Читать книгу Der Kaiser - Geoffrey Parker - Страница 42

»Männer schlagen Schlachten, aber nur Gott gewährt Siege«42

Оглавление

Im November 1523 schlug Karl Heinrich vor, sie sollten doch »unsere Pläne für das ›Große Vorhaben‹ aufgeben« und stattdessen »meine Italienarmee einsetzen, um ersatzweise mit dieser in Frankreich einzufallen«; die Kosten hierfür sollten sich die beiden Monarchen teilen.43 Dieser dramatische Kurswechsel spiegelt nicht nur das Scheitern der Verschwörung wider, die der Herzog von Bourbon betrieben hatte, sondern auch Gattinaras feste Überzeugung, dass Mailand und Genua die eigentlichen Dreh- und Angelpunkte im Reich seines Herrn darstellten. Der Erhalt dieser beiden Territorien, ließ er Karl wissen,

»darf unter keinen Umständen zu gering geschätzt werden, denn sie sind der Schlüssel zur Sicherung und Behauptung von Neapel und Sizilien. Zugleich sind sie das Mittel der Wahl, wenn Ihr die Venezianer und den ganzen Rest Italiens in Zucht und Gehorsam halten wollt, wodurch ihr wiederum ganz Deutschland und die Eidgenossen in Furcht halten werdet und mit ihnen tun könnt, was Euch beliebt. Auf einer solchen Grundlage werdet Ihr – aus eigenem Recht – stark genug sein, an allen Orten gegen die Türken und andere Heiden Krieg zu führen und ihnen Vernunft beizubringen.«44

Nachdem er im Monat darauf vom Tod Papst Hadrians erfahren hatte, legte Gattinara Karl eine weitere umfassende Analyse seiner strategischen Ziele vor mitsamt Vorschlägen zu deren Erreichung. Zwei dieser Ziele, die der Kanzler unter den Überschriften »Reputation« und »Sicherung Italiens« behandelte, betrafen die Außenpolitik. Unter dem ersten Punkt betonte Gattinara noch einmal die Notwendigkeit, »Euren guten Ruf aufrechtzuerhalten, der für Euch die größte Wichtigkeit besitzt … sei es nun, um einen günstigen Friedensvertrag oder Waffenstillstand zu erreichen, oder sei es (falls jenes nicht möglich sein sollte), um den Krieg fortzuführen und schließlich zu beenden«. Zu diesem Zweck müsse Karl sich »die Gewogenheit des Königs von England erhalten«, und angesichts des kaiserlichen Versäumnisses, Heinrichs Feldzug angemessen zu unterstützen, »müssen wir uns nicht nur entschuldigen, sondern auch den entstandenen Schaden ersetzen … und so deutlich machen, dass unser damaliger Fehler nicht mit Absicht geschah«. Als Nächstes wandte Gattinara sich der »Sicherung Italiens« zu. Hierzu musste der Kaiser den neuen Papst – in Spanien war noch nicht bekannt, wer dies sein würde – davon überzeugen, ein Verteidigungs- und Offensivbündnis zu unterzeichnen, ähnlich jenem, das er mit Hadrian geschlossen hatte. Außerdem sollte er, wie Gattinara ausführte, dem Mailänder Herzog Francesco Sforza Eleonores Tochter Maria zur Frau versprechen (womit die Aussichten des Herzogs auf einen Erben in die ferne Zukunft geschoben wurden, denn Maria war erst zwei Jahre alt) und den Herzog von Bourbon zu seinem persönlichen Stellvertreter und Befehlshaber in Oberitalien ernennen. Karl befahl den sechs ranghöchsten Ratgebern aus seinem Gefolge, jeweils ihre Meinung (parecer) zu Gattinaras Entwurf niederzulegen, und zwar in der Reihenfolge ihres Rangs.45 Da alle den Vorschlägen zustimmten, verließen im Dezember 1523 Boten den kaiserlichen Hof, deren Auftrag lautete, den neuen Papst, Clemens VII., für Karl zu gewinnen. Clemens entstammte wie vor ihm bereits Leo X. der einflussreichen Familie der Medici. Außerdem trugen die Boten Anweisungen für den Herzog von Bourbon bei sich, der als Karls »erster Stellvertreter in Italien« und damit als eine Art »zweiter König« (alter rex), wie der Botschafter Contarini formulierte, amtierte. Karl glaubte, dass »die Franzosen guten Grund haben werden, die Anwesenheit von Monsieur de Bourbon [in Italien] zu beklagen, denn er wird ihnen – mit Gottes Hilfe – einen Dolch direkt an die Kehle drücken«.46

Die Initiative ging jetzt auf die kaiserlichen Heerführer in Italien über. Nachdem sie den Winter 1523/24 damit zugebracht hatten, die in der Lombardei noch verbliebenen französischen Garnisonen davonzujagen, bestimmten sie Charles de Lannoy, den Vizekönig von Neapel, zum »Protektor« dieser neu eroberten Gebiete. Er sollte in Oberitalien verbleiben, während Bourbon mit seinen Truppen in die Provence einfiel; eine erneute Invasion der Engländer im Nordwesten würde, wie der Herzog hoffte, Franz hinreichend ablenken. Er hoffte vergebens: Heinrichs vorheriger Frankreichfeldzug hatte ihn annähernd zwei Millionen Dukaten gekostet, jedoch keinerlei Gewinn eingebracht, und so sah der englische König keinen Grund, noch mehr Geld zu vergeuden. Dies erlaubte es Franz, seine gesamten Kräfte gegen den Herzog von Bourbon zu konzentrieren, und obwohl es dem kaiserlichen Heer gelang, Aix-en-Provence zu erobern und Marseille zu belagern, führte das Heranrücken zahlenmäßig weit überlegener französischer Kräfte zu einem schmachvollen Rückzug nach Italien – wo Bourbon und seine Leute feststellen mussten, dass Franz die Alpen auf einer anderen Route überquert hatte und vor ihnen in der Lombardei eingetroffen war, weshalb die Kaiserlichen in Pavia Zuflucht suchen mussten. Franz setzte ihnen nach und versuchte, die Stadt im Sturm zu erobern. Als dies misslang, richtete er sich für eine regelrechte Belagerung ein. Obgleich Franz’ Entscheidung, eine solche Festung im Winter zu belagern, leichtsinnig erscheinen mochte, schien die Zuversicht des Königs doch dadurch gerechtfertigt, dass zuerst der Papst, dann auch die Venezianer Karl im Stich gelassen hatten und stattdessen ein Bündnis mit ihm, Franz, eingegangen waren.47 Anfang 1525 folgte auch Heinrich VIII. ihrem Beispiel, ließ die Korrespondenz des kaiserlichen Gesandten in London beschlagnahmen (was einen krassen Verstoß gegen das diplomatische Protokoll bedeutete) und erklärte, er habe Besseres zu tun, als sein Geld einem Lügner (Karl), einer Hure (Margarete), einem Kind (Ferdinand) und einem Verräter (Bourbon) hinterherzuwerfen.48

Der Papst, die Venezianer und auch Heinrich sollten diese Neuausrichtung ihrer Bündnispolitik schon bald bereuen – bot der Kaiser ihnen doch zwei entscheidende Vorteile: Erstens sorgten die Erfolge der Konquistadoren in Amerika dafür, dass immer mehr Edelmetall und andere Kostbarkeiten in das spanische Mutterland strömten. Im März 1524 vermerkte der venezianische Botschafter das Eintreffen von »60 000 Goldstücken, von denen ein jedes anderthalb Dukaten wert ist«. Im Januar 1525 folgten noch einmal »20 000 Goldstücke und 400 Mark [ca. 90 Kilogramm] Perlen«. All dies nutzte Karl als Sicherheit, um weitere Gelder nach Italien schicken zu können – oder wie der polnische Botschafter es formulierte: »Der Kaiser sendet alles Geld, das ihm in die Hände kommt, seinen Truppen und nimmt dafür zu Hause [in Spanien] Not und Elend in Kauf.« Davon abgesehen war, wie Gattinara bemerkte, Karls wichtigster Aktivposten in Italien »gleich nach Gott die Hilfe, die der Erzherzog Ferdinand genau zur richtigen Zeit gesandt hat, um das Heer unseres Cäsars zu verstärken«.49 Karl sah zudem ein, dass er in militärischer Hinsicht noch sehr unerfahren war, und ermunterte seine Generäle deshalb, selbst die Initiative zu ergreifen und jeden Vorteil auszunutzen, der sich ihnen bot, ohne zuvor noch nach genaueren Befehlen zu fragen. Entsprechend machten Karls Anweisungen an den Herzog von Bourbon im August 1524 einige allgemeine Vorgaben zur Durchführung des anstehenden Feldzuges, schlossen dann aber mit den folgenden Zeilen: »Da Ihr Euch an Ort und Stelle befindet und, wie Ihr wisst, mein vollkommenes Vertrauen genießt, ist es nicht nötig, dass ich Euch einen genauen Plan darüber vorlege, wie wir unsere gemeinsame Sache zum Erfolg bringen und unsere Reputation wahren.« Als Karl einige Monate später seinen Bruder ermahnte, »Euch mit ganzer Kraft und allem, was Ihr dazu tun könnt, für meine Sache einzusetzen«, fügte er in ähnlichem Tenor hinzu: »Da Ihr so weit von mir entfernt seid, werde ich Euch nicht sagen, was genau Ihr tun sollt oder wie Ihr dies alles vollbringen sollt, sondern überlasse es vielmehr Euch, zu entscheiden, was das Beste sein wird, je nachdem, welche Mittel Euch zur Verfügung stehen und welche Gelegenheiten sich bieten.«50

Dennoch hatte Karl mit hartnäckigen Zweifeln zu kämpfen. Dem englischen Botschafter Richard Sampson zufolge wurde er gegen Ende des Jahres 1524 »sehr matt und gar nicht mehr kriegslustig; seine Besserung liegt in Gottes Hand«. Der Kaiser empfand nun mit Blick auf seine gesamte Situation eine tiefe Verunsicherung. Anfang 1525 verfasste er eine düstere Denkschrift, die ihm helfen sollte, seine Gedanken zu ordnen. Wenn ein ehrenvoller Friede nicht zu erreichen sei, schrieb er da, »scheint Krieg die Lösung«; jedoch: »Wie könnten wir ihn führen? Mir fehlen zur Zeit die Mittel, um meine Soldaten zu bezahlen«, und »meine Freunde haben sich von mir abgewandt und mich im Stich gelassen, weil sie nicht wollen, dass ich mächtiger werde als sie«. Dann fuhr er fort: »Alle Vorgehensweisen haben Nachteile, und manche sind schlicht unmöglich; jedoch wollte ich meine Ansichten einmal vertraulich niederschreiben.« Dazu gehörte auch diese bemerkenswerte Selbstanalyse:

»Da die Zeit verfliegt und wir alle sterben müssen, will ich nicht von dieser Welt scheiden, ohne etwas Denkwürdiges zu hinterlassen. Wer heute Zeit vergeudet, bekommt sie morgen nicht wieder, und bislang habe ich nichts vollbracht, was mir zur Ehre gereichte … Nichts soll mich davon abhalten, etwas Bedeutendes zu vollbringen.«51

Dabei plane er allerdings »auf keinen Fall, irgendein Risiko einzugehen – zumindest nicht ohne einen sehr guten Grund«. Franz sollte ihm jenen »sehr guten Grund« schon bald liefern. Der französische König erklärte hochmütig, er wolle dem Kaiser nicht nur das Herzogtum Mailand, sondern auch das Königreich Neapel entreißen, und entsandte ein mächtiges Expeditionsheer nach Unteritalien. Diese Teilung seiner Armee sollte das militärische Kräfteverhältnis in der Lombardei entscheidend verschieben: Bereits Ende Januar 1525 schien es einem englischen Gesandten im Gefolge des Herzogs von Bourbon, dass das kaiserliche Heer nun »in einer aussichtsreichen Position [sei], etwas Wirkungsvolles gegen ihre Feinde zu unternehmen«, weshalb »man hier stündlich mit dem Beginn der Schlacht rechnet«.52 In Rom bekannte der wichtigste Ratgeber des Papstes am 19. Februar, dass »Seine Heiligkeit sich Tag und Nacht besorgt zeigt« über die »Gefahren, die ein Krieg mit sich bringt«, und fürchte, dass »wegen der geringen Entfernung zwischen den beiden Heerlagern« Franz »womöglich alles riskieren und sein Glück in der Schlacht suchen wird«. Eine Woche später warnte Karls Botschafter seinen Herrn, dass »sich alles hier [in Rom] in einem so ungewissen und bedenklichen Zustand befindet«, dass »Euer Majestät sich darauf gefasst machen muss, eine Niederlage zu akzeptieren, wie Ihr es bei einem Sieg tun würdet«. Er konnte ja nicht ahnen, dass eine Schlacht, die gerade 500 Kilometer weiter nördlich geschlagen worden war, die gesamte militärische und strategische Lage von Grund auf verändert hatte.53

Obwohl Karl sich bemühte, alle verfügbaren Ressourcen in die Lombardei weiterzuleiten, war die Versorgung seiner dortigen Truppen alles andere als gesichert. »Die Verteidiger von Pavia wollten nicht länger leiden, und das ganze Heer stand kurz vor dem Verhungern. Die Spanier wurden langsam unverschämt, und die Deutschen fingen an, zu desertieren.« Deshalb trafen die kaiserlichen Heerführer die folgenreiche Entscheidung, mit allen Kräften einen Entsatzangriff gegen die französischen Belagerer zu unternehmen, obwohl diese weit in der Überzahl waren. »Wir sahen uns gezwungen, das kleinere Übel zu wählen«, erklärte Lannoy seinem Herrn kurz vor dem Angriff, »und beschlossen daher, uns ganz und gar unserem Gott, unserem Glück sowie dem Wagemut und der Courage unseres Heeres anzuvertrauen«, selbst wenn dadurch »einiges Risiko drohte. In drei oder vier Tagen wird entweder das Heer mit der Garnison von Pavia vereinigt sein oder ich werde tot sein. Ich hoffe jedoch, zu leben und zu siegen.«54 Am 24. Februar, dem Geburtstag des Kaisers, nutzen Karls Heerführer den Schutz der Dunkelheit, um spanische Scharfschützen in die französischen Belagerungswerke einzuschleusen, die den Überraschungsangriff im Morgengrauen unterstützen sollten.

Franz hatte gerüchteweise gehört, dass seine Feinde in Bewegung seien, nahm jedoch an, es handele sich um einen Rückzug. Vielleicht stachelte ihn ja die Aussicht an, endlich den verhassten Herzog von Bourbon gefangen zu nehmen – jedenfalls befahl Franz seinen Leuten unklugerweise, die schützende Deckung ihrer Befestigungsanlagen zu verlassen und sich ihm und seiner schweren Reiterei, die er persönlich befehligte, zu einer Reihe von Attacken anzuschließen. Zunächst schienen die Ritter zu triumphieren, doch dann eröffneten die spanischen Scharfschützen aus ihren Verstecken heraus das Feuer und mähten die Franzosen der Reihe nach nieder. Dann unternahm die Garnison von Pavia einen Ausfall, durch den Franz von seiner Truppe abgeschnitten wurde. Eine Zeit lang hielt der König sich wacker und tötete sogar noch einige Angreifer, doch als sein Pferd tödlich getroffen wurde, »fiel er zu Boden. Einige Deutsche wollten ihn töten, aber der König rief in Todesangst aus, sie sollten ihn nicht töten, denn er sei der König von Frankreich.« Zwei Gefolgsleute Bourbons – Männer, die Franz erst kürzlich zu Verrätern erklärt hatte – trafen den König »im bloßen Hemd« an und konnten ihn überzeugen, sich zu ergeben. »Alles, was mir nun noch bleibt«, schrieb Franz an jenem Abend voller Sorge, »sind meine Ehre und mein Leben«55 (Abb. 14).

Ein englischer Diplomat, der dabei gewesen war, bezeichnete Pavia als »den größten Triumph, den man seit vielen Jahren gesehen hat«, aber das war noch untertrieben: Seit der Schlacht von Agincourt im Jahr 1415 waren nicht mehr so viele französische Adlige an einem einzigen Tag gefallen. Unter den Gefangenen befand sich nicht nur Franz, sondern auch der König von Navarra, der den Krieg vier Jahre zuvor mit herbeigeführt hatte, dazu viele weitere Würdenträger. Wie der venezianische Botschafter in Rom mitteilte, »zitterte der Papst vor Angst und sagte, dass er selbst und die Signoria nun schnellstens mit dem Kaiser übereinkommen müssten«.56 Lope de Soria, ein altgedienter Diplomat, der aus Genua berichtete, pflichtete dem bei:

»Lasst uns Gott ewig preisen und ihm ohne Ende danken, ihm und dem glorreichen Sankt Matthias, da Gott uns an seinem Festtag nicht nur die Geburt Seiner kaiserlichen Hoheit beschert, sondern uns an demselben Tag auch diesen wunderbaren Sieg gewährt hat, der Eurer Majestät größere Machtvollkommenheit gebracht hat, um die Angelegenheit der Christenheit ins Reine zu bringen und Recht und Gesetz für die ganze Welt niederzulegen (poner ley).«57

Das europäische Machtgefüge hatte sich entscheidend verschoben: Nicht mehr Franz, sondern Karl war nun der mächtigste Herrscher der christlichen Welt – und zugleich der am meisten gefürchtete.

Der Kaiser

Подняться наверх