Читать книгу Unentbehrliches Handbuch zum Umgang mit Grenzen - Gazmend Kapllani - Страница 13
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ОглавлениеEs waren zwei Versionen im Umlauf, wie es zu dem Sturz des Genossen Mete vom Dach gekommen war. Die erste, die man sich hinter vorgehaltener Hand zu Hause und in den Cafés erzählte, besagte, dass der Genosse Mete außer unter seiner klassischen Leidenschaft für die Kontrolle der Antennenausrichtung auch noch unter einer anderen, äußerst merkwürdigen Leidenschaft litt. Es hieß, er würde für sein Leben gern Paaren bei der Liebe zusehen. Außerdem liebte er es über die Maßen, heimlich den nackten Hintern der Frauen zu begaffen, wenn sie auf der Toilette saßen oder ein Bad nahmen. An jenem schicksalhaften Abend also, so erzählte man sich, beobachtete er vom Dach aus die Richterin, die im obersten Stockwerk unseres Hauses wohnte, wie sie ihr Bad nahm, und geriet beim Anblick ihres enormen Hinterteils in Verzückung. Gänzlich seiner Leidenschaft hingegeben und bemüht, seinen Genuss um kein Quäntchen zu mindern, hatte er sich, ohne den Neigungswinkel des Dachs zu beachten, in eine gefährliche Position gebracht. Zu seinem Pech hatte es vorher geregnet, und so kam es, dass er abrutschte und dabei den Hintern der Richterin aus dem Blick und sein Leben verlor. So weit die Verfechter der ersten Version.
Die zweite Version stammte von Onkel Jani. Nach der war der Genosse Mete ein Opfer der Verschwörung der Feinde im Innern des Staates geworden. Onkel Jani schwor, nicht eher aus dem Leben zu scheiden, bevor er den Feind gefunden hätte, der hinter diesem hinterlistigen Mord und dem heldenhaften Tod des Genossen Mete steckte. Eines Tages verkündete er, dass er mit seinen Nachforschungen gut vorankäme und der Feind höchstwahrscheinlich in unserem Haus zu finden wäre. Diese Ankündigung rief unter den Bewohnern große Panik hervor. Keme fürchtete aufgrund der Vorgeschichte seines Sohnes, dass Onkel Jani ihn als Hauptverdächtigen auf die Liste setzen könnte, und verkaufte flugs seinen Fernsehapparat, damit erst gar nicht der Verdacht aufkommen könnte, er würde ausländische Sender schauen. Unser Nachbar Loni wurde wegen ernsthafter psychischer Störungen im Krankenhaus behandelt, nachdem er geträumt hatte, Onkel Jani habe ihm befohlen, die Leiche des Genossen Mete wieder auszugraben. Onkel Jani aber starb völlig unerwartet an einem Herzinfarkt. Nicht wenige Menschen in unserem Haus atmeten erleichtert auf – nur im Verborgenen, das versteht sich.