Читать книгу Unentbehrliches Handbuch zum Umgang mit Grenzen - Gazmend Kapllani - Страница 15

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All das geschah zu der Zeit, da das Regime unser Albanien zu einem blühenden Garten und einzigartigen Leuchtturm für die ganze Weltgemeinschaft erklärt hatte. Die Lehrer in der Schule sagten uns immer wieder, dass wir so etwas wie das auserwählte Volk seien. Und wenn man zum auserwählten Volk gehört, ergeben sich zwei Obliegenheiten: Erstens die nicht Auserwählten zu hassen, und zweitens, um jeden Preis glücklich zu sein. Das Glücklichsein ist in einem totalitären System keine Frage der Wahl oder des Zufalls: Es ist eine Pflicht. Sein Unglücklichsein öffentlich kundzutun, erregt Verdacht.

Um es kurz zu machen, wir waren die einzigen Glücklichen, die durch und durch reinen Menschen, die alleinigen Opfer. Während sich auf der anderen Seite der Grenze die Unglücklichen, die Lügner und Betrüger, die Primitiven, die Verseuchten, die Täter befanden. Schon manches Mal habe ich gedacht, dass wir Albaner so etwas wie das große Los des Weltenglücks gezogen hatten: Alles Glück, alles Echte, die vollkommene Reinheit der Welt fand sich zusammengedrängt auf achtundzwanzigtausend Quadratkilometern, der Fläche Albaniens.

Da sich die Welt für uns also in das Paradies (wir) und die Hölle (die ganze übrige Welt) gespalten hatte, wurde jemand, der versuchte, die Grenzen des Paradieses zu überschreiten und zu fliehen, automatisch für einen Insassen der Hölle gehalten. Deshalb waren auch die Reisepässe abgeschafft worden, sie hatten für uns ohnehin keinen Nutzen, und ein Fluchtversuch galt als Hochverrat.

Eines schönen Tages, ich lebte noch gänzlich in meiner kindlichen, sorgenfreien Welt, verschafften sich die Grenzen auf blutige Weise Zutritt zu meinem verträumten Kopf. Der Tod meines Nachbars Artur brachte sie wie furchteinflößende Gespenster in mein Leben.

Unentbehrliches Handbuch zum Umgang mit Grenzen

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