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2.

Alfons Hellmann studierte wie Andrea und Eduard Jura. Immer öfter stellte Eduard fest, dass Hellmann wie zufällig neben ihnen saß, abwechselnd neben Andrea und ihm. Irgendwann sprach er Eduard an:

„Entschuldigen Sie bitte, ich bin Alfons Hellmann, ich suche eine Gruppe, mit der ich mich auf das Examen vorbereiten kann. Kann ich nicht mit Ihnen und Fräulein de Hourot zusammen lernen?“

Diese Frage war nicht ungewöhnlich, immer wieder taten sich die Studenten in den letzten Semestern zusammen, um den Examensstoff gemeinsam zu lernen und dann auch zusammen durch das Examen zu gehen. Andrea und Eduard hatten vor kurzem mit den Vorbereitungen angefangen und so musterte Eduard den Kommilitonen vor sich. Alfons Hellmann war ein großer schlanker Mann in seinem Alter, blondhaarig, mit einer hohen Stirn und blauen Augen. Ganz kurz fuhr Eduard der Gedanke wie ein Blitz durch den Kopf, dass der andere sehr viel besser aussah als er und ihm bei Andrea möglicherweise würde gefährlich werden können. Aber Hellmann nahm diesem Gedanken sofort die Spitze:

„Meine Freundin würde sich gerne auch anschließen, wir wären dann zu viert. Wollen wir uns nicht heute Nachmittag treffen und zu viert darüber reden?“

„Gerne, ich weiß nicht, ob Andrea vielleicht schon etwas Anderes vorhat, aber wenn nicht, treffen wir uns um drei Uhr hier.“

„Abgemacht.“

Die beiden trennten sich und zu viert trafen sie sich am Nachmittag in der Mensa, in der um diese Zeit viele Kommilitonen Kaffee tranken. Alfons Hellmann kam mit einer jungen Frau an, die fast ebenso groß und schlank wie er war, allerdings dunkelhaarig mit braunen Augen.

„Das ist Fräulein Agnes Mantermann, das sind Fräulein Andrea de Hourot und Herr Eschenburg“, stellte er vor, aber Andrea unterbrach ihn.

„Wenn wir zusammen lernen wollen, wäre es nicht sinnvoller, wir duzten uns von Anfang an?“, fragte sie, „ich heiße Andrea, das hier ist Eduard, Agnes habe ich verstanden und du heißt Alfons?“

Hellmann nickte.

„Ich wollte das auch vorschlagen, wir werden ja doch einige Zeit miteinander verbringen“, Agnes Mantermann hatte eine klangvolle Altstimme und lächelte Andrea und Eduard freundlich an.

„Also gut, wenn wir die Formalien erledigt haben, können wir vielleicht anfangen, einen Lernplan aufzustellen.“

Alfons Hellmann erwies sich als guter Organisator, sie hatten sich sehr schnell über die Reihenfolge des Lernstoffes geeinigt, um dann über sich selbst zu erzählen.

Alfons Hellmann war aus alter Königsfelder Familie, seine Eltern waren auch nach dem Krieg noch reich, sie hatten ausgedehnte Felder an der Stadtgrenze von Königsfeld, die sie verpachteten, anders als Eschenburg, dessen Eltern kurz vor ihrem Tode die Firma hatten aufgeben müssen. Ihnen war nichts geblieben als das Haus, in dem Eduard jetzt wohnte. Sehr schnell entdeckten Hellmann und Eschenburg ihre Begeisterung für das Schachspiel. Eduard hatte es an der Front in den kampfarmen Zeiten tage- und nächtelang mit den Offizieren seiner Einheit gespielt und schlug am Schluss die meisten Gegner. Alfons hatte sich im Krieg nicht sonderlich hervorgetan, er hatte die ganzen vier Jahre in der Etappe verbracht. Nach dem Krieg hatte er das Turnierspiel wieder aufgenommen, das er als Schüler begonnen hatte und war noch jetzt ein gefragter und gefürchteter Partner. Die Spannung war groß, als sie sich zu ihrem ersten Spiel niedersetzten. Erleichtert stellten sie fest, dass keiner dem anderen weit überlegen war, das erste Spiel ging an Alfons Hellmann, aber Eduard Eschenburg revanchierte sich gleich darauf. Entgegen der ersten Übereinkunft duzten sich die jungen Männer zwar von Anfang an, nannten sich aber bei ihren Nachnamen.

Hellmann war schon seit seinen Schülertagen in der Partei, wie er das nannte. Diese Partei, Zentrum genannt, so erklärte er Eduard Eschenburg immer wieder, war vor allem friedlich gesonnen. Nie wieder Krieg, das hatten nicht nur die Kommunisten und die Sozialisten auf ihren Fahnen, auch die konservativen Politiker vom Zentrum wollten Frieden halten.

„Und hast du schon mal ein Mitglied des Zentrums auf der Straße gesehen, wie er sich mit Kommunisten oder extremen Nationalisten prügelt?“, fragte er Eschenburg, und der musste einräumen, nein, durch Gewalttaten waren die noch nie aufgefallen.

„Warum geht Ihr, Andrea und du, nicht mal mit zu einer unserer Versammlungen?“, fragte Hellmann weiter, „schaden kann das nicht, du wirst nicht dümmer und vielleicht überzeugen wir dich ja“, ergänzte er mit einem freundlichen Lächeln, „dann haben wir ein Mitglied mehr.“

Andrea war einverstanden und so zogen sie zu viert in den Keller, in dem die Kreisversammlung des Zentrums stattfand. Höfliche, gut gekleidete und wohlerzogene Männer saßen da zusammen, nur wenige Frauen, ebenso höflich, und diskutierten die Wahlen, die demnächst stattfinden sollten.

Die Wahrheit ist immer anders

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