Читать книгу ChessPlanet - Edahcor's Geheimnis - Gabriella Gruber - Страница 21
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RENKO
Geduldig wartend stehe ich vor Anytas Haustür, checke nochmal meine blonde Wuschelfrisur und überprüfe, ob ich eventuell Mundgeruch habe. Das Ergebnis gefällt mir.
Die letzten Tage sind wie im Flug vergangen und bestanden hauptsächlich aus Lernen. Meine Gedanken sind, seit unserem letzten Treffen beim See, immer wieder zu Anyta gewandert. Ich hoffe sehr, dass sie sich das Treffen mit Julius nochmal überlegt. Oder dass ich mit dem Geständnis meiner Gefühle schneller bin als er. Wobei der Mädchenschwarm schon einen nicht zu unterschätzenden Vorteil genießt. Immerhin spricht er schon von einem Date. Bei Anyta und mir ist es meistens eher ein Treffen unter Freunden oder ein »Treffen zum Einkaufen« am Samstagnachmittag. So wie heute.
Als sich die Haustür mit spiegelglatter Metalloberfläche endlich öffnet, tritt ein wunderschönes Mädchen in einem hübschen blauen Sommerkleid heraus. Auf ihren Lippen macht sich ein süßes Lächeln breit. »Ah, du bist schon da?«
»Ja, ich wollte dich abholen«, sage ich lässig.
»Das ist lieb von dir! Weißt du denn, was ihr alles braucht?«
»Klar, meine Mutter hat mir einen extra langen Zettel gegeben. Wenn ich das alles besorgen kann, werden wir ganz sicher in den nächsten zwei Monaten nicht verhungern. Zur Sicherheit habe ich sogar zwei Zahlkarten dabei.«
»Klingt nach einer Menge Zeug. Wie lange seid ihr denn schon nicht mehr einkaufen gewesen?« Auf Anytas Wange bilden sich kleine Grübchen.
»Puh«, sinniere ich. »Gute Frage.«
Anyta lacht zur Antwort, dann tapsen wir gemeinsam über die grauen Steinplatten zurück zur Hauptstraße, die uns zur Altstadt führt. Zwischen den großen platinfarbenen Hochhäusern fühlt man sich so klein wie eine Ameise. Das Sonnenlicht wird an den großen Glasscheiben reflektiert und blendet mich.
Die kleine schwarze Tasche an Anytas Schulter pendelt bei jedem ihrer Schritte hin und her und an dem spiralförmigen Schlüsselanhänger klingelt fröhlich ein winziges Glöckchen.
Dieses Accessoire habe ich ihr geschenkt, als wir zehn Jahre alt waren, an ihrem Geburtstag im Dezember. Es war ein ungewöhnlich warmer Tag für diese Jahreszeit und wir saßen an unserem Steg am zugefrorenen See.
Damals waren Anytas Zöpfe noch kurz und sie tippte immer wieder mit ihren Zehenspitzen auf der kleinen Wasserpfütze herum, die das Eis uns noch übriggelassen hatte. Ich hatte keine Zeit, zu ihrer Geburtstagsfeier zu kommen, daher ließen uns unsere Eltern noch eine halbe Stunde Zeit am See verbringen. Natürlich waren wir nicht ganz alleine, ihre Eltern haben in Sichtweite gesessen, aber für uns war es eine große Welt für uns allein.
Ich wusste, dass Anyta Glöckchen liebt, also hatte ich mich spontan für diesen Anhänger entschieden. Als ich ihn ihr gab, war sie so glücklich darüber, dass sie mich ganz fest umarmte und wir dadurch fast in den See gefallen wären.
Der Luftzug eines vorbeifliegenden Vogels holt mich zurück in die Gegenwart. Mich plagen Schuldgefühle, weil ich an die Vergangenheit gedacht habe und wir somit kaum miteinander reden.
Ich schaue zu Anyta, die mit mir noch immer im Gleichschritt die Straße entlang geht. Wir sind kurz vor der Grenze zur Altstadt.
»Du hast den Anhänger ja immer noch«, beende ich die Stille.
»Ja, klar, er erinnert mich immer an den Moment beim See.«
Mein Herz schlägt schneller. »Du erinnerst dich noch daran?«
Anyta sieht mich streng an. »Du etwa nicht?«
»Doch, natürlich!«, sage ich und grinse verlegen.
Wir überqueren den großen weißen Grenzstrich, von dem niemand wirklich weiß, warum er überhaupt existiert.
Anyta bleibt abrupt stehen. »Fang mich doch, wenn du kannst!«, ruft sie überraschend und läuft lachend voraus.
Das lasse ich mir nicht zweimal sagen und folge ihr lachend.
Am malerischen altstädtischen Markt entscheiden wir uns als erstes für den Früchte- und Gemüseladen. Hier gibt es alles, was unser Magen begehrt: von frischen Orangen und gereiften Erdbeeren über saftig grüne Gurken bis hin zu prallen Kartoffeln. Ich frage mich manchmal, wo sich dieser Ort befindet, wo all diese Sachen angebaut werden. Schließlich haben wir im Naturunterricht gelernt, wie unser Essen hergestellt wird. Aber wo, wissen wir nicht. Wir kennen nur den Namen des Ortes: Der Lebensgrund.
»Welche Früchte hast du auf deinem Einkaufszettel stehen, Ren?«
Ich falte das Papier auseinander und gehe die Liste durch. »Erdbeeren, Bananen und Weintrauben.«
Anyta nickt und schlendert zum Obstbereich. »Hier sind schon einmal die Bananen, da hinten sind die Erdbeeren. Nur die Weintrauben sehe ich nirgends.«
Neben mir entdecke ich zwei Fächer mit Obst. Oben sind Kirschen und darunter ... »Hier sind sie! Ich glaube, ich hole gleich mal einen Korb.«
»Gute Idee«, antwortet Anyta und stöbert weiter durch das Apfelregal. »Also am liebsten sind mir die Äpfel, wenn sie knallrot sind.« Sie hält einen leuchtend roten Apfel in ihrer flachen Hand und mustert ihn mit einem Lächeln im Gesicht. »So wie der zum Beispiel.«
Ich nicke. »Dann hast du dir genau das richtige Regal ausgesucht. Da sind ja fast alle in dieser kräftigen Farbe.«
Anyta legt den Apfel in den geflochtenen Korb und sucht noch vier weitere heraus.
»Fehlt noch das Gemüse«, sage ich vor mich hin.
»Was brauchst du?«
»Drei Tomaten und zwei Gurken.«
Sie geht zu den Fächern, holt, was ich brauche, und legt es elegant in meinen Korb. »So, erledigt«, sagt sie. »Was steht noch auf der Liste?«
»Also von hier habe ich alles. Du?«
»Ja, ich auch.«
»Gut, dann ab zur Kasse.«
Zwei weitere Kunden sind noch vor uns, dann sind wir an der Reihe. Frau Salery bedankt sich für unseren Einkauf und reicht mir den üblichen silbernen Kasten, an dem wir mit unseren Punkten bezahlen. Bis wir zehn Jahre alt sind, bekommen wir jeden Monat zehn, bis zwanzig Jahre hundert und die Erwachsenen erhalten dreihundert Punkte auf ihr Konto gutgeschrieben.
Ich stecke die Karte in den dafür vorgesehenen Schlitz, tippe meinen PIN ein und schon werden zehn Punkte abgezogen.
»Ach, ich Idiot!«, schimpfe ich mich selbst.
»Was denn?«, fragt Anyta.
»Ich habe die Sachen mit meiner eigenen Karte bezahlt.«
»Dann benutzt du die Karte deiner Eltern eben in einem anderen Geschäft.«
Ich nicke. »Es wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben.«
Nachdem alles verstaut ist, verlassen wir den kleinen Obst- und Gemüseladen und stehen wieder auf dem Mosaikboden des Altstadt-Marktplatzes. Es ist schon fast Mittag, was sich auch merklich auf die Anzahl der Menschen auf dem Platz auswirkt. Der Boden hatte heute Morgen noch einen zitronenähnlichen gelblichen Ton, jetzt wirkt er durch das verstärkte Licht der Sonne eher sandfarben. Um die Rosen, die den Brunnen schmücken, fliegen viele Bienen wild umher, auf der steten Suche nach Nektar. Ihr Summen erfüllt die Luft und eine laue Brise weht uns durch die Haare.
Anyta schließt genießend die Augen, was mir ermöglicht, still und heimlich ihr Profil genauer zu betrachten: Ihre langen Wimpern, ihre elegant geschwungenen Augenbrauen, die rundliche Nasenspitze, rote und unberührte Lippen und ihr glattes Kinn. Ich liebe einfach alles an ihr!
Ich betrachte sie so lange, bis sie ihre Augen wieder öffnet und mich anlächelt.
»Wo gehen wir jetzt hin? Wie wäre es denn mit dem Buchladen da drüben? Mir geht langsam der Lesestoff aus. Ja, ich weiß, ich habe noch zehn andere Punkte auf meinem Zettel, aber ich kann jetzt nicht anders.« Die Aufregung, die sie jedes Mal vorm Betreten eines Buchladens zeigt, finde ich so niedlich, dass ich ihr nicht widersprechen kann.
Ich lege meinen Arm um sie. »Mach dir keine Sorgen. Ich gehe mit dir rein. Ich wollte mir auch mal wieder ein neues Buch besorgen.«
Ich greife in meine Hosentasche und hole einen zusammenklappbaren Stift hervor. Den habe ich immer bei mir, für alle Fälle. Dann nehme ich Anytas Einkaufszettel und schreibe in Großbuchstaben »BÜCHER« darauf.
»Jetzt ist es auf der Liste. Es kann uns niemand übelnehmen, dass wir nur unsere Einkaufsliste abklappern.«
Anyta lächelt. »Wie recht du hast, danke.«
»Los, komm! Die Bücher kaufen sich schließlich nicht von alleine«, rufe ich und ziehe Anyta lachend an der Hand mit mir mit.