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Mit den Antennen sind noch zwei weitere Personen verbunden, die meine Kindheit geprägt haben: Onkel Jani und der Genosse Mete. Onkel Jani kannte ich sehr gut, von klein auf, denn er wohnte im vierten Stock unseres Mietshauses, wir im dritten. Er war ziemlich bekannt in unserer kleinen Stadt, in erster Linie, weil er den äußeren und vor allem den inneren Feinden der Nation und der Revolution einen erbitterten Kampf angesagt hatte. Aus den Unterhaltungen der Erwachsenen bei mir Zuhause, aber auch bei meinen Freunden hatte ich mitbekommen, dass er irgendwo in seiner Wohnung eine ellenlange Liste versteckt haben musste, auf der er den Tagesablauf und das Treiben aller verdächtigen Einwohner unseres Städtchens notierte. Wehe dem, der auf dieser Liste landete! Das bedeutete nämlich: bald schon wird ein Unheil über ihn und seine Familie hereinbrechen!

Die Gerüchteküche brodelte, und Onkel Janis Liste hatte inzwischen mythische Ausmaße angenommen. Manche sagten, bei dieser Liste handle es sich um ein einfaches Notizbuch, andere sprachen von einem ungeheuer schweren Buch, in dem nicht nur die Verdächtigen unserer Stadt, sondern auch die der Nachbarstadt aufgeführt seien.

Onkel Jani soll derart gnadenlos Jagd auf die inneren Feinde gemacht haben, dass auf seiner Liste sogar die eigene Schwiegertochter zu finden war. Da die ganze Familie in einer Wohnung zusammenlebte, will er eines Nachts, als sie schlief, aus ihrem Mund die folgenschweren Worte gehört haben: »Ich scheiß auf die Parteiversammlung …«

Unabhängig vom Umfang dieser Liste hatten wir, um ehrlich zu sein, keine Opfer in unserem Haus zu beklagen. Mit Ausnahme von Kemes Sohn, der eines Abends sturzbetrunken heimkam und zu seinem Unglück auf Onkel Jani traf. Der durchbohrte ihn mit strengem Blick, worauf Kemes Sohn, der als Lastenträger arbeitete, sagte: »Es heißt zwar, dass Betrunkene ihren Geruchssinn einbüßen, aber einen stinkenden Spitzel wie dich, den rieche ich noch meilenweit gegen den Wind«, und dabei bog er sich vor Lachen. Diesen Leichtsinn bezahlte Kemes Sohn mit seinem Arbeitsplatz. Alle sagten, er sei noch mal mit einem blauen Auge davongekommen. Onkel Jani hätte in diesem Falle bewiesen, dass er doch so etwas wie ein Herz besaß – hätte er nämlich gewollt, wäre es für ihn ein Leichtes gewesen, Kemes Sohn in die Verbannung oder sogar ins Gefängnis zu schicken.

Onkel Jani war nicht der einzige, der Jagd machte auf die inneren Feinde. Da gab es noch so manchen anderen in unserer Stadt, einige waren bekannt, andere nicht. Der Genosse Mete zum Beispiel war uns nicht bekannt; von ihm und seiner tragischen Geschichte erfuhren wir erst später. Das Spezialgebiet, ja die Leidenschaft des Genossen Mete war es, den inneren Feind aufzuspüren, indem er die Ausrichtung der Fernsehantennen kontrollierte. Es gab keine Dachterrasse in unserer Stadt, die er nicht schon drei- oder viermal erklommen hätte – natürlich stets zu nächtlicher Stunde, um ungesehen überprüfen zu können, ob die Position der Antennen auch tatsächlich den Parteirichtlinien entsprach. Er hatte eine lange Liste angelegt, auf der er nebst Vor- und Nachnamen der Betroffenen notierte, wie die jeweilige Antenne ausgerichtet war. Konnte der Genosse Mete tatsächlich eine Abweichung von den Parteirichtlinien feststellen, eilte er zu den zuständigen Organen, um Meldung zu machen. Dann konnte es passieren, dass der Abweichler in einem Kanal landete – freilich nicht in einem Fernsehkanal, sondern beim Kanalbau – wo er viele Jahre schuften musste.

Eines Nachts wurde die legendäre Liste des Genossen Mete entdeckt, und zwar gegen Mitternacht auf dem Dach unseres Mietshauses; ihn allerdings trennten fünf Stockwerke von seiner Liste, um genauer zu sein, befand er sich infolge eines spektakulären Sturzes von der Dachterrasse auf den regennassen Boden auf Erdgeschossniveau. Sein Sturz war von einem markerschütternden Schrei begleitet, der die gesamte Nachbarschaft, auch die in den ferner liegenden Häusern aus dem Schlaf riss. Der Genosse Mete war beim Aufprall augenblicklich tot. Es war ein tragischer, viel zu früher Tod. Auf seiner Beerdigung sagte der Parteisekretär, der Genosse Mete sei mutig und wie ein Held an der vordersten Front des Klassenkampfs und beim Aufbau des Sozialismus gestorben. Trotzdem blieben die Hintergründe seines Todes ein Rätsel, was die Phantasie der Einwohner unseres Städtchens weiterhin intensiv beschäftigte.

Unentbehrliches Handbuch zum Umgang mit Grenzen

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