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Neunter Brief.

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Inhaltsverzeichnis

New-York im August 1839.

Fortsetzung.

Kaum hatte der Lootse das Schiff verlassen, als sich der Wind von Neuem drehte, so, daß der Kapitän sich gezwungen sah, die Fahrt durch den Kanal aufzugeben, und, um den Seitenwind mehr benutzen zu können, um England herum zu segeln beschloß, bei welcher Gelegenheit die Passagiere die Küsten Schottlands gleich Nebelstreifen vor sich ausgebreitet sahen.

Am 10. steuerte ein aus Amerika kommendes Schiff auf uns zu. Sogleich wurden die Flaggen gehißt und einige Segel beigelegt, wodurch die Schiffe, im Lauf gehemmt, sich einander nähern und die Kapitäns, vermöge der Sprachröhre, über Lage und Breite, unter welchen man sich befindet, von wannen und wohin man kommt und fährt u. s. w., die gewünschte Auskunft ertheilen.

Den 12. wurden wir aufgefordert, die im Zwischendeck aufbewahrten und in Fäulniß gerathenen Kartoffeln über Bord zu werfen, da solche des faulen Geruches halber der Gesundheit schädlich zu werden droheten. Zu diesem Geschäft fühlten sich aber Viele nicht verpflichtet, da sie ihrer Meinung nach bei stattgefundenen erhöhten Fahrpreisen um so weniger zu Arbeiten gezwungen werden könnten. Die Vorstellungen der Vernünftigen halfen nichts, keine Hand wurde gerührt, und schon streckte der pestilenzialisehe Geruch Mehre aufs Krankenlager, da befahl der Kapitän das Kochen so lange einzustellen, bis geschehen sey, was Vernunft und Gesundheit unumgänglich nöthig machten; welches Zwangsmittel so probat war, daß es jedes Mal in Anwendung gebracht wurde, wenn widerspenstige, die Ordnung nicht liebende Passagiere die Plätze vor den Schlafstellen nicht reinigen wollten. Die über Bord geworfenen Kartoffeln wurden sogleich von Fischen, welche in Menge das Schiff verfolgten, verschlungen.

Den 15. brachte ein begangener Diebstahl mehre Passagiere in Streit, welcher bald in blutige Händel überging, und bei welchem sich herausstellte, was für saubere Subjekte mit am Bord waren, da durch gegenseitige Beschuldigungen die Diebe bemerkt wurden, welche ungestraft glücklich der Justiz entwischt oder von ihren Gemeinden auf Kosten der Letztern nach Amerika befördert wurden. Auch an Freudenmädchen fehlte es nicht, welche nur zum Schein die Spröden spielten, gegen die Huldigungen der Matrosen aber nicht unempfindlich waren und deshalb von denselben in Schutz genommen wurden.

Kaum hatte sich der Lärm gelegt, als von Neuem Blut vergossen wurde. Der Zimmermann S. erhielt das seiner Frau im Schaffen gereichte Mehl mit dem Bemerken durch die Oeffnung im Deck zurück, es sey solches zu viel; das nun auf die Hälfte reduzirte Quantum ward ebenfalls mit der Weisung wieder herabgereicht, jetzt sey es zu wenig, worauf der Mann voll Zorn den Schaffen durch die Oeffnung warf. Das Geschirr fehlte die Frau, sprang aber am Tauwerk ab und verwundete einen Baier am Kopfe so tief, daß er umsank. Seine Landsleute sprangen zu, und Rache war die Loosung. Schon drangen sie in’s Deck, um den Thäter zu ergreifen, doch dieser flehte weinend um Erbarmen, schützte Zufall und seine ihn ärgerlich gestimmte Krankheit vor, und erhält so, vereint mit den Bitten seiner Kinder, die erbetene Gnade.

Der 16. war ein rauher nebeliger Tag und der Steuermann kündigte auf die Nacht Sturmwind an; da wir aber schon während der Fahrt einige starke Winde erlebt hatten, so legte sich Alles ohne Sorge zur Ruhe, nicht ahnend, was da kommen sollte. Es mochte wohl Nachts gegen 11 Uhr seyn, als der Wind heftig zu toben anfing und die Wellen, sich an dem Fahrzeug brechend, den hohlen Bau zu zertrümmern drohten und ihn ganz auf die Seite legten. Das Geschrei der Matrosen während des Einziehens der Segel und das Alles übertönende Kommandowort des Kapitäns ließ die Erfüllung der Voraussage auf Sturm vermuthen. Eben beschäftigt, mit meines Neffen Hülfe das Lager nach der hängenden Seite des Schiffs zu ändern, als sich solches zurückbiegt, in dem Augenblicke aber mit einer solchen Schnelligkeit umprallte, daß wir aus den Cojen geworfen wurden. Das Lager wieder zu erreichen, war bei der Dunkelheit im Zwischendeck, da alle Luken fest verschlossen und kein Stern eindringen konnte, nicht möglich. Auf allen Vieren kriechend, mühte ich mich vergebens ab, und aus der Richtung gebracht, wurde ich immer mehr von der Schlafstelle entfernt. Ganz betäubt, da sich das Erbrechen sofort einstellte, und unvermögend, an den beweglichen Kisten mich festzuklammern, wurde ich so auf dem Fußboden hin und her geschleudert, bis mir endlich nach vielen erhaltenen Stößen ein festgenageltes Bret einen Ruhepunkt zu gewähren schien; doch beim zweiten Griff, um mich im sichern Raum aufzuschwingen, erwischte die Hand einen weichen Fuß, der dem Schreie nach, welchen die Schöne ausstieß, einer Unschuld angehören mußte, worauf die Schläge einer Männerfaust am Weitergreifen mich verhinderten und ich so von Neuem gleich den übrigen Effekten herumgeworfen wurde, bis der Jammerton meinen Neffen herbeiführte und wir vereint, auf allen Vieren kriechend, (da Aufrechtgehen unmöglich war) mit vieler Mühe die Lagerstätte erreichten. Immer heftiger ward der Sturm, wodurch Kisten und Laden durch das Zerreiben der Stricke sich lösten und, gegen einander geworfen, den Inhalt leerten, und somit Eß-, Trink- und Nachtgeschirr durch einander flogen. Schlag auf Schlag stürzten die tobenden Wellen über das Verdeck und drohten solches zu durchbrechen, und Mancher glaubte schon, sein Grab in den Meereswellen zu finden. Doch ärger und ängstlicher, als Sturm und Wellenschlag, erfüllte das Angstgeschrei der Kinder und Weiber die dunkeln Räume, wobei die Letztern den Männern gewöhnlich alle Schuld des zu ertragenden Unglücks zuzuschreiben Ursache zu haben vermeinten.

Bei alle dem Unglück und auszustehender Angst, wo die Mehrsten beteten, Kinder weinten, schrieen Andere wieder vor Lachen auf, wenn ein geängstigter Jude bei jedem Wellenschlag mit einem Auwei-Ruf in Abrahams Schoos zu wandern glaubte, und das Wasser, welches seiner Meinung nach zur Rettung keine Balken habe, verwünschte.

Hat schon das Uebereinanderbetten manches Unangenehme im Gefolge, um wie viel mehr wird solches aber bei Sturmeszeit verspürt, wo die obern Seekranken die unter ihnen Liegenden reichlich beschmutzen, wie ich jetzt zu erfahren volle Gelegenheit hatte, da ein Baier mir ein reichliches Maas der genossenen Erbsen über meinem Haupte entlud.

Der täglich für die Passagiere bestimmte Branntwein wurde nicht alle Morgen, wie es Vorsicht und Gesundheit erforderten, ausgegeben, sondern aus Bequemlichkeit des Proviantmeisters sogleich auf acht Tage gefaßt. Da solcher aber seiner schlechten Qualität halber nicht von jedem Passagiere genommen wurde, so benutzten dieses die Säufer und faßten die für Jene bestimmten Portionen auf deren Namen mit. Doch an Mäßigkeit nicht gewöhnt, war die unausbleibliche Folge, daß im Rausch Mancher vergaß, Mensch zu seyn und seinem Nächsten lästig wurde. Doch von üblern Folgen hätte der 18. d. uns werden können, wenn der angehende Sturm sich nicht bald wieder gelegt, da an diesem Tage der gereichte äußerst schlechte Branntwein sofort an die Matrosen verschenkt oder gegen Waizen-Schiffs-Zwieback[26] vertauscht worden war. Berauscht durch übermäßigen Genuß, lagen dieselben im tiefen Schlafe, als am Abend der sich erhebende Wind das Einziehen der Segel nöthig machte; Alle aber waren unvermögend, sich weder aufrecht zu erhalten oder in den Segeln zu arbeiten, noch das Kommando des Kapitäns zu vernehmen. Jetzt half der Steuermann nach und trieb dieselben mit einem Schiffstau, mit welchem er die Armen unbarmherzig über Kopf und Hände schlug, aus ihrem Rausch. Von dieser Zeit an wurde an jedem Morgen der Branntwein in einzelnen Portionen vertheilt und mußte auf der Stelle getrunken werden. Keinem war es gestattet, denselben im Glas, um ihn, wie es eigentlich der Zweck war, nach dem Genuß fetter Speisen zu trinken, mitzunehmen.

Bei dem Kochen des Kaffees, der für alle Passagiere im großen Kessel gebraut wurde, trat sehr oft der Fall ein, daß entweder zu viel oder zu wenig von diesem Labetranke bereitet worden war, indem die dazu beauftragten Personen nach ihrer eigenen Willkühr die Quantität Wasser dazu bestimmten; als aber noch durch den immer mehr und mehr abnehmenden Kaffeegeschmack die Erfahrung gemacht wurde, daß die sich mit dem Mahlen der Kaffeebohnen beschäftigten Personen das Metzen nicht vergaßen, so wurde fortan der gebrannte Kaffee in gleichen Portionen an jede Schlafstelle vertheilt, und Jedem selbst überlassen, wie viel er von dem kochenden Wasser verwenden wolle. Mit dem Thee verblieb es jedoch beim Alten, da derselbe reichlicher gespendet und von den Passagieren weniger begehrt wurde, weil derselbe bei mangelndem Zucker, Milch und Rum, in fauligem Wasser gekocht, bald Jedem widerstand.

Am Abend des 21. starb ein 19jähriges Frauenzimmer, welches schon kränklich das Schiff in Bremerhaven bestiegen und vom letzten Sturme vollends erschöpft und aller Hülfe entbehrend den Beschwernissen der Reise unterliegen mußte. Das Begräbniß erfolgte sogleich am folgenden Morgen, nachdem die Leiche in den Strohsack eingenäht worden, um die Schlafstelle, wo noch drei andere Passagiere mit placirt waren, zu reinigen. Kein Drängen der Reisenden zum Begräbniß, wie ich vermuthet hatte, fand statt, obgleich ein solcher Fall während der Fahrt noch nicht vorgekommen war. Alles scheute den Tod und blieb zurück. Nur der Bräutigam der Seeligen half den Matrosen beim Transport der Leiche aus dem Zwischendeck.

Da ich selbst nicht vermögend war das Lager zu verlassen, bat ich meinen Neffen, der Armen die letzte Ehre zu erzeigen und mir die dabei üblichen Formen und Gebräuche zu berichten, indem ich mir das Zeremoniel beim Einsenken in die See noch rührender als auf dem Lande dachte. Doch weder Steuermann noch sonst ein Anderer vertrat die Stelle des Geistlichen, kein Kapitän ließ sich sehen, alles blieb ruhig und so wurde die Leiche auf ein Bret gebunden, mit zwei Kugeln beschwert und ohne Sang und Klang in das Wasser hinabgelassen, wo sie alsbald ein Raub der Fische ward, welche, die Leiche witternd, das Schiff in Unzahl umschwärmten.

Am 25. wurden drei Schiffe bemerkt, welche gleich unserm Fahrzeug die Richtung nach Amerika nahmen, sich aber ziemlich entfernt hielten und, bald sichtbar bald nicht, den Passagieren einige Tage die Zeit verkürzten.

Als am 27. von einer Elsasser Familie das im Holzkübel gefaßte Mittagsbrot auf der neben der Treppenleiter stehenden Kiste verzehrt werden sollte, sah sich der besorgte Vater einer Judenfamilie genöthigt, das Schiff von einem mephitischen Geruche zu befreien, ward aber noch auf der Treppe von einer überschlagenden Welle getauft, wodurch er das Gleichgewicht verlor und mit seinem Nachtgeschirr zwischen die Elsasser fiel. Voller Wuth stürzten die Letztern den vollen Kübel mit den so verdorbenen Erbsen über den Kopf des vor Schreck halbtodten Juden, welchen auf seinen Hülferuf die Glaubensgenossen wieder zu befreien suchten; aber der schlüpfrige Boden, verbunden mit dem Schaukeln des Schiffes, machten das Feststehen unmöglich, und so fiel Einer über den Andern, welches sattsamen Stoff zum Lachen gab.

Am 31. verfolgten zwei junge Wallfische das Schiff, welche durch das fontänenartige Aussprudeln des Wassers den Passagieren zur Belustigung dienten. Besonders aber bringen bei warmer Witterung und ruhiger See die Meerschweine (Delphine) eine Abwechselung in das alltägliche Leben, da solche oft in stundenlangen Linien, einer hinter dem andern, zwei bis drei Schuhe hohe Sprünge über die Wasserfläche machen.

Ich selbst, der bis jetzt das Lager noch nicht verlassen, heute mich aber besonders wohl fühlte, wünschte dieses Schauspiel zu sehen und das Entzücken zu genießen, welches der Anblick des unendlichen Meeres zum ersten Mal auf den Menschen ausübt. Ich suchte daher mit Hülfe meines Neffen, da ich nicht vermögend war allein zu gehen, das Verdeck zu ersteigen und, am Mittelmast gelehnt, genoß ich in vollen Zügen die reine heitere Luft. Doch ein Blick auf das Meer ließ mir solches erscheinen, als wenn es tief in den Abgrund versinke und eben so schnell wieder zu den Wolken sich erhebe. Schwindel ergriff mich, Alles drehte sich mit mir im Kreise, es stellte sich das Erbrechen ein und zwar mit einer solchen Heftigkeit, daß ich mehr todt als lebendig zurück in das Verdeck getragen werden mußte.

Vier Wochen war ich also auf dem großen Weltmeere herumgeschwommen, ohne von der unermeßlichen Wassermasse, die uns umgab, Etwas gesehen zu haben, und würde vergessen haben, wo ich mich befand, wenn das geräuschvolle Anschlagen der Wellen nicht daran erinnert hätte.

Wahn und Ueberzeugung

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