich von meinem Verlangen, im Hospital aufgenommen zu werden, abzubringen, obgleich er sah, daß durch Verzögerung der nöthigen Hülfe mein Leben auf dem Spiele stand.

Während dieser Weitläuftigkeiten waren schon zwei Tage verflossen, und die entzündeten Theile verursachten durch anhaltendes Reiben und Drücken, die heftigsten Schmerzen, und mehrten die Gefahr, so daß mich die Angst vom Lager auf- und zurücktrieb, und mein Wimmern weit gehört wurde. Meiner Sinne nicht mehr mächtig, wünschte ich selbst mein Ende herbei, und murrte gegen den, welcher der beste Helfer in der Noth ist. Erst gegen Morgen nach der dritten Nacht verlangte der Schlaf seinen nöthigen Tribut, und schon stand die Sonne hoch, als man mich mit der Nachricht weckte, daß der Krankenwagen vor dem Hause halte.

Was ich von diesem Spital gehört, ließ mir solches als offenes Grab erscheinen und war schon die Aversion vor solchem hinreichend, von der nähern Bekanntschaft abzuschrecken, um so mehr fühlte ich Veranlassung gegen die Fuhre mich zu sträuben, da sich meine Natur, auf dem höchsten Gipfel der Gefahr, während des Schlummers selbst geholfen hatte und Gottes Güte mich noch länger den Meinen zu erhalten schien. Doch hier half kein Sträuben; der Befehl zum Abholen war gegeben und ich mochte wollen oder nicht, wurde ich doch in einen verschließbaren Breterkasten geschoben, welcher sogleich wieder verschlossen ward, damit den Inwohnern die Möglichkeit benommen werde, zu entschlüpfen.

Nicht allein war ich in diesem Behälter, schöne Gesellschaft saß noch neben mir. Eine Negerin mit verbundenem Kopfe hatte sich in die Ecke gekauert und ein Kreole, welcher durch Wetzen und Reiben zu erkennen gab, was ihm fehle, (oder besser, zu viel an sich hatte) saß mir gegenüber. Ein graußiger Anblick! schon spürte ich selbst ein Fressen, suchte mich möglichst entfernt zu halten, und sah daher mit bangem Sehnen der Oeffnung des Schlages entgegen.

Bald rechts, bald links, fuhr der Wagen durch lange Straßen eines Stadtviertels, welches ich noch nicht betreten und große unbebaute Räume enthielt, von welchem wir nur durch die hohen kleinen Löcher, wodurch das Licht spärlich in den Wagen fiel, die Spitzen der Bäume, oder das Dachgesims der Häuser erkennen konnten. Das Thor vom Vorhof unserer Bestimmung wurde nach erfolgtem Einlaß sogleich wieder geschlossen, damit keiner der hier Lebenden ohne besondere Erlaubniß sich entfernen könne.

Um sämmtliche, eine Stunde von der Stadt, am Wasser und auf Sandhügeln ausgeführten Gebäude dieser großen Armen- und Kranken-Anstalt geht eine Mauer und gleicht so beim Anblick einer kleinen Festung, welche alles Nöthige in sich faßt, um, abgeschnitten von der Stadt, auf längere Zeit mehre Tausende ihrer Bewohner erhalten zu können. Außer den nöthigen Apotheken findet man hier alle Professionisten in Thätigkeit, wie Schuhmacher, Schneider, Bäcker, Tischler, Wagner, Schmiede, Schlosser etc., welche ihrer Armuth wegen vom Magistrat erhalten, doch selbst nach Kräften die schaffenden Hände rühren müssen um zu ihrer Verpflegung möglichst mit beizutragen. —

Vor dem Administrations-Gebäude hielt der Wagen. Einige Aerzte, worunter ein Deutscher, erkundigten sich nach meinem Befinden und bestimmten nach genommener Rücksprache unter sich den Krankensaal, welcher mich aufnehmen sollte. Meine Reisegesellschaft wurde ebenfalls untersucht und anderswo untergebracht.

Zum dritten Stock eines langen Gebäudes führte die an der äußern Giebelseite angebrachte Treppe, welche zugleich mit einem Altan versehen war, worauf man bei heiterem Himmel frische Luft schöpfen konnte. Ringsum im Gemach standen die Schlafstellen und über jeder hing an der Wand ein Täfelchen, worauf der Name des Bedauernswerthen geschrieben war, welcher hier lag. Alles war besetzt, doch wie immer Einer dem Andern Platz macht in diesem Leben, hatte auch hier Freund Hain für mich gesorgt. Dicht an der Thür war Einer selig entschlafen und an dessen Stelle nahm ich die mit weißem Betttuch und frischen wollenen Decken versehene Lagerstätte ein. Zum Liegen verdammt, wurde mir das Aufstehen streng untersagt, ich erhielt Salbe und Spiritus zum Einreiben der entzündeten Stelle und der Magen, obgleich immer bei gutem Appetit, wurde mit Homöopathie kurirt. Thee und trockenes Brod des Morgens und Abends; mit Reis, Graupen oder Hirsen ohne Fleisch, wechselte man das Mittagsbrod.

Der Arzt, welchem die Kranken in diesem Saal anvertraut, verstand kein deutsch, und das Einzige, was solcher zu mir sprach, erstreckte sich nur auf das Wort: „Schmerzen?“ welches von mir, je nach Umständen mit: Yes oder No (Ja oder Nein) beantwortet wurde, das Uebrige mußte die Pantomime ersetzen. Zu allen diesen Unannehmlichkeiten gesellte sich bald die Langeweile, da ich des Englischen, welches hier nur gesprochen, nicht vollkommen mächtig war und die Klagetöne der Kranken, welche das Zimmer erfüllten, nicht zur Aufmunterung beitragen konnten. Doch auch hier ward geholfen, da ein Lehrer der deutschen und französischen Sprache, welcher seiner Angabe nach früher Professor in der Schweiz gewesen seyn wollte, nicht weit von mir ein Plätzchen fand und so zu meiner Unterhaltung beitrug. Der Arme litt an Steinschmerzen und mußte sich schmerzhaften Operationen unterwerfen. Neben ihm lag ein Schwindsüchtiger, dessen Lebenslicht nur langsam zu verlöschen schien. Dieser erhielt zur Stärkung ausnahmsweise bessere Speise, doch der Wärter, bedacht, daß der Kranke den Magen nicht überladen sollte, theilte jedesmal brüderlich die Portion und aß solche, unverschämt genug, sogleich vor Aller Augen.

Am achten Tage meines Hierseyns wurde ich mit einer neuen Leib-Bandage versehen und schon glaubte ich meine Entlassung nahe, als eine neue Plage mir beschieden, indem ein böses Friesel zum Vorschein kam und mich unwillkührlich an meinen Reisegefährten, den Kreolen, erinnerte; vermuthlich aber war es Ansteckung von meinem Vorgänger, dessen Lager ich eingenommen hatte.

Mehr und mehr schrumpfte bei aller Entbehrung der hungrige Magen und schon war die Bandage bis zum letzten Loch geschnallt. Was mir aber am meisten die Erlösung wünschenswerth machte, war der unerträgliche Luftzug beim Oeffnen der Thür während der Reinigung des Zimmers und bei dem fortwährenden Gehen der weniger kranken Patienten auf dem Altan, da eine so nöthige Doppelthür hier fehlte.

Am letzten Tage meiner Entlassung, den 30. Oktober, karambolirte ich noch mit dem Krankenwärter, der, ein Freund der Kunst, zugleich die Kommodität damit zu verbinden verstand, da er die vor jedem Bette befindlichen Spucknäpfe mit in den Sand gezeichneten Figuren verziert und wegen Nichtbeschädigung dieser Narrensposse daneben zu spucken anempfahl, welchem nachzukommen ich unterlassen hatte und dafür das beliebte Schimpfwort der Amerikaner, „Niks komm heraus!“ welches sie sich gegen die Deutschen bedienen, mehrmals mit anhören mußte[39].

Auf das ärztliche Zeugniß, daß ich einer weitern Behandlung nicht mehr bedürfe, bekam ich auf dem Bureau eine Karte, gegen die, beim Pförtner abgegeben, mir das Thor geöffnet wurde, und hungrig wie ein Wolf, eilte ich der alten Wohnung zu, um durch Speise und Trank die erschlafften Glieder aufs Neue zur Arbeit zu stärken.

Doch hier hatte sich während meiner Abwesenheit die Lage des Zimmermanns S. nicht gebessert, da er nur theilweis Beschäftigung gefunden und, um seine Familie zu ernähren, immer noch Sachen veräußern mußte. Auch an meine bei ihm in der Stube zurückgelassene Uhr war die Reihe gekommen und als Ersatz für dieselbe erhielt ich die trotzigen Worte: „daß ich ihm die Uhr nicht in Verwahrung gegeben und er deshalb auch nicht dafür verantwortlich zu seyn brauche.“ Doch noch schmerzlicher als dieser Verlust traf mich der von S. gemachte Vorwurf, daß ich durch die in Bremen ihm vorgestreckten Gelder der Urheber seines und seiner Familie Unglück sey, weil ihm nur dadurch die Möglichkeit gegeben worden, die Reise von da aus nach Amerika fortzusetzen. Dieses war mehr als Undank, und es blieb mir nichts, als diese bedauernswürdige Familie zu verabscheuen. Um der Ruhe willen und da ich auch unter solchen Verhältnissen für meine übrigen Sachen besorgt war, räumte ich sofort das Quartier, quittirte meine Forderung und fand bei dem Bäckermeister, wo mein Neffe und Freund Hallbauer in Arbeit waren, eine sichere und gastfreundliche Aufnahme.

Während meines Aufenthalts im Spital hatte sich Vieles im Geschäftsleben der New-Yorker verändert, indem am 5. und 6. November ein neuer Gouverneur gewählt werden sollte, bei welcher Wahl Whigs und Demokraten kein Mittel unversucht ließen, um die möglichst große Anzahl Stimmen für die Kandidaten ihrer Parthei zu erhalten und einem von diesen den gewöhnlich auf drei Jahre einzunehmenden Posten zu verschaffen. — Haben schon lange vorher die Zeitschriften sich abgemüht, alle wahren und erdichteten Fehler der am Ruder stehenden Personen zu beleuchten, so wird um die Zeit der Wahl das Gefecht desto hitziger und die ernsthafte Sache selbst, durch die verschiedenartigsten Karrikaturen ins Lächerliche gezogen. Unter freiem Himmel, so wie in passenden Lokalen, werden großartige Versammlungen besucht, wo die feurigsten Redner ihrem Gegner kein gutes Haar auf dem Haupte lassen. Treffende Witze und sonstige beißende Bemerkungen werden in Menge gespendet und der Applaus verräth die Anerkennung, welche die Versammlung dem Sprecher zollt. Besäße einer der Kandidaten nur die Hälfte der Fehler, welche man zu rügen keinen Anstand nimmt, wie traurig sähe es um das so gepriesene Amerika aus, welches dann so arm an rechtschaffenen Leuten seyn müsse. Doch nicht mit Rede und Schrift allein sucht man zu siegen, Bestechungen aller Art sind im Gefolge und viele Tausende werden geopfert. Auch die Noth der Zügel für die Armen in diesem freien Lande kömmt hier den Reichen trefflich mit zu Statten, da diese schlau genug zur Zeit der Wahl die Mehrzahl ihrer Leute entlassen. — Wer würde wohl nun anders denken, anders wählen als der Brodherr selbst? und um solchen zu gefallen und sich geneigter zu machen, unterlassen auch die Arbeiter nicht, möglichst viel Stimmen für ihre Parthei zu gewinnen. So kann es nicht anders kommen, da die Kandidaten selbst nichts unterlassen sich den Sieg zu verschaffen, daß nicht immer der Würdigste im Volke die Gouverneur-Stelle erhält, sondern eher ein solcher, der der gewandteste Intriguant ist.

Auch in der Fabrik des John Benson, wo ich vor der Krankheit in Arbeit gestanden, waren die meisten Gehülfen entlassen, und mir selbst das Wiederanfangen vor der Wahl, nicht erlaubt. Doch, um solches eher zu erzielen, trat ich jetzt mit meinem Plane hervor. Ich übergab Zeichnungen der neuesten, in Deutschland in Anwendung gekommenen Schwarzischen Brenn-Apparate, und stellte die Bedingungen, unter welchen ich mich zur Ausführung dieser Arbeiten verpflichtete. Die Sache selbst fand Anerkennung; leider konnte ich aber die gestellten Fragen wegen Welschkorn-Brennen nicht beantworten, da bei uns diese Fruchtart nicht gebräuchlich ist; ich sah mich deshalb veranlaßt, erst in den westlichen Staaten die nöthigen Kenntnisse zu sammeln und dann hierher zurückzukehren.

Wahn und Ueberzeugung

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