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WENN DU TOURIST WÄRST

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Wenn du Tourist wärst, dann klänge dein gebrochenes Griechisch für die Ohren der Zuhörer ganz reizend. Der ganze Unterschied besteht am Ende darin: Wenn ein Amerikaner gebrochen Griechisch spricht, ist er ein sympathischer Amerikaner. Wenn ein Albaner gebrochen Griechisch spricht, ist er nichts anderes als ein Scheißalbaner. Wenn ein Amerikaner sehr gut Griechisch spricht, ist er im Allgemeinen ein bewundernswerter Amerikaner. Wenn aber ein Albaner hervorragend Griechisch spricht, dann bekommt er den Spruch zu hören: »Grieche wirst du trotzdem nie, Albaner bleibt Albaner«.

Da er also ein beklagenswerter illegaler Einwanderer ist, reizt sein gebrochenes Griechisch die Nerven der Einheimischen. Und das hat er völlig verinnerlicht. Wenn er in einen Bus steigt, vermeidet er es, Fragen zu stellen, und wenn er etwas gefragt wird, fängt er an, vor Verlegenheit zu schwitzen, und antwortet extra leise. Doch die Einheimischen drehen sich trotzdem nach ihm um, wenn sie seine Aussprache hören, und er kommt sich vor wie ein Aussätziger.

Warum sehen sie mich so voller Angst an, fragt er sich. Er würde gerne in seinem holprigen Griechisch zu ihnen sagen: »Ich diese Land liebe. Was Angst?« Aber diese Frage stellt er nicht, er kennt die Antwort im Voraus: »Hörst du dir eigentlich selber zu? Guckst du denn keine Nachrichten? Ihr habt uns nach Strich und Faden beklaut, ihr habt uns niedergemetzelt! Man sollte euch alle einsammeln und in euer Scheißland zurückverfrachten!« »Jetzt schon?!«, fragt er sich im Stillen, »jetzt schon soll ich in mein Land zurück? Ich habe doch gerade erst Arbeit gefunden und schufte wie ein Ackergaul, von morgens früh bis abends spät, bei Wind und Wetter. Schaut euch meine Hände an, sie sind total zerschunden, ja, ich arbeite, damit eure Hände schön und glatt bleiben. Ich will auch ein Auto kaufen. Nein, zuerst eine große Stereoanlage, dann einen großen Farbfernseher, dann eine richtige Waschmaschine, dann … dann sehen wir weiter …«

Und in dem Moment wird ihm bewusst, dass ihn die Bezeichnung »Euer Scheißland« gestört hatte. Er kennt die Scheiße seines Landes, darum ist er ja geflohen. Aber deswegen ist es noch lange kein »Scheißland«. Auch dort gibt es Kinder wie hier, auch dort gibt es Mütter, die ihre Kinder lieben, auch dort gibt es Jugendliche, die sich verlieben wie hier. Auch dort gibt es Menschen, die Hoffnungen hegen und die enttäuscht werden. Na ja, wenn wir ehrlich sind, dort nehmen die enttäuschten Menschen immer mehr zu.

Plötzlich muss der Bus anhalten, und zwei Herren steigen ein. Sie tragen die gleiche Uniform und haben beide einen aggressiven Gesichtsausdruck. Das Blut gefriert ihm in den Adern: »Illegale Einwanderer raus, raus, raus, raus!« Und er steigt aus, die Stufen hinunter, immer weiter abwärts, tiefer geht’s nicht mehr, verdammte Scheiße!

Unentbehrliches Handbuch zum Umgang mit Grenzen

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