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Vierter Brief.

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Inhaltsverzeichnis

Bremen im Juni 1839.

Aufenthalt in Bremen und Bremerhaven.

Wohl eine Stunde irrte ich durch die mit Menschen und Wagen gefüllten Straßen, um den Gasthof aufzusuchen, wo unsere Fuhrleute ausspannen wollten, damit ich mit dem Wirth über das Unterkommen der ganzen Gesellschaft akkordiren könnte. Niemand wollte das betreffende Gasthaus in der Altstadt kennen, bis endlich ein Helfershelfer der Herren Wirthe sich erbot, mir den Weg zu zeigen[6]. Derselbe brachte mich in ein Haus, welches zwar das rechte Schild, der Wirth aber einen anderen, als den von unsern Fuhrleuten angegebenen Namen führte. Letzterer erbot sich sogleich, uns sämmtlich gegen ein Billiges aufzunehmen[7], weil, wie er versicherte, sein Hôtel nur für Auswanderer eingerichtet sey, und obschon einige Vierzig bereits bei ihm logirten, so würden wir doch noch Alle Platz finden. Dabei ermangelte er nicht, weidlich auf seine Herren Kollegen loszuziehen und solche als Preller darzustellen, denen es nur darum zu thun sey, die mit den Verhältnissen der Stadt nicht vertrauten Auswanderer möglichst zu bevortheilen. Während des Gesprächs wurde mir fleißig zugetrunken, dabei der äußerst billige Wein gerühmt, und als Probe der hier gebräuchlichen guten Kost eine Mahlzeit vorgesetzt, ohne dafür Zahlung anzunehmen. Alles nur, um zu zeigen, wie gut ein Jeder in dieser Herberge aufgehoben sey. Auf mein Bemerken, daß ich wenigstens da, wo die Fuhrleute ausspannen würden, hinterlassen müsse, in welchem Gasthofe man mich auffinden könne, erbot sich der gefällige Wirth, mich in eigener Person zu geleiten, da ich es ablehnte, seinen Hausknecht mit meinem Auftrage dahin abzuschicken, und stellte unterwegs noch billigere Bedingungen, als wie sie schon vorher gemacht worden waren.

Der rechte Wirth in der Neustadt beherbergte gewöhnlich nur Fuhrleute, durch mich aber, der mit dem Eilwagen vorausgekommen, vermuthlich auf die Idee gebracht, daß ich für lauter wohlhabende Auswanderer Quartier bestellen solle, von welchem sich Etwas verdienen lasse, war ebenfalls sogleich erbötig, uns sämmtlich aufzunehmen. Mein Führer, ärgerlich darüber, uns zu verlieren, gab mir verstohlen ein Zeichen zum Weggehen und erzählte mir nun im Vertrauen, daß ein Jeder, welcher Auswanderer zu einem Schiffsmakler bringe, Einen Gulden Douçeur pro Kopf erhalte, welches Geld ich ohne Beihilfe eines Andern selbst verdienen könne. Dagegen mußte ich die Versicherung geben, möglichst dahin zu wirken, daß die ganze Gesellschaft nicht hier, sondern bei ihm logire. Jetzt wurde mir erst die Ursache von diesem Verrath klar; da der Schurke das Kopfgeld nicht selbst verdienen konnte, so entzog er es auch seinem Kollegen, dem er es nicht gönnte.

Da ich sogleich im Bremerhaven, welcher 10 Stunden von Bremen entfernt ist, die nöthigen Erkundigungen wegen der vorhandenen Schiffe und deren Abgang einziehen wollte, so benutzte ich das eben dahin abfahrende Dampfschiff, wo ich nach einer Fahrt von fünf Stunden im Hafen ankam.

Hier erblickte ich ein Bild, welches ich zu sehen nicht erwartet hatte. Ueber 2000 Auswanderer lagen im Hafen zusammengedrängt, theils auf drei großen Schiffen, theils in Privat- und Gasthäusern auf Kosten der Schiffsmakler. Von einem Landsmann wurde ich auf eines dieser Schiffe eingeführt, wo ich sogleich einen Vorgeschmack der Seereise bekam. Schaudererregend war der Anblick der hier in dem engen Raume zusammengedrängten Menschenmenge, wo durch einander Männer und Weiber, Jung und Alt, ohne Rücksichtnahme auf gebildete Personen, die größten Zoten zum Besten gegeben, wo manch altes Bauernweib die letzten Fetzen der Hemden ihrer Familie zusammensuchte, um sie zu gebrauchen, da diese dann bei der Ankunft, nebst dem eingewohnten Ungeziefer ersäuft werden. Hier sitzt eine besorgte Mutter und reinigt den Kopf des Kleinen, dort hat ein Kind sein Lager besudelt und dicht daneben schmeckt Anderen der erhaltene Thee nebst Schiffszwieback ganz vortrefflich; während dessen wird auf dem Oberdeck getanzt und gesungen, und oft wie ich so eben Gelegenheit hatte mit anzuhören, das Ganze von zwei bösen Sybillen, die sich veruneinigt hatten, überschrieen. Jetzt wurde mir einleuchtend, weshalb manche gebildete Familie, vorzüglich wenn sie erwachsene Töchter hat, noch beim Einsteigen ins Zwischendeck die Reise aufgiebt, wenn die Mittel, in der Kajüte zu fahren, nicht ausreichend sind.

Ein anderes dieser Schiffe, das ich bestieg, hatte im Zwischendeck nur eine Höhe von fünf Fuß, so daß man nicht anders als gebückt darin stehen konnte. Die Passagiere, auf diesen Uebelstand von mir aufmerksam gemacht, verlangten, daß durch Niederlegung des Fußbodens das Zwischendeck erhöht werden solle, zu welcher Veränderung sich erst nach langen Debatten der Schiffsmakler verstand.

Im Nachtquartier traf ich mit Auswanderern aus aller Herren Länder zusammen, von welchen einige schon über vier Wochen auf Kosten der Makler hier logirten und auf abgehende Schiffe warteten. Von ihnen wurde ich darauf aufmerksam gemacht, wie man nicht genug Vorsicht gebrauchen könne, um nicht beim Kontrahiren zur Reise bevortheilt zu werden, und so allen Versprechungen entgegen, aus eigenem Beutel bis zum Abgang des Schiffes zehren müsse, wie es leider jetzt Manchem gehe.

Schon am frühen Morgen des folgenden Tages bekam ich durch den Landsmann S.[8], welcher mich gestern auf dem segelfertigen Schiffe eingeführt hatte, die Einladung, auf diesem die Reise mitzumachen, da diese Nacht auf solchem ein Passagier erkrankt, deshalb die Fahrt aufgegeben und dessen Platz einzunehmen sey, welchen er bei dem Kapitän für mich erbeten habe. So gern ich auch von dieser schnellen Fahrgelegenheit Gebrauch gemacht, so erlaubten es doch die gegen meine Reisegefährten übernommenen Verpflichtungen keineswegs. Ich dankte diesem Braven herzlich, für den guten Willen mir zu dienen und mit dem Wunsche eines glücklichen Wiedersehens in einer andern Welt, schieden wir gerührt von einander.

Da in Bezug auf die Seereise im Hafen selbst nicht zu akkordiren war[9], so durfte auch keine Zeit verloren gehen, um das Nöthige in Bremen selbst zu ordnen, und so fuhr ich mit dem Dampfschiff, welches einige von Amerika kommende Reisende am Bord hatte, unverzüglich zurück. Letztere schienen in den überseeischen Ländern ihre Rechnung auch nicht gefunden zu haben, da ein Paar Eheleute äußerten: lieber in ihrem Vaterlande zu betteln, als in dem freien Lande hungrig sterben. Ein Zweiter klagte über die Schurkerei der Amerikaner, die ihn um seinen sauer verdienten Lohn betrogen hätten. Ein Dritter wollte durch einen Bankbruch um das Seinige gekommen seyn. Jeder hatte seine eigenen Bemerkungen zu machen, welche am Ende alle dahinaus gingen, im Lande zu bleiben und sich redlich zu nähren. Schöne Aussichten für uns! Nur einer schien mit seinem Loos zufrieden, da er, seiner Erzählung nach, amerikanischer Landmann sey, ein hübsches Eigenthum besitze und jetzt eine Reise zu seinen Verwandten mache. Freundlich wurde ich von demselben eingeladen, auch ihn, der bald zurückkehren werde, in Amerika zu besuchen, da er selbst Brennereibesitzer sey und ich ihn vielleicht auch mit meinem projektirten Unternehmen dienen könne.

In Bremen angekommen, verfügte ich mich sogleich auf das Komptoir des Herrn W.[10], wo ich zu meinem Befremden erfuhr, daß von den Agenten der Schiffsrheder weit mehr Auswanderer hergeschickt würden, als die vorhandenen Schiffe zu fassen vermöchten, weshalb man sich genöthigt sähe, die Frachtpreise zu erhöhen und daß auch jetzt für Kinder jeglichen Alters, selbst bis auf den Säugling herab, dieselbe Summe wie für Erwachsene bezahlt werden müsse, da bei dem gegenwärtigen außerordentlich großen Andrange von Auswanderern die nöthigen Schiffe fehlten, und bis zu deren Ankunft die von den Agenten zugeschickten Personen als Entschädigung für Kost und Logis pro Kopf 10 Groten[11] auf den Tag erhielten und solches eine nicht unbedeutende Ausgabe verursache.

Was sollte ich unter solchen Umständen thun? Für die ganze Gesellschaft konnte ich nicht zur nächsten Fahrgelegenheit abschließen, da ich wußte, daß einigen meiner Reisegefährten, die nicht auf die gegenwärtig bedeutend erhöhten Fahrpreise gerechnet, das nöthige Fahrgeld fehle. Um aber nicht für uns Alle die Gelegenheit zu verabsäumen, mit dem am 15. d. M. expedirten Schiff in See gehen zu können, so schloß ich wenigstens für sechs Mann fest ab, mit der Bedingung, daß für die andern Personen die Plätze bis Morgen Mittag offen bleiben sollten, wo die bis dahin Ankommenden das Weitere selbst beschließen könnten.

Wahn und Ueberzeugung

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