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Das Bewusstsein und der materialistisch-historische Erkenntnisweg
ОглавлениеJetzt erst kommt Marx als Kritiker der idealistischen Philosophie auf das Bewusstsein zu sprechen. Aber auch dieses begegnet uns, so Marx, nicht ohne materielle Anhaftung, weil es engstens mit Sprache einhergeht, die wiederum, materiell gesehen, aus bewegten Luftschichten besteht. „Die Sprache ist das praktische, auch für andere Menschen existierende wirkliche Bewusstsein.“12 Die Sprache entsteht, wie das Bewusstsein auch, erst aus dem Bedürfnis nach dem Austausch und der Notwendigkeit des Umgangs mit anderen Menschen. Sprache und Bewusstsein sind für Marx also immer schon mit der materiellen Produktion des Lebens verbunden. Was jemand sagt und denkt, hat immer zur Voraussetzung, dass er auch etwas tut. Was er tut und wie er es tut, kommt also in der Sprache zum Ausdruck. Das hat weit reichende Konsequenzen für den Erkenntnisprozess: Wer Sprache und Bewusstsein eines anderen oder einer ganzen Gesellschaft verstehen will, der muss diese Verbindung zwischen Bewusstsein und Sein in den Mittelpunkt seines Erkenntnisinteresses stellen. Wie zeigt sich nun das doppelte Verhältnis, in das der Mensch eingebunden ist, im Hinblick auf die Beziehung zwischen Sein und Bewusstsein?
Was das Verhältnis zwischen Mensch und Natur betrifft, so muss analysiert werden, was dem Denken und Tun materiell zugrunde liegt. Hier geht es im wahrsten Sinne des Wortes um den „Stoffwechsel“ zwischen Mensch und Natur. Ein aktuelles Beispiel sei kurz erläutert: Was bedeutet es für diesen Stoffwechsel ganz praktisch, wenn Banker zum Beispiel verkünden, dass die Aktien ihrer Bank jedes Jahr 25 Prozent mehr wert sein sollen? Wie ist dieser Wertzuwachs eines Wertpapiers zu erklären angesichts der Tatsache, dass die reale Produktion jährlich meist nur ein paar Prozent wächst? Und wie sind selbst diese paar Prozent realwirtschaftliches Wachstum auf Dauer möglich in einer Welt, deren natürliche Kräfte insgesamt nicht auf Dauer wachsen können, weil der Großteil der Naturressourcen endlich ist (vgl. Kapitel 9)?
Was das Verhältnis zwischen Mensch und Mensch betrifft, so gilt es zu fragen, wie die sozialen Beziehungen beschaffen und wie sie geworden sind. Um beim obigen Beispiel zu bleiben: Wie kann ein Mensch einem anderen versprechen, sein Vermögen jedes Jahr um ein Viertel zu vermehren? Welche |21|Umstände müssen diesem Versprechen vorausgegangen sein? Welche Rolle spielen bei alldem zum Beispiel Fleiß und Geschicklichkeit, soziale Verbindungen und Netzwerke, der Zufall der Geburt, das Erbrecht des Staates, die Interessen und die Macht der jeweils einflussreichsten Gesellschaftsgruppen? Bei der Suche nach der Wahrheit muss der Blick, so Marx, immer in diese zwei Richtungen gelenkt werden: nach „unten“, also zur materiellen Basis, und nach „hinten“, also zur historischen Herkunft. Insofern kann der von Marx empfohlene Weg des Erkennens als materialistisch-historisch bezeichnet werden.13