Читать книгу Wenn ich groß bin, werd' ich auch ein Machu Picchu - Gabriela Urban - Страница 14
2. Kapitel ROADTRIP MIT EINER WILDFREMDEN INTERNETBEKANNTSCHAFT
ОглавлениеDantes 3. Reiseland: Malaysia
Dantes Alter: 10 Monate
Kann ich auch allein mit meinem Kind reisen?
Ich hatte sie bereits aus weiter Entfernung gesehen. Die Frau kam direkt auf uns zu. Die letzten Meter schien sie sogar zu laufen. Ich hielt den Atem an, weil ich gleich einen fürchterlichen, ohrenbetäubenden Schreikrampf erwartete. Nur noch drei Meter, zwei Meter, einen ... Als die komplett verhüllte Frau bei meinem Baby und mir ankam, kniff ich die Augen zu. Gleich würde es losgehen. Dante würde wie am Spieß schreien, weil er Angst vor der unbekannten Frau in Schwarz haben würde. Schließlich hatte er noch nie eine Burka gesehen. Ich wartete und wartete. Doch ich vernahm kein Kreischen, stattdessen quiekende Laute. Als ich wieder meine Augen öffnete, konnte ich sehen, wie mein Sohn die Frau in der Burka anstrahlte. Sie hatte sich zu ihm runtergebeugt und sogar den dunklen Schleier vor ihrem Gesicht etwas angehoben. Sie machte lustige Faxen und prustende Geräusche. Dante konnte sich nicht einkriegen vor Lachen. Die Frau bedeutete mir, dass sie mein Baby auf den Arm nehmen wollte. Ich zögerte kurz. Doch das strahlende Gesicht meines Sohnes ließ meine Zweifel verfliegen. Ich reichte Dante der Frau. Sogleich wurde sein Quieken noch lauter. Ich beobachtete die beiden. Sie hatten sichtlich Spaß miteinander. Die Frau fing an, ihn zu kitzeln. Ich konnte erkennen, wie entzückt sie von dem kleinen blonden Jungen war.
Auch meine Reisepartnerin Madeline, die neben mir stand, beobachtete aufmerksam das Geschehen. Sie war meine Internetbekanntschaft, und ich war ihr und ihrem Baby Phil vor 14 Stunden das erste Mal begegnet. Das war am Flughafen in Penang gewesen. Sie hatte uns mit einem gemieteten weißen Bus abgeholt. Wir wollten gemeinsam einen Roadtrip durch Malaysia machen. Sechs Wochen lang. Nur wir zwei Mamas und unsere beiden Babys ... Madeline lächelte mir komplizenhaft zu und nickte, als sie ihren Kopf zu Dante und der Frau in der Burka drehte. Phil blieb von dem ganzen Ereignis völlig unberührt. Mit wackeligen Schritten kämpfte er sich auf seinen zarten Beinchen vorwärts. Er hatte erst vor Kurzem das Laufen gelernt. Das war jetzt wichtiger, als schwarz verhüllte Frauen.
Es war zwei Wochen her, dass ich Madeline aus einer undefinierbaren Laune heraus bei Facebook angeschrieben hatte. Ich hatte in einer Gruppe mitbekommen, dass sie allein mit ihrem Kind in Thailand unterwegs war. Seit ich mit meiner Familie von unserer gemeinsamen Elternzeit auf Bali zurückgekommen war, wollte ich nur noch eins: Das Ende meiner Elternzeit nutzen, um noch mal in die Ferne zu reisen. Lars konnte nicht dabei sein, da seine Elternzeit mittlerweile vorbei war, dennoch ermutigte er mich, mit Dante zu verreisen. Allerdings war ich mir nicht so sicher, ob ich es schaffen würde. Allein mit meinem Kind zu reisen schien mir zu jenem Zeitpunkt einfach unmöglich zu sein. Ich redete mir ein, dass ich dem ganzen Vorhaben nicht gewachsen war. Der lange Flug, nicht allein auf Toilette gehen zu können, die komplette Verantwortung zu tragen, ... Und wie um Himmels willen sollte ich das Gepäck plus Baby gleichzeitig managen?
Aber mein Fernweh ließ mir keine Ruhe, pochte immer wieder auf die perfekte Gelegenheit, drängte mich zum Handeln. Kurzerhand schrieb ich Madeline eine Nachricht. Ich stellte mich kurz vor und fragte sie salopp, ob sie sich nicht vorstellen könnte, dass wir uns zeitnah irgendwo in Asien treffen würden. Ehrlicherweise hatte ich niemals mit einer Antwort gerechnet, die jedoch prompt kam. Bereits nach wenigen Chats hatten wir uns geeinigt. Wir wollten uns in Malaysia treffen, ein größeres Auto mieten und gemeinsam mit unseren zwei Babys das Land auf eigene Faust erkunden.
»Du willst waaasss???«, fragte mich Lars ungläubig beim Abendessen, als ich ihm von den gemeinsamen Plänen mit der wildfremden Mama erzählte.
»Aber du hast doch gesagt, dass ich es ruhig machen soll«, erwiderte ich.
»Da hatte ich aber an einen Städtetrip nach Berlin oder vielleicht einen kurzen Ausflug nach Portugal gedacht. Aber Malaysia ...«, versuchte er zu kontern.
Nun gut, ich musste zugeben, dass mein Vorhaben mehr als verrückt klang. Mich mit einer Unbekannten zu treffen, die ich bis jetzt nur von ihrem Profilfoto auf Facebook her kannte, um dann mit einem gemieteten Bus durchs streng muslimische Malaysia zu fahren ... Doch ich konnte nicht anders! Dieses Abenteuer klang einfach viel zu spannend, um es nicht zu wagen. Ich schob all meine Befürchtungen beiseite und traf eine Entscheidung.
Unser Roadtrip durch Malaysia wurde zu einer unvergesslichen Reise, von der ich sicherlich noch meinen Enkelkindern erzählen werde. Wir fuhren quer durchs Land. Wenn uns zur Abwechslung nach Inselleben war, parkten wir unser treues Gefährt auf dem Festland, stiegen in ein Boot und mieteten einen Bungalow direkt am Strand. Während wir Mamas den Blick übers Meer schweifen ließen, tollten die Babys in der riesigen Sandkiste vor unserer Haustür herum, planschten in den seichten Wellen im Südchinesischen Meer oder erholten sich bei ihrem wohlverdienten Mittagsschläfchen unter Palmen. So wie wir Mamas auch. Wenn wir mehr Action haben wollten, kehrten wir der Insel den Rücken zu und fuhren zurück aufs Festland. Wir unternahmen Wanderungen durch den Dschungel, schlenderten in großen Städten und kleinen beschaulichen Orten über Nachtmärkte, wo unsere beiden Babys immer die ganze Aufmerksamkeit der Malaien auf sich zogen und zu absoluten Shootingstars wurden. Wir machten einen kurzen Abstecher nach Singapur und verbrachten insgesamt über 3.000 Kilometer in unserem weißen Bus on the road. Es war der ideale Abschluss meiner Elternzeit, voller Erlebnisse, Begegnungen und Abenteuer an der Seite einer unbekannten Mama und ihres Babys, die schon bald zu den besten Reisebegleitern wurden, die wir uns wünschen konnten. Die gemeinsame Zeit verging wie im Flug. Leider. Und der Abschied verlief sehr tränenreich. Madeline flog zurück nach Deutschland und ich weiter auf die Insel Langkawi, wo ich allein mit Dante eine Woche verbrachte und zusah, wie mein großes, kleines Baby am Strand beim Sonnenuntergang seinen ersten Meilenstein machte: Dante richtete sich freihändig auf, schwankte auf seinen kleinen Beinen hin und her, jauchzte dabei vor Freude, klatschte in die Hände, ging zwei zaghafte wackelige Schritte, plumpste in den warmen Sand und krabbelte mit einem breiten Lachen zum Meer.