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WARUM ERZÄHLST DU UNS DAS ALLES?

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Ihr könnt mich jetzt fragen: Warum erzählst du uns das alles? Ehrlich gesagt, wenn du Migrant bist, besonders einer der ersten Generation, ist deine erste Reaktion die, im Schweigen zu verharren. Tief im Innern des Migranten herrschen Angst, Misstrauen und die Gewalterfahrungen während der Flucht und bei der ersten Berührung mit dem unbekannten Land. Und außerdem das Gefühl, unerwünscht zu sein, sowie Groll, Heimweh und gleichzeitig das Verleugnen der Heimat, Schuldgefühle und Wut. Der Migrant ist ein verwirrtes, ein verunsichertes Geschöpf und hat von daher Angst, sich zu bekennen. Es genügt eine ablehnende oder gleichgültige Geste seines Gegenübers, die ausdrücken mag »Was geht mich das an, woher du kommst und was du durchgemacht hast?!«, und schon fühlt der Migrant sich lächerlich, schutzlos und unzulänglich. Infolgedessen geht er lieber kein Risiko ein. Er quält sich einsam und allein mit seinen Erfahrungen und gelangt allmählich zu der Überzeugung, dass seine Geschichte keine Menschenseele interessiert. Schließlich ist seine Bestimmung ja auch nicht das Geschichtenerzählen, denkt er, sondern wie ein Hund ums Überleben zu kämpfen. Die anderen, die können ihn nicht nur, sie wollen ihn auch nicht verstehen.

Die Alternative ist, etwas zu riskieren, sich zu entblößen und sich zu dem schmerzhaften, widersprüchlichen Lebensweg eines Migranten zu bekennen. Er spürt, dass er Gefahr läuft, neurotisch und nachtragend zu werden, wenn er all das Erlebte für sich behält. Das größte Geschenk, das er sich erhoffen kann, wäre, dass jemand ihn versteht und mit ihm zugleich all jene, die nicht erzählen können, die es nicht wagen oder die einfach keine Zeit dafür haben und ihre Erzählungen in ihrem Inneren begraben. Einen Migranten kann man erst verstehen, wenn man seine Geschichte gehört hat.

Unentbehrliches Handbuch zum Umgang mit Grenzen

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