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3. Kapitel MITTAGSSCHLÄFCHEN IM MUSEUM

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 Dantes 6. Reiseland: Spanien

 Dantes Alter: 1 Jahr und 3 Monate

 Kulturprogramm mit kleinen Kindern ist doch nicht machbar, oder?

Unser WG-Zimmer in der kleinen Dachgeschosswohnung in Madrid lag nur 800 Meter vom weltberühmten Museo del Prado entfernt. Bereits bei unserer Ankunft schwärmte mir Gabriel, unser sympathischer Vermieter, mit dem ich ab jetzt zwei Wochen lang Wand an Wand schlafen sollte, vom größten und bedeutendsten Kunstmuseum der Welt vor.

»Den Prado dürft ihr auf keinen Fall verpassen«, rief mein Namensvetter enthusiastisch, während Dante gerade auf seiner abgewetzten Couch Purzelbäume schlug. »Es ist ein irres Gefühl, wenn man vor Caravaggios Meisterwerk David mit dem Haupt des Goliath steht. Aber mein absolutes Lieblingsgemälde ist Las Meninas von Diego Velázquez. Ich könnte stundenlang dieses Bild der spanischen Königsfamilie bewundern. Jedes Mal, wenn ich davorstehe, entdecke ich neue Details.«

Gabriels Laudatio wirkte ansteckend. Es kribbelte in meinem Bauch, wenn er enthusiastisch von all den Rembrandts, Goyas, Rubens, Botticellis und Dürers schwärmte. In meinen Gedanken sah ich mich schon selbst durch die verschiedenen Stockwerke wandern und mich voller Ehrfurcht auf die Spuren der großen Künstler begeben. Und in Madrid gab es ja noch weitere wichtige Kunstmuseen: Museo Reina Sofía, Museo Thyssen-Bornemisza, ... Doch plötzlich wurde meine kunstvolle Euphorie brachial zerschlagen, und zwar von meinem Sohn, der gerade um eine Haaresbreite von der Couch gefallen wäre, wenn ihn der Kunstliebhaber Gabriel nicht rechtzeitig aufgefangen hätte. Jedoch stoppte nicht Dantes Beinahe-Sturz meine Vorfreude, sondern eher meine mütterliche Ahnung, dass das ein schwieriges Unterfangen werden würde: Mit einem Kleinkind ins Kunstmuseum? Würden die Mitarbeiter uns nicht gleich nach zehn Minuten rausschmeißen?

Ich sollte nicht ganz recht behalten. Immerhin musste ich meine ambitionierte Kunstmission erst nach 30 Minuten abbrechen. Gabriel hatte mir erzählt, dass man im Sommer ab 17 Uhr kostenlos ins Museo del Prado könne.

»Sei aber rechtzeitig da, denn es warten immer viele Leute davor. Und um 20 Uhr schließt das Museum ja schon«, informierte mich mein Vermieter.

Und ja, es stimmte! Als ich um 16:40 Uhr vor dem Museum eintraf, wartete bereits eine mehrere Hundert Meter lange Schlange an Kunstliebhabern, die geduldig auf den kostenlosen Einlass warteten. Ich wollte schon umdrehen, da ich auf keinen Fall in der brennenden Augustsonne mit meinem Kleinkind warten wollte, als eine Mitarbeiterin des Prados zu mir kam.

»Stellen Sie sich doch gerne in den Schatten am Eingang. Mit einem kleinen Kind müssen Sie selbstverständlich nicht warten. Ich gebe Ihnen gleich Bescheid, sobald Sie reinkönnen.«

Brav folgte ich der freundlichen Dame und merkte, wie mich die neidvollen Blicke der anderen Wartenden verfolgten. Ich war mir sicher, dass sich der Großteil von ihnen gerade auch ein Kind wünschte, um die nervige Wartezeit in der prallen Sonne zu umgehen. Jedoch musste ich mir eingestehen, dass ich von meinem anstehenden Museumsbesuch nicht besonders überzeugt war. Ein Blick zu Dante im Buggy bestätigte meine Skepsis. Mein Sohn hatte keine gute Laune. Gerade beschwerte er sich laut kreischend über irgendeine Nichtigkeit, die ihm mal wieder nicht passte. Heute war halt einer der vielen Tage, an dem ich ihm gar nichts recht machen konnte. Als sich die Türen des Prados öffneten, zögerte ich immer noch. Doch die freundliche Mitarbeiterin wies mir bereits den Weg ins Innere.

Die ersten zehn Minuten verliefen verhältnismäßig okay. Doch danach wurden Dantes schrille, lang gezogene Schreie immer häufiger und vor allem lauter. Ich hatte es gerade in den ersten Stock geschafft, als ich resigniert beschloss, dass ein Besuch im Museo del Prado mit einem Kleinkind doch zu ambitioniert war. Niedergeschlagen gab ich auf, verabschiedete mich von meiner Vorfreude auf Caravaggios David mit dem Haupt des Goliath sowie Velázquez’ Las Meninas und sah zu, dass ich Hackengas gab. Denn mittlerweile häuften sich die genervten Blicke, die meinen kleinen Störenfried und mich ziemlich vorwurfsvoll anvisierten. Ein Mitarbeiter des Prados näherte sich uns. Ich gab ihm kleinlaut zu verstehen, dass ich auf dem schnellsten Wege das Museum verlassen würde. Freundlich lächelte er mir zu und begleitete mich ein Stück. Er wollte wohl sichergehen, dass wir auch ja nicht den Ausgang verpassten.


»Gib nicht auf. Vielleicht hat Dante morgen mehr Lust auf Kunst«, versuchte Gabriel mich abends aufzumuntern. Seine Worte waren zwar lieb gemeint, aber so richtig Trost spendeten sie mir nicht. Ich musste mich wohl damit abfinden, dass wir Madrid verlassen würden, ohne ein Kunstmuseum richtig gesehen zu haben.

Doch am nächsten Tag überraschte mich Dante. Er hatte tatsächlich viel bessere Laune. Mich beschlich das leise Gefühl, dass ich mich eventuell noch mal trauen könnte ... Allerdings auf keinen Fall erneut in den Prado. Ich hatte die Befürchtung, dass wir in diesem Museum nicht mehr willkommen waren. Zum Glück hatte Madrid noch weitere spannende Kunstmuseen im Angebot. Am Nachmittag versuchte ich mein Glück im Museo Reina Sofía. Eingeschüchtert betrat ich das Gebäude. Doch siehe da, Dante schienen die Picassos, Dalís und Mirós wesentlich besser zu gefallen als die angestaubten Kunstschätze von Fra Angelico, Bosch und Barocci. Zumindest schnuffelte er vergnügt an seinem Kissen, gab zufriedene Schmatzer von sich, und kurz vorm kolossalen Guernica war er friedlich eingeschlafen. Ich hatte es nicht für möglich gehalten, doch jetzt hatte ich genügend Zeit, um Picassos Gemälde, das mit seinen 27 Quad-ratmetern einen ganzen Raum füllte, voller Demut zu bewundern. Während mein kleiner Sohn friedfertig in seinem Buggy schnarchte, studierte ich die düsteren Details des wohl bekanntesten Werks der Moderne. Und mir blieb sogar ausreichend Zeit, noch andere Exponate zu bestaunen, denn Dantes wohlverdientes Mittagsschläfchen dauerte an jenem Tag sage und schreibe drei Stunden an. Ein wahrer Rekord!

Ich setzte meine Museumstour an den darauffolgenden Tagen fort. Auch der Besuch im Museo Thyssen-Bornemisza verlief erstaunlicherweise ruhig. Ich hatte erneut das Zeitfenster des Mittagsschläfchens gewählt, und mein Plan ging auf. Kurz nachdem wir das Museum betreten hatten, fiel Dante in einen komatösen Schlaf. Und ausgerechnet unterm Gemälde Das karge Mahl von Picasso stieß Dante einen besonders zufriedenen Seufzer aus und kuschelte sich noch tiefer in seine heiß geliebte Schnuffeldecke. Ich wurde den Eindruck nicht los, dass vor allem die Picassos besonders beruhigend auf ihn wirkten.

Unsere zweiwöchige Städtereise nach Madrid war ein voller Erfolg. Nicht nur hatte ich es tatsächlich geschafft, zwei bedeutende Kunstmuseen (und den Prado immerhin 30 Minuten lang) zu besuchen, ich konnte mir mit Dante auch noch viele weitere Sehenswürdigkeiten in der spanischen Hauptstadt anschauen. In aller Ruhe flanierten wir gemeinsam durch die Prachtstraße Gran Vía, wir sahen uns den Königspalast und anschließend den Tempel von Debod an, verweilten an den beliebten Plätzen Plaza de Cibeles und Puerta del Sol, bewunderten die exotischen Palmen und den Schildkrötenteich im Bahnhof von Atocha, aßen in der quirligen Markthalle Mercado de San Miguel Tapas und statteten der Spanischen Nationalbibliothek einen Besuch ab. Wenn uns nach Erholung oder Toben war, schlenderten wir durch den Retiro-Park oder jagten im Botanischen Garten Enten hinterher, unsere Abende verbrachten wir auf der Plaza Mayor und anschließend auf dem Spielplatz an der Plaza Santa Ana direkt vor unserer Haustür. Wohlgemerkt, das alles mit einem Kleinkind! Zweifelsohne, vor unserer Reise hatte ich ja keine Ahnung gehabt, wie gut so ein Städtetrip funktionieren kann.

Wenn ich groß bin, werd' ich auch ein Machu Picchu

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