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Zweiter Brief.

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Inhaltsverzeichnis

Bremen im Juni 1839.

Fortsetzung.

Die Witterung am dritten Tage unserer Reise war ebenfalls äußerst ungünstig, da es fortwährend näßte und Staupen gab, so daß, als wir das Eisfeld passirten, welches schon dem Namen nach keine warme Gegend verspricht, wir uns mitten in den Winter versetzt glaubten. Das gestrige Gewitter hatte in dieser Gegend großen Schaden verursacht; die Felder verschlämmt, die Straßen zerrissen und in mehren Ställen das Vieh ersäuft. Das größte Unglück hatte aber eine Auswanderer-Familie aus Baiern betroffen, welche bei herannahendem Gewitter den Wagen verlassen, um nicht vereint den Blitz an sich zu ziehen. Nur zwei kleine Kinder, in wollene Decken gewickelt und mit Betten zugedeckt, um sie vor der Nässe zu wahren, wurden auf dem Wagen zurückgelassen. Wer vermag aber den Schrecken der Mutter zu beschreiben, als sie nachsieht und eins derselben erstickt findet.

In Duderstadt, dem Grenzorte vor Hannover, wurde heute etwas früher als gewöhnlich das Nachtquartier bezogen, da hier die Pässe visirt, das nöthige Reisegeld vorgezeigt und auf das Gepäck Durchgangszoll entrichtet werden mußte.

Die Schuhmacherfamilie, durch die Abwesenheit des Großvaters, nach welchem die Kinder beständig fragten, voller Unruhe und äußerst betrübt, hielt den Muth der übrigen Gesellschaft fortwährend niedergedrückt, und ich hatte meine ganze Beredsamkeit aufzubieten, um den Armen Trost zuzusprechen. Eben saßen wir insgesammt am Tisch, um das Nachtmahl einzunehmen, als der Sohn des Zurückgebliebenen, welcher vor dem Hause auf und abgehend, der Ankunft des Vaters ängstlich geharrt, mit dem Freudenrufe hereinstürzte: „Ach Gott, mein armer Vater kömmt!“ Er war es, doch in welchem Zustande? Ganz erschöpft sank er zu den Füßen seiner Kinder nieder.

Der arme alte Mann war in Gotha beim Einkauf von Schnupftaback von seinem Begleiter getrennt worden und ohne weiter zu fragen, auf dem geraden Wege, welcher nach Eisenach führt, fortmarschirt. In dem Wahne, die Wagen seyen noch zurück, hat er bereits einige Stunden Weges zurückgelegt, bis ihn die Müdigkeit zum Einkehren zwingt, wo er den Irrthum erst gewahrt, und da kein näherer Weg ihn auf den richtigen Pfad leitet, sieht er sich genöthiget, nach Gotha zurück zu wandern. Das Gehen entwöhnt, zum Fahren ohne Geld, muß er mit Angst und Noth, da ihm ein wunder Fuß nur langsam zu gehen erlaubt, den Seinen nachzukommen suchen. So wankt er, nur wenige Stunden der Ruhe gönnend, Tag und Nacht seinem Ziele zu. Nur noch zwei Stunden vom Grenzort entfernt, schwinden ihm die Kräfte ganz; er kann nicht weiter und sucht schon Nachtquartier. Da kommt ein Reisender (sein guter Geist) und zeigt ihm die Möglichkeit, uns heute noch einzuholen, da wir in Duderstadt verweilen müßten, was morgen weniger möglich sey, wenn ihm durch Ruhe die ausgespannten Sennen erschlaffend, den Dienst zur Weiterreise versagen würden. Diese Aufmunterung wirkt, er sucht von Neuem sich fortzuschleppen und kömmt gleich dem Galeerensclaven, den man im Schauspiel sieht, bei seinen Kindern an.

Aufs Neue bat ich jetzt, daß Niemand mehr den Zug verlassen sollte und ahnete nicht, daß ich selbst schon in den nächsten Tagen gleich jenem mich verirren würde.

Die Witterung schien sich am 7. Juni günstiger zu gestalten. Die Sonne brach die trüben Wolken und mit ihren warmen Strahlen drang neues Leben in uns ein. Alle hatten die Wagen verlassen und nur der Irrgänger blieb wie zerschmettert auf demselben liegen.

In Einbeck trafen wir mit einer Gesellschaft Baiern zusammen, die ebenfalls ihr Heil in Amerika suchen wollten und logirten mit ihnen im Gasthofe zur Stadt London. Doch bald sollten wir erfahren, daß wir wirklich in London waren, weil alles sehr theuer war. Hatte es daher schon am Abend beim Zahlen der Zeche Verdrießlichkeiten gegeben, so wurde der Unmuth und die Zänkerei um so lauter, als man das zur Streue dienende Stroh nur spärlich herbeischaffte und der Wirth sich beleidigender Ausdrücke bediente, weil nur wenige von uns Betten verlangten. Mir selbst blieben in der überfüllten Stube, dicht an der Thür nur einige Halmen zur Unterlage übrig, weshalb ich mehr und mehr links zur Nachbarin rückte, die freundlich Platz zu machen schien, als ein Marqueur über meine Beine stolperte und meinen Nachbar rechts mit dem gefüllten Waschbecken begoß. Dieser, welcher diese Taufe für beabsichtigten Schabernack hielt und ohnedies auf Jenen, der sich unberufen in Liebeshändel eingemischt, aufgebracht war, faßt schnell des Marqueurs Beine und kühlt seinen Muth an diesem Armen. Der Wirth, gelockt vom Lärm, eilt mit den Seinen herbei, doch eben so schnell verlassen wir das Lager, und da aus Zufall oder List die Lichter schnell verlöschen, erhält mancher in der Dunkelheit einen Schlag, welcher ihm nicht zugedacht war. Ich selbst, der nächste an der Thür, verzichtete auf Ruhm und Ehre, ergreife schnell die Flucht und suche Schutz auf einem unserer Wagen, wo mein Bruderssohn sich schon hinredirirt hatte. — Neuem Zank am Morgen zu entgehen, wurde der Wagen früh von uns verlassen, in der Absicht, im nächsten Dorfe die Reisegefährten zu erwarten.

Die majestätisch aufgehende Sonne versprach heute einen der schönsten Tage unserer Reise, und froh und vergnügt, da uns manche Scene vom gestrigen Abend zum Lachen zwang, waren wir im Gespräch bis zu der Stelle gekommen, wo der Angabe nach ein über den Berg führender Feldweg das Ziel der Reise um eine Stunde abkürzen werde, und uns später wieder auf die Straße leiten sollte. Obgleich mit rüstigen Füßen die ermüdende Straße zum Bergdorf bald zurückgelegt war, so sanken wir doch erschöpft auf das zum Ruhen einladende junge Gras und die reizende Gegend in das weit sich ausbreitende Thal ließ bald die gehabten Beschwernisse vergessen. Im Dorfe selbst war so früh des Tages noch Niemand zu erspähen, wo man die nöthige Erkundigung in Betreff der Richtigkeit des Weges hätte einziehen können. Es wurde daher von uns der hinter demselben angetroffene gebahnte Weg muthig betreten, welcher aber bald rechts bald links in mehre Arme sich ausbreitete, schwer noch die richtige Straße erkennen ließ. Nach einem mehrstündigen Wege war endlich in weiter Ferne die sich um einen Berg windende Chaussee dem Auge sichtbar, welche nach der Gegend führte, wohin unser Fußweg durch Getraidefelder sich schlängelte. Schnell eilten wir vorwärts, um noch vor Ankunft der Wagen unsere leeren Magen zu füllen und auszuruhen.

Eben hatte ich mich, auf den bestellten Kaffee wartend, auf der Schenkbank ausgestreckt, als der Wirth neugierig nach dem Ziel unserer Reise fragte, und als er Willwingen als den Ort unserer heutigen Etappe vernommen, die Schreckenskunde gab, daß dieses nicht der Weg nach jener Stadt sey, indem diese Straße ins Münsterland und nicht nach Hannover führe. Zu früh, setzte er hinzu, hätten wir am Morgen die Chaussee verlassen, da solche in zwei Arme getheilt, der eine links zu ihm, der rechts aber für uns der richtige gewesen sey. Sollte ich fluchen oder beten? Ich, der erst anbefohlen, daß Keiner die Wagen mehr verlassen sollte, mußte selbst Fersengeld entrichten und hatte dabei für Spott der Reisegesellschaft nicht zu sorgen. Um nicht die gekommene Straße zurück machen zu müssen, führte uns ein angenommener Bote einen Holzweg über die steilen Berge, und so erreichten wir nach vierstündigem sauern Marsch die richtige Chaussee.

Zu unserm Glück hatten die Fuhrleute am Morgen etwas später als gewöhnlich eingespannt, und da sie uns vermißten, langsam gefahren, weshalb wir im nächsten Gasthofe noch einige Zeit auf die Gesellschaft warten mußten. Von jetzt an verließ Keiner mehr die Wagen.

Wahn und Ueberzeugung

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