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»Ein schönes und fröhliches Kind«

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Noch eine ganze Zeit lang hing die Zukunft dieses »schönen und fröhlichen Kindes« in der Schwebe. Philipp hatte ein Gefolge von über 400 Hofleuten, eine Garde von mehr als 100 Leibwächtern und beinahe 2000 deutsche Landsknechte nach Spanien mitgenommen, und sein plötzlicher Tod im September 1506 ließ diesen ganzen Tross mit einem Mal völlig mittellos dastehen. »Unter uns war keiner, der auch nur einen roten Heller in der Tasche hatte«, klagte später einer, »und als der König starb, hatte er sein ganzes eigenes Geld schon ausgegeben.« Da von spanischer Seite keine Hilfe zu erwarten war und »weil wir Angst hatten, es könnte uns die Heimreise in unser eigenes Land verboten werden«, rissen sich die verzweifelten Höflinge schleunigst so viel von des toten Königs Besitz unter den Nagel, wie sie nur konnten. Sie begannen mit den Juwelen, Gold und Silber und »verkauften alles für sehr viel weniger, als es eigentlich wert war«. Später »tauschten sie ihre eigenen Kleider, ihre Pferde und anderen Besitztümer von Wert gegen Brot ein« – und zur Bezahlung ihrer Rückreise. Die burgundischen Überlebenden dieser Fahrt hegten fortan eine tiefe Abneigung gegenüber Spanien und den Spaniern.33

Als die Nachricht von Philipps Tod die Niederlande erreichte, befand sich Chièvres gerade nicht in Mecheln, sondern befehligte einen Heerzug gegen den Herzog von Geldern, der, angespornt von Ludwig XII. von Frankreich, seine Feindseligkeiten wieder aufgenommen hatte. Die übrigen Mitglieder des Regentschaftsrates gerieten in Panik, da (wie einer von ihnen es formulierte) »wir noch nicht wissen, wie diese Neuigkeit aufgenommen werden wird – weder von den Untertanen noch von den Freunden und Feinden in der Umgebung«. Man befürchtete innere Unruhen ähnlich jenen, die nach dem Tod von Philipps Großvater Karl dem Kühnen 1477 und seiner Mutter Maria im Jahr 1482 ausgebrochen waren; und obwohl der französische König »wie üblich« Briefe »voller schöner Worte« gesandt hatte, »wäre es überaus gefährlich, in diese Worte allzu viel Vertrauen zu setzen«. Außerdem, merkten die Regenten misstrauisch an, war Philipp so plötzlich gestorben, dass »wir noch nicht einmal von einer Krankheit gehört hatten«, während Johanna in Spanien gestrandet war und Karl zum Regieren zu jung.34 Mit einiger Unruhe beriefen sie daher Vertreter aus den Ständeversammlungen der niederländischen Provinzen ein, die als »Generalstaaten« zusammentraten.

In den gut zehn Jahren seiner tatsächlichen Regierungszeit – seitdem er 1494 aus der Vormundschaft seines Vaters entlassen worden war – hatte Philipp die Generalstaaten 25-mal einberufen, um mit ihnen über Fragen von Krieg und Frieden zu beraten und sich von ihnen Steuergelder bewilligen zu lassen. Delegationen der vier größten und reichsten Provinzen (Brabant, Flandern, Hennegau und Holland) nahmen so gut wie immer an den Sitzungen der Generalstaaten teil, meist auch Vertreter aus dem Artois, Französisch-Flandern, Mecheln, Namur und Zeeland, gelegentlich auch welche aus Limburg und Luxemburg. Die jeweils anwesenden Delegationen teilten sich zu ihren Beratungen auf die drei »Stände« auf: Prälaten, Adel und Städte. Das galt auch für die Versammlung, die in Mecheln am 15. Oktober 1506 zusammentrat, »um mit unserem verehrten Herrn, dem Erzherzog [von Österreich] und Prinzen von Kastilien, zusammenzukommen und um festzustellen, ob sie [d. h. die Generalstaaten] uns, wie wir hoffen, ihren Rat zu den hiesigen Angelegenheiten gewähren werden«.35

Philipps nach innen und außen auf Konsens und Ausgleich zielender Regierungsstil zahlte sich nun reichlich aus: Jede einzelne der niederländischen Delegationen erging sich angesichts der Todesnachricht in »der größten Sorge und Wehklage, die man je gesehen hat«, während sowohl Heinrich VII. als auch Ludwig XII. dem jungen Thronfolger ihren Schutz anboten. Tatsächlich sollte Ludwig für den Rest seiner Regierungszeit die Neutralität von Karls Besitz ausnahmslos respektieren (wenn er auch weiterhin heimlich den Herzog von Geldern unterstützte). Einige der Regenten – vor allem solche, die wie Chièvres in den südlichen Provinzen begütert waren – sprachen sich dafür aus, die Niederlande unter französische Protektion zu stellen; andere jedoch – vor allem jene, die wie Bergen ihren Besitz in den nördlichen Seeprovinzen hatten – befürworteten eine Allianz mit England. Die Generalstaaten wiederum waren der Ansicht, dass Kaiser Maximilian der beste Garant für ihre zukünftige Sicherheit sein würde, und entsandten eine Delegation – der sowohl Chièvres als auch Bergen angehörten –, um ihm die Vormundschaft über seine Enkelkinder und die einstweilige Regentschaft über die Niederlande anzutragen.36

Maximilian hatte diese Entscheidung bereits vorhergesehen: Sobald er vom Tod seines Sohnes erfuhr, wies er den Regentschaftsrat an, »unsere Niederlande auch weiterhin zu regieren, wie es unser verstorbener Sohn euch aufgetragen hat, in unserem Namen und im Namen unseres allerliebsten [Enkel-] Sohnes Karl«, bis er selbst zurückkehren und die Dinge in die Hand nehmen könne, »was in etwa zwei bis drei Wochen sein wird«. Maximilian muss klar gewesen sein, dass dieser Zeitplan vollkommen utopisch war, als er auch noch seine Tochter Margarete herbeizitierte, die ihn auf seiner Reise begleiten sollte.37

Die Erzherzogin war nun 27 Jahre alt und hatte in ihrem Leben bereits viel erlebt. Im Jahr 1483, da war sie drei gewesen, hatte man sie als Verlobte Karls VIII. nach Frankreich geschickt, wo sie die nächsten acht Jahre am französischen Hof verbrachte, bis der König sie kaltblütig zurückwies und eine andere heiratete. Nach zwei Jahren bei ihrer Großmutter in Mecheln war Margarete nach Spanien gegangen, um den Infanten Johann zu heiraten. Der starb indes nach nur sechs Monaten, und so kehrte sie 1500 nach Mecheln zurück. Achtzehn Monate darauf brach sie zur Hochzeit mit Herzog Philibert II. nach Savoyen auf, mit dem sie glückliche Monate verlebte, bis er – ebenfalls viel zu jung – im Jahr 1504 starb. Margarete konzentrierte sich jetzt ganz auf den Bau der Abtei Brou als einer prachtvollen Grablege für ihren verstorbenen Mann, die man bei Bourg-en-Bresse im Südosten Frankreichs noch heute besichtigen kann. Abgesehen von einer kurzen Reise im Jahr 1505, bei der sie mit ihrem Vater und Bruder die Option erörterte, selbst als Regentin der Niederlande eingesetzt zu werden, blieb sie in Savoyen, bis Maximilian sie im Jahr darauf in den Norden rief. Die beiden verbrachten mehrere Monate zusammen und berieten, wie es scheint, über den bestmöglichen Umgang mit der durch Philipps Tod so plötzlich eingetretenen Notlage. Schließlich setzte Maximilian im März 1507 sein Siegel unter ein Dokument, worin er für sich beanspruchte:

»Schutz und Vormundschaft, Regierung und Fürsorge sowohl unserer lieben [Enkel-]Kinder Karl, Prinz von Kastilien, und Ferdinand, Erzherzog von Österreich, sowie ihrer Schwestern Eleonore, Isabella, Maria und Catalina, die allesamt minderjährig sind, als auch ihrer sämtlichen Besitzungen, Lande und Herrschaften, wie wir von Rechts und von Vernunft wegen befugt und befähigt sind als ihr Großvater und nächster Verwandter.«

Da er diese Befugnisse aber nicht persönlich wahrnehmen konnte, ernannte Maximilian Margarete zu seiner »Prokuratorin«, der »unsere Territorien und Herrschaften in den Niederlanden« einen Gehorsamseid leisten sollten; außerdem ließ er Bevollmächtigte vor den Generalstaaten auftreten und dort schwören, dass er, Maximilian, »unwiderruflich« als alleiniger Vormund und Regent für Karl agieren werde, und zwar »bis zum Ende von dessen Minderjährigkeit«.38

Das alles kam einer Machtübernahme von spektakulären Ausmaßen gleich. Chièvres und seine Mitstreiter hatten die Niederlande achtzehn Monate lang mit minimalem Aufwand – aber erfolgreich – regiert; nun schmiss Maximilian sie kurzerhand hinaus und beanspruchte die alleinige Autorität über die Niederlande und über seine Enkelkinder in Mecheln für sich selbst. Ebenso beanspruchte er die Herrschaft über die anderen Territorien, die sein früh verstorbener Sohn hinterlassen hatte, sowie über seine beiden anderen Enkel, Ferdinand und Catalina, die beide in Spanien lebten. Da der Kaiser in Spanien jedoch keinerlei Machtbefugnis hatte, blieb Karls Erbe faktisch geteilt, ganz wie sein Vater Philipp es sich in seinem Testament ausgemalt hatte: Johannas Vater, König Ferdinand, tat sein Bestes, Kastilien zu regieren (und dazu noch Aragón und Sizilien, deren Monarch er selbst war, sowie Neapel, das seine Truppen erst kürzlich den Franzosen abgenommen hatten), und er ließ seinen jüngeren, auf seinen Namen getauften Enkel zu einem spanischen Infanten erziehen, während Maximilian alles daransetzte, die Niederlande zu regieren und sicherzustellen, dass aus Karl ein echter Burgunderprinz wurde.

Die Kinder in Mecheln erfuhren im Oktober 1506, dass sie nun Halbwaisen waren, als ihr Erzieher ihnen den Tod ihres Vaters mitteilte. »Sie zeigten einen Kummer, der ihrem Alter angemessen war, ja vielleicht sogar mehr als das«, ließ man Maximilian wissen, und hätten »sich glücklich erklärt, einen so treu sorgenden [Groß-]Vater wie Euch zu besitzen«.39 Zwar sollte Maximilian selbst seine Enkel erst zwei Jahre später wieder besuchen, aber im April 1507 traf Margarete in Mecheln ein und übernahm die Fürsorge für die Kinder, die sofort ein inniges Vertrauen zu ihrer Tante fassten: Als sie kurz darauf wieder abreiste, um ihren politischen Verpflichtungen nachzukommen, brachen sie in Tränen aus (wie ein Augenzeuge berichtet), weil sie »ihre Tante und Patin nun nicht mehr sehen würden – oder besser gesagt: ihre neue Mutter«.40

Der Kaiser

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