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Eilfter Brief.

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Inhaltsverzeichnis

New-York im August 1839.

Fortsetzung.

Bis den 18. August ging die Reise ziemlich gut und nichts Bemerkenswerthes kam vor, außer daß am letztgenannten Tage der Wind das Schiff in eine unordentliche, für uns äußerst widerwärtige Bewegung versetzte, indem es sich nicht regelmäßig nach vorn und hinten hob und senkte, sondern mit dem Hintertheile tiefer als mit der Spitze einsank und doppelt so viel Zeit brauchte, um sich wieder zu erheben. Hatte es sich endlich ins Gleichgewicht empor gearbeitet, so neigte es sich am Vordertheil um einige Fuß und fiel dann wieder zurück, welche anhaltende Bewegung gleich Sturm zum Erbrechen reizte und viele Passagiere seekrank machte.

Obschon das Tabacksrauchen aus verschlossenen Pfeifen im Zwischendeck vielen Passagieren unangenehm war, um wie vielmehr hätte aber, Feuersgefahr halber, das Cigarrenrauchen im Innern des Schiffes verboten seyn sollen? Dieses war aber bei uns nicht der Fall, da sowohl am Tage wie auch des Nachts Cigarren in den Schlafstellen geraucht wurden. Alle Vorstellungen, daß beim vorhandenen Pulver leicht mögliche Gefahr zu befürchten sey, halfen Nichts; man berief sich auf Ober- und Untersteuermann, welche ebenfalls mit brennender Cigarre, zu Verabreichung der Lebensmittel in den untern Schiffsraum stiegen, und so riskirte man lieber das Leben, als einer Leidenschaft zu entsagen.

Am 9. August war es aber leicht möglich, daß wir für diesen Leichtsinn bestraft werden sollten. Ein Passagier legte auf dem Wege zum Appartement die brennende Cigarre auf die Kajüten-Küche neben ein Segeltuch und vergaß solche wieder an sich zu nehmen. Vom Wind angefacht, fing Letzteres Feuer, und schon schlug die Flamme nach den ausgespannten Segeln, als ein entschlossener Matrose den Feuerklumpen ergriff und über Bord warf. Von jetzt an wurde erst alles Rauchen im Zwischendeck streng untersagt, welches bis hieher zwar nicht erlaubt, dennoch aber auch nicht verboten war.

Am 10. erhielten wir die ersten Vorboten des nicht mehr fern seyenden Landes, indem uns ein gelblich grünes Meergewächs entgegen schwamm, welches unsern Wachholderstauden ähnlich und mit kleinen grünen Beeren besetzt war, und zum Aufenthalt einer Masse kleiner Thierchen diente, welche im Dunkeln gleich hellen Funken leuchteten.

Gleich wie das Schiff während der Reise immer mit Möven und andern Seevögeln umgeben war, welche ab und zuflogen, eben so stellten sich auch am 12. die ersten Schwalben ein, welche uns gleichsam zu bewillkommnen schienen, das Schiff umschwirrten und sich traulich auf Taue und Masten niederließen.

Der Kapitän aber suchte fortwährend die Nähe des Landes zu verheimlichen, um uns entweder damit zu überraschen, oder die Möglichkeit erwägend, daß wir zwar nahe am Ziel, dennoch von Neuem verschlagen werden könnten, und hielt so, die Entfernung immer noch auf mehre Tage angebend, die Erwartung gespannt.

Das uns gereichte Trinkwasser war nicht mehr zu genießen, und da am 11. das Mittagsbrod ebenfalls dem Schweinefutter glich, indem die Mehlgraupen vom stinkenden Wasser blau und gleich Leinweberschlichte nicht munden wollten, so war der Unwille allgemein; die Holzkübel mit dem Essen wurden aufs Verdeck getragen und der Kapitän gefragt: „ob das die versprochene genießbare Beköstigung sey?“ Auch wurde jetzt ernstlicher besseres Trinkwasser verlangt, gleich dem, welches die Matrosen und Kajüten-Passagiere erhielten, da durch heimliches Hinabsteigen in den untern Schiffsraum einige Passagiere in Erfahrung gebracht, daß von solchem noch mehre Fässer vorhanden waren. Das Letztere wurde gewährt, nachdem sich der Kapitän selbst von der Ungenießbarkeit des faulen Wassers überzeugt hatte, und Alle fielen mit solcher Begierde über das Wasser (welches immer schon sechs Wochen alt war) her, als wenn es das beste Lagerbier gewesen wäre.

Bei Austheilung des bessern Wassers fand die größte Ungleichheit statt, so daß sich die Zudringlichsten doppelte Rationen zu verschaffen wußten; andere hingegen, welche Krankheit ans Lager fesselte, um so weniger erhielten. Es erging daher von mehren Seiten an mich, der das Laufen so ziemlich wieder gelernt hatte, die Bitte, mich der Sache anzunehmen und mehr Ordnung und Gleichmäßigkeit herzustellen. Von dieser Zeit an wurde von mir jeder Schlafstelle das ihr gehörige Quantum Wasser richtig zugemessen.

Den 15. früh, beim kaum dämmernden Morgen, erscholl der längst ersehnte Ruf: „Land! Land!“ mit welchem einige Passagiere, die diese milde Nacht auf dem Verdeck zugebracht, Alles in Allarm brachten. Jeder verließ schnell das Lager, um das Ziel seiner Wünsche zu sehen.

Auch auf mich wirkte dieser Ruf mit Zauberkraft, so daß ich mit Leichtigkeit aufsprang und zum ersten Mal ohne fremde Hülfe auf das Verdeck eilte. Doch Land war zur Zeit nirgends noch zu sehen; nur das Wegreisen der Abtritte und die Sage der mit dieser Arbeit beschäftigten Matrosen gab Veranlassung zu diesem Scherz. Doch das Erstere ließ vermuthen, daß wenigstens der Kapitän des nahen Landes gewiß seyn mußte, wodurch Viele getäuscht, in jeder dunkeln Wolkenmasse den neuen Welttheil zu erblicken wähnten.

Mir selbst bleibt jener Morgen unvergeßlich. Ich bin nicht vermögend, die seeligen Gefühle zu beschreiben, welche theils die Gewißheit baldiger Befreiung aus dem Kerker, in dem ich fünf Wochen krank auf dem Strohsack liegend, zugebracht, hervorruften, theils aber auch den Glauben, das Ende aller Leiden vielleicht heute noch auf amerikanischem Boden zu erreichen, bekräftigten.

Die stille großwogende See lag wie ein Spiegel vor uns ausgebreitet, über uns wölbte sich der heitere Himmel und schien am äußern Horizont auf den Meereswellen zu ruhen. Nichts vermochte die Sehnsucht nach dem neuen Vaterlande zu stillen, keiner wich einen Augenblick vom Verdeck, Essen und Trinken ward vergessen, bald da, bald dort das Land entdeckt, doch immer war es nur ein Trugbild der Phantasie. Nur mit Mühe konnte ich in der vom Steuermann angegebenen Richtung mittelst des Fernrohres am Rand des Horizontes etwas unterscheiden, welches die Küste seyn sollte, die sich, je nachdem das Schiff sich hob oder sank, bald höher über dem Wasserspiegel zeigte, bald wieder ganz dem Blick entschwand. Andere Passagiere sahen wegen der schaukelnden Bewegung gar nichts durch das Fernrohr, wieder andere behaupteten, nur eine Wolke zu erblicken, und somit wurde Neugierde und Sehnsucht fort und fort gesteigert und Einer hielt den Andern nur zum Besten. Erst gegen 8 Uhr konnte man jenen Punkt, welcher der neue Welttheil seyn sollte, als feststehend in der beweglichen Wellenmasse mit bloßen Augen erkennen, welcher sich, je näher wir kamen, immer weiter ausbreitete und höher emporstieg. „Land! Land!“ war der einzige Ruf, den man von jetzt an hörte. Väter hoben die Kinder in die Höhe und zeigten solchen das neue Vaterland, von welchem sie ihnen schon so vieles Unglaubliche erzählt und die Neugierde gereizt hatten. Alte Mütterchen weinten, da sie beim Anblick bergiger Höhen an die verlassene Heimath erinnert wurden, wo sie die Jugendzeit verlebt und noch manches theure Familienglied zurückgelassen.

Immer deutlicher wurden die grünen Ufer mit ihren waldbedeckten Bergen, woraus da und dort wie ein Lichtpunkt ein weiß angestrichenes Haus hervorragte, und mit jedem Augenblick mehrten sich die neuen Gegenstände, welche die Aufmerksamkeit fesselten.

Von allen meinen Gedanken und Empfindungen in diesem Augenblicke Rechenschaft zu geben, ist unmöglich. Der große Kolumbus stand vor meiner Phantasie, und ich empfand deutlich, was er empfunden haben mochte, als ihn nach vielen Gefahren der Freudenruf: „Land! Land!“ überraschte. Also auch du sollst die Erde sehen und den Boden betreten, welchen der große Ozean von deinem Vaterlande trennt, und der in der frühen Jugend schon deine Aufmerksamkeit gefesselt? Wer hätte das gedacht, mir solches voraussagen können! Der Mensch ist also ein Spielball des Geschickes.

Der Kapitän hatte kaum eine blaue Flagge als Zeichen, daß sich noch kein Pilot auf dem Schiffe befinde, aufgezogen, als aus verschiedenen Richtungen kleine Fahrzeuge auf uns zusteuerten, welche sich den Rang streitig zu machen suchten. Jede Welle schien das gebrechliche flache Boot verschlingen zu wollen, und je näher sie kamen, desto ängstlicher ward uns zu Muthe, da man jeden Augenblick glaubte, sie hätten ihr Grab in der Tiefe gefunden; doch eben so schnell kamen sie wieder zum Vorschein, um von Neuem zu verschwinden.

Nachdem eins der Boote sich uns genähert, wurde ihm ein Seil zugeworfen, an welchem einer der sechs Männer, die es barg, das Schiff zu erklettern suchte. Alles drängte sich neugierig zu, um den ersten unerschrockenen Menschen der neuen Welt zu sehen, welcher sich nicht scheute, auf einem Fahrzeuge gleich einer Nußschale bei Sturm und Gewitter den Meereswellen zu trotzen, den Reisenden weit in die See entgegen zu schwimmen, um das Schiff, da er vertraut mit Untiefen und Klippen ist, in sichern Hafen zu geleiten.

Der Lootse übernahm nun die Leitung des Schiffs und den Befehl über die Matrosen, sprach wenig mit dem sich zurückziehenden Kapitän, placirte sich nicht weit vom Steuer auf die Blanke des Schiffs und warf von Zeit zu Zeit das Senkblei aus. Bei schwachem Wind fuhren wir nur langsam in die Bai von New-York zwischen long Island und staten Island ein, und warfen vor der Quarantaine-Anstalt Anker.[29]

Wahn und Ueberzeugung

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