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Dritter Brief.

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Inhaltsverzeichnis

Bremen im Juni 1839.

Fortsetzung.

Im Dorfe Limmer bei Alsfeld, woselbst Mittag gemacht wurde, trafen wir Auswanderer, welche von Bremen zurückkehrend, die Kunde brachten, daß bei dem jetzt überhäuften Andrang von Reiselustigen und bei dem Mangel an Transportschiffen, die Kaufleute das Fahrgeld erhöht und ohne Unterschied des Alters 44–45 thlr. in Gold pro Kopf bezahlt werden müsse, wodurch sie, die außer Stande so viel geben zu können, gezwungen wären, in ihre Heimath zurückzukehren. Man denke sich bei dieser Nachricht den Schreck der Familien unserer Karavane, welche viel Kinder bei sich und für solche nur auf wenig Fahrgeld gerechnet hatten. Sollten sie ebenfalls umkehren, oder durch den Verkauf ihrer Habseligkeiten, die Seereise dennoch zu ermöglichen suchen, und dann von Allem entblöst, als Bettler den amerikanischen Boden betreten? Noch unschlüssig, was zu thun oder zu lassen sey, stimmte ich dafür, wenigstens bis Bremen das einmal Unternommene auszuführen, um sich an Ort und Stelle von der Richtigkeit der Angabe selbst zu überzeugen, da leicht Mißverständnisse obwalten könnten.

Während ich langsam vorausging, um das so eben Erfahrene im Tagebuche zu notiren, hatten die jungen Leute meine Abwesenheit benutzt und das von mir verbotene Necken erneuert, wobei ein Steinwurf den Einen, welcher mit hinten auf dem aufgelegten Wagenbret saß, am Kopfe verletzt. Dieser nun, um sich zu rächen, springt ab, ohne jedoch seinem Nebenmann etwas zu sagen, wodurch das Bret das Gleichgewicht verliert und der Andere stürtzt und sich die Hand ausfällt. Der Springer aber ließ einen Theil seiner Beinkleider am Wagen hängen, wodurch er bei einer kurzen Jacke, das Gelächter der ganzen Gesellschaft erregte.

Den 8. Juni trafen wir im Nachtquartier zu Willwingen einen tauben Wirth, der auf alle an ihn gerichteten Fragen mit dem Kopfe schüttelte und zur Geduld verwieß, bis seine Frau zu unserer Bedienung vom Felde kommen werde. Hungrig wie die Wölfe, wurde sogleich selbst Hand angelegt und das letzte Fleisch im Orte zum Abendbrod vorgerichtet, doch bei mangelnder Aufsicht hatten die Haushunde noch vor dem Kochen, solches in Sicherheit gebracht und wir mußten den hungrigen Magen mit saurer Milch und Sallat füllen, dem Einzigen, was wieder aufzutreiben war, wodurch sich Mancher wegen Magenerkältung gezwungen sah, die ganze Nacht über auf den Beinen zuzubringen. War aber auch das Essen schlecht, so erhielten wir eine um so bessere Streue, und der gute Kaffee am Morgen ließ alles Uebrige leicht vergessen.

Da heute Hannover passirt werden sollte, so zeigte Freund M., daß er der Sohn eines Schneiders sey und nähte das halbe Hintertheil der auf dem Wagen hängen gebliebenen Hose so geschickt zusammen, daß der arme Gefallene nur drei Zoll weite Schritte machen konnte und das eine Hosenbein um ein Viertheil kürzer als das andere war. Auch der Glaser R. ließ heute sein Talent als Friseur glänzen und schor dem Zimmermann S. die Haare so glatt wie einem Hammel, wofür des letztern Frau ihm zum Danke die gröbsten Reden anzuhören gab.

Hannover, wo wir Mittag ankamen, schien der Sammelplatz deutscher Auswanderer zu seyn, in allen Straßen waren deren anzutreffen, vorzüglich aber auf dem Paradeplatze, wo die schönste Musik gemacht wurde, weil es Sonntag war. Auch wir vergrößerten die Zahl der Neugierigen und ich hatte bald Gelegenheit, mit einigen Bürgern eine Unterhaltung anzuknüpfen, während welcher ich die Bemerkung machen mußte, daß solche ihre Landesangelegenheiten weniger kannten, als wir Ausländer. Außer der gepuderten Hofdienerschaft, welche gleich Marionetten vor den Wohnungen der Herrschaften aufgestellt sind, kam uns von den höchsten Herrschaften selbst nichts zu Gesicht. Eben so wenig konnte wegen Kürze der Zeit irgend eine Merkwürdigkeit der Stadt in Augenschein genommen werden.

Zu Neustadt, am Rübenberg, wo am Abend ausgespannt wurde, erfuhr ich vom Wirth, daß heute sechs Wagen mit Auswanderern den Ort passirt hätten, und daß nach der Zahl derselben zu schließen, welche in letzter Zeit hier durchgereist wären, Bremen ziemlich angefüllt seyn müßte, so daß schwerlich bei dem täglichen Zudrang von Menschen, die nöthigen Transportschiffe vorhanden seyn könnten.

Jetzt vermuthete ich selbst, daß die uns begegneten Auswanderer, welche wieder der Heimath zugeeilt waren, nicht ganz Unrecht haben dürften, und brachte daher bei meiner Reisegesellschaft in Vorschlag, daß ich diese Nacht mit der durchfahrenden Post auf gemeinschaftliche Kosten nach Bremen vorausfahren, um vielleicht noch mit den am 15. dieses Monats absegelnden Schiffen akkordiren zu können. Der Vorschlag wurde angenommen und um Mitternacht bestieg ich den nur mit einem Passagier besetzten Postwagen, welcher schlaftrunken mich in dem blauen Ueberhemde für einen schlichten Bauersmann halten mochte und so brummend in der Wagenecke liegen blieb. Der Gott des Schlafes schloß auch meine Augen bald, und schon blickte die Morgensonne zum Wagenfenster freundlich herein, als mich der Hunger weckte, da ich Abends vorher nichts genossen hatte. Eben im Begriff, aus der Jagdtasche etwas heraus zu langen, hielt der Wagen an der neuen Station an, wo beim Oeffnen des Schlages auch mein Begleiter erwachte und von dem Marqueur dienstfertig aus dem Wagen gehoben wurde, welche Ehre mir aber, in dem man keinen respektablen Gast vermuthete, nicht zu Theil wurde. Beim Kaffeetrinken wünschte der Fremde meine Bekanntschaft zu machen und fragte daher: „Wie weit die Reise, Landsmann!“ Nach Amerika! gab ich kurz zur Antwort. „Auf der Post, erwiederte er spottend?“ Ja, wenn es seyn könnte, entgegnete ich; nur müßte ich dabei wünschen, die Reise nicht in Ihrer Gesellschaft machen zu müssen. „Und warum?“ fragte er, über meine Antwort verwundert; da ich auf der Reise gerne spreche, gern etwas erzählen höre und vor Allem das Schnarchen nicht vertragen kann. „Ich habe Sie, wie es scheint, verkannt!“ sprach er forschend, „und hoffentlich werden wir jetzt die Reise um so angenehmer fortsetzen.“ Er ging hinaus und bald ward von dem Marqueur eine Flasche Wein vor mich auf den Tisch gesetzt. Sie sind im Irrthum Freund! bedeutete ich Letztern, ich habe keinen Wein bestellt. Das glaube ich wohl, versetzte er lächelnd, doch in dem Augenblicke, ehe er weiter sprechen konnte, trat der Fremde ein, schenkte die Gläser voll und sagte: wir wollen ein Glas Wein zusammen trinken, damit der Schlaf verscheucht werde. Geschwind! denn der Wagen ist schon angespannt und der Schwager wird sogleich zum Abgang blasen. Eben wollte ich meine Bemerkung machen, daß ich ein schlechter Trinker sey und vor Allem für Spirituosen mich hüten müsse und dergl., als das Horn erschallt und uns kaum Zeit blieb, auf eine glückliche Reise die Gläser zu leeren, worauf in den Wagen gestiegen wurde.

Mein Reisegefährte war Hannöverscher Staatsdiener und Sohn eines Kaufmannes; hatte die Feldzüge vom Jahr 1813 mitgemacht, wußte viel und gut zu erzählen, und war mit einem Worte ein höchst interessanter Gesellschafter. Auch ich ermangelte nicht, aus meinem Jugendleben so manches aufzutischen, was ihm gefiel, und so im Gespräch vertieft, wurden weniger die Wagenstöße verspürt, welche die gepflasterte Chaussee verursachte. Bald verrieth die mehr und mehr zunehmende Menge der nach der Stadt fahrenden Bauersleute, daß Bremen nicht mehr fern seyn könnte, und von meinem Begleiter aufmerksam gemacht, sah ich die vom Sonnenstrahl vergoldeten Thurmspitzen Bremens, aber wie lange dauerte jedoch noch der Weg, bevor die Stadt selbst erreicht wurde. Endlich am 9. d. M. Mittags 11 Uhr hielt der Wagen vor dem Posthause zu Bremen.

Wahn und Ueberzeugung

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