Читать книгу Der Kaiser - Geoffrey Parker - Страница 22

Das Interregnum

Оглавление

Die Nachricht von König Ferdinands Tod und eine Abschrift seines Testaments erreichten Brüssel am 8. Februar 1516. Karl ordnete unverzüglich eine »ununterbrochene Trauer von sechs Wochen an«, die in allen Kirchen der Niederlande gehalten werden sollte, »genau wie es nach dem Tod des verstorbenen Königs, meines Vaters, war«. Außerdem schrieb er einen Brief an seinen Bruder Ferdinand – den er ja noch nie persönlich getroffen hatte – und sprach ihm sein Beileid aus angesichts der »Einsamkeit und Trauer«, die er nun empfinden müsse, und versicherte ihm, er habe »in uns nicht nur Euren einzigen Bruder gewonnen, sondern auch (wie Ihr sehen werdet) einen treu sorgenden Vater«.29 Dies war der leichte Teil gewesen: Die wahre Herausforderung stellte sich Karl mit der Frage, wie er mit Cisneros’ Staatsstreich umgehen sollte. Immerhin entband die Täuschungsabsicht seines Großvaters Karl davon, sich an sein eigenes Versprechen zu halten und alle spanischen Flüchtlinge (die wegen ihrer Unterstützung für Karls Vater Philipp als »Felipistas« bekannt waren) von seinem Hof zu entfernen. Zu diesem Zeitpunkt gab es knapp fünfzig davon, und fast alle von ihnen waren junge Abkömmlinge spanischer Patrizier- oder Adelsgeschlechter (wie etwa Juan de Zúñiga, in dessen Hände Karl später die Erziehung seines Sohns und Erben Philipp legen sollte). Keiner von ihnen führte jedoch einen Adelstitel, und nur einer trug eine Bischofsmütze: Alonso Manrique, der Bischof von Badajoz, ein ausgesprochener Unterstützer König Philipps, den Ferdinand von Aragón drei Jahre hatte einkerkern lassen, bevor ihm die Flucht in die Niederlande gelang und er sich Karl als dessen Hofkaplan anschloss. Die Felipistas, die spürten, dass nun die Zeit der Rache gekommen war, drängten Karl, den Titel »König von Kastilien« anzunehmen – ein Vorschlag, über den (wie Manrique festhielt) »der Prinz, obgleich er ja stets als ›Prinz‹ unterschreibt, nur lacht und immerfort schmunzeln muss, wenn sie ihn ›König‹ nennen«.30

Am 14. März 1516 las Manrique in der Brüsseler St.-Gudula-Kathedrale eine Totenmesse für den verstorbenen König Ferdinand, deren Ablauf sich eng an den Trauerfeierlichkeiten für Königin Isabella zwölf Jahre zuvor orientierte (siehe Kap. 1). Eine Prozession von Rittern des Ordens vom Goldenen Vlies, die Ferdinands Herrschaftszeichen mit sich trugen, zog Karl voran in die Kathedrale ein. Dann nahmen die Ordensritter Aufstellung rund um Ferdinands Sarg, auf dem »eine goldene Krone und ein Schwert« lagen. Dreimal rief der Oberherold den Verstorbenen unter Nennung all seiner Titel aus, aber jedes Mal antwortete eine klagende Stimme aus der Tiefe des Kirchenschiffs: »Er ist tot.« Nach dem dritten Aufruf verkündete der Herold, dass nun Karl und Johanna »diese Reiche geerbt« hätten. Manrique »nahm die Krone vom Katafalk und ging zu Karl hinüber … und sprach: ›Sire, dies gehört Euch als dem König.‹ Dann nahm er gleichermaßen das Schwert, reichte es ihm und sprach: ›Da Ihr nun König seid, nehmt dieses Schwert, um gerecht zu richten.‹« Als der neue König sich daraufhin zu der in der Kathedrale versammelten Menschenmenge umwandte, ertönten Trompeten, und Chöre stimmten Lobgesänge zu seinen Ehren an. Eine Woche darauf unterzeichnete Karl eine Reihe von Briefen, in denen er versicherte, der Papst und der Kaiser hätten ihn zusammen mit vielen »klugen und weisen Edelleuten« und »etlichen Provinzen und Herrschaften« gedrängt, er solle »zusammen mit der Katholischen Königin, meiner Mutter, den Namen und Titel eines Königs annehmen. Und das tat ich.« Und dann fügte er – offenbar zum ersten Mal – die traditionelle Königsunterschrift an, die er über die nächsten vierzig Jahre für seine gesamte Korrespondenz in spanischer Sprache verwenden sollte: »Yo el Rey« – »Ich, der König«.31

Cisneros und dem Madrider Regentschaftsrat blieb nichts anderes übrig, als diese Entwicklungen empört aus der Ferne mitzuverfolgen. Nur wenige Tage zuvor hatten sie einen Brief an Karl aufgesetzt, in dem sie darlegten, dass »manche Leute, wie uns zu Ohren gekommen ist, Euch – wohl aus einem übergroßen Eifer heraus, Euch zu Diensten zu sein, Hoheit – durch ihr Drängen dazu gebracht haben, den Titel ›König‹ schon jetzt anzunehmen«, was sie jedoch ablehnten: »Es scheint uns, dass Euer Hoheit dies nicht tun sollte, noch ist es auch im Sinne Gottes oder der Welt, so zu handeln, denn da in den Königreichen Eurer Hoheit Frieden herrscht … solange unsere liebe Frau Königin am Leben ist, besteht überhaupt kein Grund, dass Ihr Euch ›König‹ nennt.« Auch erinnerten sie Karl daran, dass »böse Menschen in diesen Königreichen sich zu allen Zeiten über ihre jeweiligen Herrscher beklagt und sich den potenziellen Nachfolgern angedient haben, um Unfrieden zu säen und das Königreich umso leichter tyrannisieren zu können«.

»Wenn Euer Hoheit sich jetzt ›König‹ nennt, könnte dies Schwierigkeiten hervorrufen und den Interessen Eurer Hoheit ernstlich schaden, da es (wie zu erwarten stünde) den Anspruch und Titel unserer Herrin, der Königin, in Zweifel zöge … Die Unzufriedenen in diesen Königreichen, die Feinde des Friedens und der Eintracht, würden dies ausnutzen, indem manche – mit der Sprache der Loyalität maskiert – Eurer Hoheit zu dienen vorgäben und andere Eurer Mutter.«32

Aber sie schrieben vergebens, und nachdem die Nachricht von der Brüsseler Krönungszeremonie nach Spanien gelangt war, hatten Cisneros und seine Räte auch kaum eine andere Wahl, als sich den neuen Realitäten zu beugen. Am 3. April 1516 genehmigten sie die Durchführung einer Zeremonie, bei der ganz offiziell »das Banner des Königs aufgepflanzt« wurde – die traditionelle kastilische Art, den Regierungsantritt eines neuen Monarchen zu feiern. Mehrere Städte proklamierten umgehend ihre Gefolgschaft: »Kastilien, Kastilien, Kastilien für Königin Johanna und König Karl, unsere erhabenen Herrscher«, während andere trödelten. In Zamora wurde das königliche Banner erst am 18. Mai gehisst, in Plasencia gar erst am 25. Juli. Der englische Gesandte John Stile notierte, dass viele Kastilier »großen Anstoß nehmen und verstimmt sind darüber, dass die Flamen ihren Prinzen zum König von Kastilien erklärt haben ohne [ihre] Einwilligung«.33

Die ungewisse Lage brachte – im Zusammenspiel mit dem Wunsch, sich bei dem neuen Herrscher und seinen Beratern möglichst beliebt zu machen – etliche von Karls neu gewonnen Untertanen dazu, die Reise von Spanien nach Brüssel anzutreten. Im April 1516 kamen nach Auskunft des englischen Botschafters in den Niederlanden »tagtäglich so viele Spanier hier an, dass der Hof schon ganz voll ist von ihnen«. Drei Monate später »begingen sie«, wie Cisneros Agent in Brüssel schreibt, »das Jakobsfest auf spanische Art: 24 Ritter nahmen an der Vesper und der Messe teil«.34 Dieser Umstand signalisierte eine entscheidende Entwicklung, denn die besagten Ritter entstammten der Elite der spanischen Gesellschaft und standen rangmäßig deutlich über den Felipistas. Die Mitglieder einer anderen Gruppe von Neuankömmlingen, später als Fernandinos bezeichnet, hatten dem verstorbenen König gedient, jedoch ihre Posten verloren, als Cisneros die Macht übernahm. Einer von ihnen war Francisco de Los Cobos, der seit den 1490er-Jahren im kastilischen Sekretariat der Königin Isabella tätig gewesen und seit 1503 von Ferdinand mit Geldzuwendungen bedacht worden war. Er konnte sich einer gründlichen Vertrautheit mit den Feinheiten nicht nur der kastilischen (Steuer-)Verwaltung, sondern auch der amerikanischen Kolonien rühmen. Am 31. Oktober 1516 wies Karl Cisneros an, Los Cobos fortan ein Gehalt aus der kastilischen Staatskasse auszuzahlen, »denn er ist hergekommen, um uns zu dienen, und befindet sich nun seit einer Weile in unseren Diensten«. Sechs Wochen darauf leistete Los Cobos seinen Eid als königlicher Sekretär, und bis zu seinem Tod 31 Jahre später sollte er Tausende von Briefen öffnen, lesen und zusammenfassen, die an Karl adressiert waren und sich mit nahezu sämtlichen Aspekten der Regierung und seiner überseeischen Besitzungen befassten. Auch entwarf Los Cobos die Antwortschreiben, die Karl dann prüfte und unterschrieb. Als der Kaiser 1543 eigenhändig die vertraulichen Instruktionen für seinen Sohn niederschrieb, widmete er Los Cobos in seiner Beurteilung mehr Raum als irgendeinem anderen Minister – und erwähnte unter anderem auch die hartnäckige Rivalität zwischen Fernandinos wie Los Cobos, die erst vergleichsweise spät in Karls Dienste getreten waren, und Felipistas wie Juan de Zúñiga, die schon gut zehn Jahre zuvor aus Spanien geflohen waren.35

Einer der wenigen Punkte, in denen die Anhänger beider Parteien übereinstimmten, war die von ihnen als dringend notwendig erachtete Rückkehr Karls nach Spanien. Bereits im März 1516 hatte Bischof Manrique gemeldet, es sei »in einer Sitzung des Rates, bei der alle sich zu Wort meldeten und abstimmten, beschlossen worden, dass der Prinz unser Herr nach Spanien aufbrechen sollte« – und zwar noch in diesem Sommer. Dennoch hegte Manrique aus demselben Grund dieselben Bedenken, die ein Jahrzehnt zuvor auch Karls Vater gegolten hatten (siehe S. 29): Zwar habe »der Prinz mit schönen Worten von seiner Entschlossenheit zur Abreise gesprochen«, bemerkte der Bischof, jedoch seien »die Menschen hierzulande überaus wankelmütig, und was sie heute beschließen, ist morgen vergessen«. Er fürchtete daher, »wenn sie nicht in diesem Sommer die Segel setzen, wird die Reise – da der Winter ja eine gefährliche Zeit ist für die Seefahrt – wohl bis zum nächsten Sommer aufgeschoben werden«. Seine Befürchtung sollte sich als Prophezeiung erweisen. Sechs Wochen später teilte Karl seinem Bruder Ferdinand zwar mit: »Ihr könnt Euch das Verlangen und den Eifer nicht vorstellen, die mich erfüllen«, nach Spanien zu kommen, und versprach ihm, dass »Ihr der Erste sein werdet, der den Platz oder Hafen erfährt, wo wir anlanden werden«. Vorerst jedoch, fügte Karl hinzu, »können wir nicht ganz sicher sein: Gott und das Wetter werden es entscheiden.« Im Oktober 1516 entschuldigte er sich abermals bei Ferdinand, dass »gewisse sehr dringliche Angelegenheiten sich eingestellt haben, sodass ich zum Schutz all der anderen Königreiche und Herrschaften, über welche die Katholische Königin – meine Mutter – und ich herrschen, meine Reise bis zum Frühjahr aufschieben muss«. Im März 1517 ließ Karl dann tatsächlich in Middelburg eine Flotte zusammenziehen – in demselben Hafen, von dem aus seine Eltern elf Jahre zuvor nach Spanien aufgebrochen waren.36

Manrique vermutete, dass der eigentliche Hauptgrund für die Verzögerung die Notwendigkeit war, Karls burgundisches Erbe für die Zeit seiner Spanienreise gegen die Gefahr einer Invasion zu schützen, und der Bischof nannte auch gleich drei potenzielle Feinde: England, Frankreich und Geldern. Der Erste von ihnen sollte sich am einfachsten besänftigen lassen: Schon im April 1516 unterzeichneten Abgesandte Heinrichs VIII. in Brüssel einen Vertrag, mit dem bestehende Handelsstreitigkeiten beigelegt wurden; außerdem versprachen die Engländer Karl ihre Unterstützung, sollte irgendjemand während seiner Abwesenheit in die Niederlande einfallen. Heinrich sicherte Karl außerdem zu, in England willkommen zu sein, sollte seine Flotte auf dem Weg nach Spanien einen sicheren Hafen brauchen. Der Abschluss eines vergleichbaren Abkommens mit Frankreich erwies sich als deutlich schwieriger: Die im Mai in der picardischen Stadt Noyon begonnenen Verhandlungen scheiterten zunächst daran, dass beide Parteien Anspruch auf das Königreich Neapel erhoben, wurden im August jedoch wieder aufgenommen. Franz (der sich nun »König von Frankreich, Herzog von Mailand und Herr von Genua« nannte) entband Karl zwar von seiner Verpflichtung, Renée zu heiraten, erlegte ihm aber stattdessen auf, seine eigene kleine Tochter Luise zur Braut zu nehmen. Zu deren Mitgift sollte dann auch der Anspruch der französischen Krone auf Neapel gehören. Bis zur Hochzeit sollte Karl einen jährlichen Tribut von 100 000 Kronen für jenes Königreich zahlen, wodurch er die Rechtmäßigkeit des französischen Anspruchs natürlich eingestanden hätte. Der im August unterzeichnete Vertrag von Noyon verpflichtete Karl zudem, dem von Ferdinand vertriebenen König von Navarra (einem Verbündeten Frankreichs) »Genugtuung zu leisten«, und zwar binnen acht Monaten nach seiner Ankunft in Spanien und »in einem Umfang, den er selbst nach gründlicher Betrachtung der Ansprüche [Navarras] für gerecht erachtet«. Im Gegenzug gelobte Franz, niemals einem Feind Karls Hilfe zu gewähren. Zweifellos sahen Chièvres und Le Sauvage (als persönlich anwesende Unterhändler) gewisse Zugeständnisse mit Blick auf die entlegenen Territorien von Neapel und Navarra als durchaus vertretbar an – als einen kleinen Preis dafür, dass die Niederlande sicher sein würden, während Karl unterwegs war, um seine Autorität über Spanien und den damit verbundenen Besitz in Übersee zu festigen. Auf dem Papier zumindest erschien Karls Verpflichtung, dereinst Claude de France zu heiraten, als das größere Risiko, da die Prinzessin zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses kaum ein Jahr alt war. Das bedeutete, dass Karl unter Umständen erst in den 1530er-Jahren einen rechtmäßigen Erben würde zeugen können. Aber vielleicht rechneten die Unterhändler ja damit, dass man von diesem Teil des Abkommens später noch würde zurücktreten können, ganz so, wie Ludwig XII. von seiner Verpflichtung zurückgetreten war, Karl seine Tochter zur Frau zu geben.37

Der Vertrag von Noyon stieß Karls englische Verbündete vor den Kopf: »Der König von Kastilien, durch sein reiches Erbe der größte und mächtigste Fürst, den die Welt seit fünfhundert Jahren gesehen hat … wird nun wohl nach der Pfeife des französischen Königs tanzen«, unkten Heinrichs Diplomaten. Außerdem habe »der besagte französische König es sich in den Kopf gesetzt, dass es in ganz Italien niemanden geben solle, der ihm überlegen oder auch nur gleichrangig sei«, weshalb er sich vermutlich sowohl Neapel als auch das Papsttum untertan machen werde. Schlimmer noch: Franz habe beteuert, dass »die Krone des [Heiligen Römischen] Reiches recht eigentlich in das Haus Frankreich gehörte, wofür er auch sorgen wolle, wenn es sich machen ließe« – und der jüngst geschlossene Vertrag ließ ein solches Ergebnis wahrscheinlicher werden. Die Engländer machten für dieses ungünstige Szenario den Umstand verantwortlich, dass Karl »sich mit solchen Männern umgibt« (gemeint waren insbesondere Chièvres und Le Sauvage), die »eher einen Teil seiner rechtmäßigen Ansprüche fahren lassen, als anderen Missvergnügen zu bereiten«. Aus englischer Sicht gab es wenig Hoffnung, dass die Dinge sich bald ändern könnten: Stattdessen werde der übermäßige Einfluss seiner Berater auf Karl »so lange bestehen, bis der König von Kastilien das Problem selbst [sieht], was wohl nicht geschehen kann, bevor er nach Spanien kommt – und ob es dann geschehen wird, das weiß nur Gott«.38

Einen letzten Rivalen hatte Karl noch zu besänftigen, bevor er die Niederlande verlassen konnte, und das war der Herzog von Geldern. Philipp I. war 1506 mit exakt demselben Problem konfrontiert gewesen (siehe Kap. 1), und obwohl er Geldern besiegt und mit harten Friedensbedingungen in die Schranken gewiesen hatte, kämpfte Herzog Karl später mit diplomatischen und manchmal auch mit militärischen Mitteln (bisweilen mit der heimlichen Unterstützung Frankreichs) darum, den verlorenen Einfluss wiederzugewinnen. Bischof Manrique stellte im März 1516 fest, dass »von dem Herzog von Geldern einiges zu fürchten ist«, da »die Franzosen dazu neigen, ihn in Zeiten wie diesen zu begünstigen … Angesichts der großen Macht des Prinzen wäre es eine Schande, wenn [Karl] dem nicht vorbaute.« Der Bischof drängte sogar Cisneros und den spanischen Rat, Hilfe »zur Eroberung Gelderns beizusteuern«.39 Obwohl sich am Ende tatsächlich dies als die Lösung des Problems herausstellen sollte – 1543 setzte Karl spanische Truppen und spanisches Geld ein, um Geldern zu erobern und zu annektieren –, sorgte der bevorstehende Aufbruch nach Spanien, der keinen weiteren Aufschub duldete, dafür, dass Karls »Statthalter« vorerst doch eine friedliche Lösung vorzogen. Bei den Verhandlungen in Noyon überzeugten sie die französische Delegation davon, Frankreich solle den Herzog von Geldern zur Einwilligung in einen Waffenstillstand bewegen, während Unterhändler sich mit der Aussöhnung sämtlicher widerstreitenden Ansprüche befassen sollten. Sie stellten sogar die Möglichkeit in den Raum, dass der Herzog Karls jüngste Schwester Catalina heiraten könnte. Obwohl daraus nichts wurde, reichte die bloße Erwägung fürs Erste aus, um Geldern unschädlich zu machen.40

Karl schob derweil seine Reise immer weiter auf die lange Bank. Vielleicht hatten die beruhigenden Miteilungen, die Cisneros ihm zukommen ließ, ihn so sehr eingelullt, dass er nun glaubte, Spanien könne warten. Im August 1516 hatte ihm der Kardinal geschrieben:

»All diese Königreiche erfreuen sich des tiefsten Friedens, den sie je erlebt haben … und zweifellos muss man Gott danken, dass in allen diesen Reichen, so groß sie sind, es nicht die kleinste Unruhe, nicht den geringsten Hinweis auf Tumult und Aufruhr gibt: Nicht nur die Städte, sondern auch die Granden sind ohne jede Ausnahme so fügsam und friedsam, dass niemand noch mehr verlangen könnte.«

Einen Monat später wiederholte Cisneros, dass »in diesen Königreichen alles ruhig und friedlich ist wie immer schon«.41 Die führenden Köpfe unter Karls niederländischen Untertanen äußerten sich in demselben beruhigenden Tonfall. Im November 1516 führte Karl zum ersten Mal den Vorsitz, als die Ordensritter vom Goldenen Vlies sich zum Kapitel versammelten. Nachdem er den Eid als Großmeister des Ordens geleistet hatte, schlug Karl vor, dass die Anzahl der Ordensritter fortan 51 betragen solle (statt bisher 31), was ihm durch die territoriale Expansion des Hauses Burgund seit Gründung des Ordens gerechtfertigt erschien. In diesem Zusammenhang regte er an, zehn Plätze für die erlauchtesten seiner neu gewonnenen Untertanen in Spanien und Italien zu reservieren. Die Versammlung stimmte zu und wandte sich dann der Ausübung ihres einzigartigen Privilegs zu: der öffentlichen Erörterung der Verfehlungen ihrer Mitglieder. Nachdem einige Ritter für Geiz, Trunkenheit und Glücksspiel gemaßregelt worden waren, richtete die Versammlung ihre Aufmerksamkeit auf Karl. Wohl auch, weil diesem die meisten der üblichen Verfehlungen aufgrund seines jungen Alters noch fremd waren, beklagten die Ritter stattdessen, dass Karl sie in politischen Fragen zu selten um ihre Meinung bat. Der junge Herrscher gelobte ihnen für die Zukunft Besserung.42

Jetzt hing alles davon ab, die nötigen Gelder für die Reise nach Spanien zu beschaffen. Karl erklärte Cisneros gegenüber, dass er, »um alles hier in einem angemessenen Zustand hinterlassen und sicher reisen zu können«, mindestens 100 000 Dukaten aus Spanien benötigen würde; die Generalstaaten bat er indessen, Steuern in Höhe von 400 000 Gulden zu bewilligen. Obwohl dies derselbe Betrag war, den ein Jahrzehnt zuvor sein Vater für denselben Zweck erbeten hatte, hegten die Delegierten Bedenken: »Dem Volk soll eine riesige Menge Geld abverlangt werden und das auch noch sofort«, hielt Erasmus von Rotterdam fest und fügte bissig hinzu: »Der Adel und die Prälaten haben dem Antrag schon zugestimmt – mit anderen Worten diejenigen, die ohnehin nichts zahlen werden. Die Städte beratschlagen noch.« Erasmus bemerkte auch, dass Maximilian, »der üblicherweise ohne Waffen auftritt, jetzt in Begleitung einer Truppe bestens ausgerüsteter Soldaten hier bei uns weilt, während im ganzen Umland Scharen von Söldnern lagern«, und er fragte sich, wozu das alles dienen sollte.43

Die Antwort war einfach: Der Kaiser war im Januar 1517 in die Niederlande zurückgekehrt, weil er ein letztes Mal versuchen wollte, die Provinzen und seinen Enkelsohn wieder unter seine Kontrolle zu bringen. Im Monat zuvor hatte Margaretes Agent am Kaiserhof ihr versichert, der Kaiser beabsichtige, »Chièvres und seine Mitstreiter aus ihren Machtpositionen zu drängen«, und werde »nicht abreisen, bevor [Karl] aufgebrochen ist«. Daraufhin wolle er »die Regierung der Niederlande in die eigene Hand nehmen, um sie dann in die Eure zu legen«.44 Das war eine mühselige Aufgabe. Im April 1517 holte Maximilian, nachdem er seinem Enkel das Versprechen abgenommen hatte, »sich ja zu beeilen und binnen iii oder iiii Wochen« aus Zeeland abzureisen, Erkundigungen ein, »um herauszufinden, welche Vorbereitungen getroffen würden, und man berichtete ihm, dass noch keine getroffen seien und noch nicht einmal Geld dafür zur Verfügung stehe«. Maximilian war wütend, denn er fühlte sich hinters Licht geführt und »schrieb einen scharf formulierten Brief an den König, seinen Enkelsohn, in dem er diesen an sein Versprechen erinnerte«. Die erste Maiwoche verbrachte Maximilian selbst in Zeeland, um die Reisevorbereitungen persönlich zu überwachen. Dann traf er noch einmal in Lier mit Karl zusammen, der Stadt, in der Philipp und Johanna zwanzig Jahre zuvor geheiratet hatten, und obwohl manche eine gewisse Kühle zwischen dem Großvater und seinem Enkel bemerkt haben wollen, gab Karl anschließend zwei riesige Buntglasfenster in Auftrag, die an ihr Treffen erinnern sollten. Er sollte seinen Großvater nie wiedersehen.45

Maximilians ständiges Nörgeln scheint seine Wirkung nicht verfehlt zu haben, denn im Juni 1517 gab Karl den Generalstaaten bekannt, dass seine Abreise nach Spanien unmittelbar bevorstehe. Einem Augenzeugen zufolge brachen viele Delegierte in Tränen aus, als der Kanzler Jean Le Sauvage dem Auditorium versicherte, wie sehr ihr Herrscher sie liebe und wie schwer es ihm falle, sie zurückzulassen. »Und obgleich der Kanzler selbst ein starker Mann war, den nichts so leicht zu Tränen rührte«, konnte auch er sich dem Augenblick nicht entziehen, »da er überall umher die Leute weinen sah, gab vor, zu husten, und putzte sich dann mit dem Schnupftuch die Nase, alles um zu verbergen, dass ihm die Augen voller Tränen standen.« Als er seine Fassung zurückgewonnen hatte, gab Le Sauvage mehrere Versprechen in Karls Namen: dass dieser binnen vier Jahren zurückkehren werde, dass er für eine gute Regierung in seiner Abwesenheit Sorge tragen wolle und dass er seinen Bruder Ferdinand in die Niederlande schicken werde, damit immerhin ein Prinz von königlichem Geblüt bei ihnen wäre. Karl ließ auch seine Bitte um Geld wiederholen, ahnte indes, dass er es kaum rechtzeitig erhalten würde, und überzeugte stattdessen Heinrich VIII. davon, ihm 100 000 Gulden zu leihen, die zur Bezahlung der Schiffe und Mannschaften gedacht waren, die in Zeeland bereits versammelt waren, um Karl nach Spanien zu bringen.46

Jetzt endlich konnten Karl und sein Gefolge nach Middelburg reisen, wo er seine Planungen für die »gute Regierung« abschloss, die er den Niederlanden in den kommenden Jahren zukommen lassen wollte. Zuerst ernannte er seinen engsten Vertrauten, den Grafen Heinrich von Nassau, zum obersten Befehlshaber aller Truppen in den Niederlanden mit beträchtlichen Entscheidungsbefugnissen, was ihren Einsatz anging. Dann erklärte Karl: »Wir haben beschlossen, dass wir dieses Mal keinen Regenten ernennen wollen … [stattdessen] richten wir einen Geheimen Rat ein«, der aus vierzehn prominenten Adligen und Ministern bestehen und die Staatsangelegenheiten regeln sollte. Eine ganze Reihe von Fragen aus den Bereichen Politik, Rechtsprechung und Patronage behielt Karl freilich weiterhin seiner persönlichen Entscheidung vor. Maximilian (der sich inzwischen wieder in Deutschland befand) hatte Karl zufolge versprochen, zurückzukehren, »sollte in den Niederlanden eine außergewöhnliche Lage eintreten … und dann wird er die Leitung des Rates übernehmen«. Obwohl Margaretes Name die Liste der Ratsmitglieder anführte, kamen ihr keine besonderen Befugnisse zu – abgesehen von der Aufsicht über den »Stempel (cachet), den wir angefertigt haben, um unseren Namen auf alle Briefe zu drucken, die mit der Zustimmung des Rates in unserem Namen ausgefertigt werden«. Denn obwohl nicht nur Chièvres, sondern auch Le Sauvage Karl nach Spanien begleiten würden, hatten sie offenbar nicht die Absicht, ihre Macht über die Niederlande allzu schnell aus der Hand zu geben.47

Der Kaiser

Подняться наверх