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4Vom König von Spanien zum rex Romanorum (1517–1519) Endlich Spanien!

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Einige Wochen nach dem Tod Ferdinands von Aragón im Januar 1516 meldete der englische Botschafter John Stile aus Madrid, dass, sollte Karl nicht bald in Spanien eintreffen, »sich hier in diesem Sommer ganz bestimmt zahlreiche Unannehmlichkeiten und Probleme einstellen werden«. Für eine Weile schien es, als hätte Stile maßlos übertrieben. Nicht nur sandte Kardinal Cisneros dem König einen steten Strom aufmunternder Nachrichten über die Lage in Kastilien; sondern in Aragón hatte der Justicia Mayor, der oberste Richter des Königreiches, Karl als rechtmäßigen Erben und als gesetzlichen Vormund seiner Mutter Johanna anerkannt, solange diese an »Krankheit, Geistesgestörtheit und Schwachsinn« leide. Der Vizekönig von Neapel meldete inzwischen, dass »das gesamte Königreich ebenso friedlich und gesetzestreu dem Prinzen und König, meinem Herrn, gehorcht, wie es dies zu Zeiten Seiner seligen Majestät getan hat«. Zwar hatten einige sizilianische Barone auf die Nachricht von Ferdinands Tod hin eine Rebellion angezettelt, doch waren Ruhe und Ordnung durch das entschiedene Eingreifen des Vizekönigs schon bald wiederhergestellt. Diese Flut guter und optimistischer Nachrichten ermutigte Karl, die Pläne seines Großvaters für einen erneuten Feldzug in Nordafrika wieder hervorzuholen: Im Mai 1517 wies er Cisneros von Brüssel aus an, einen Landungsangriff auf Algier zu unternehmen.1

Zu jenem Zeitpunkt geriet die Lage in Kastilien bereits außer Kontrolle. Trotz der Unklarheit seiner eigenen Position war es Cisneros anfangs noch vergleichsweise gut gelungen, sich gegen Anfeindungen zu behaupten. Als eine Delegation von Granden bei ihm vorsprach und fragte, »mit welchem Recht Ihr eigentlich regiert«, »wies [der Kardinal] auf eine Terrasse, wo er – wie an vielen erhöht gelegenen Plätzen – eine große Zahl von Kanonen hatte aufstellen und bereit machen lassen, und sagte zu ihnen: ›Das sind die Vollmachten, die der König mir hinterlassen hat, und mit ihnen wie auch mit der Erlaubnis des Prinzen werde ich Kastilien regieren, bis Seine Hoheit hierherkommt oder etwas anderes anordnet.‹« Ein derart krudes Machtgebaren konnte nicht ewig gut gehen. Rückblickend murrte der Chronist Bartolomé Leonardo de Argensola, der Kardinal habe »die Dinge auf sehr herrische Art geregelt«. Insbesondere habe er »viele, die ihm gut gedient hatten, ihrer Ämter beraubt, anderen nahm er ihr Salär und hochgestellten Personen ihre Renten und Steuereinnahmen«. Viele der Betroffenen gingen »in die Niederlande, um bei dem Prinzen Zuflucht zu suchen«, was Cisneros’ Autorität untergrub, denn »an jenem Hof hörte man nichts als Beschwerden über die Lage in Kastilien«.2

Aber auch viele von denen, die in Spanien blieben, beschwerten sich. Manche Adligen und Städte stellten sich der Politik Cisneros’ offen entgegen, und während der Kardinal in seinen Briefen an Karl weiterhin bemüht war, positive Akzente zu setzen – »alles ist friedlich und ruhig«, behauptete er im März 1517 wieder einmal –, drohten die führenden Städte Kastiliens, im Oktober die Cortes des Königreichs zusammentreten zu lassen, wenn Karl nicht bis dahin endlich eingetroffen war. Diese Frist hielt der junge König gerade noch ein, als er am 20. September 1517 zum ersten Mal einen Fuß auf spanischen Boden setzte.3

Der neue Herrscher kam gut vorbereitet. Karl hatte Bücher gesponsert, die seine Legitimität untermauern sollten (darunter Neuausgaben der Acht Dekaden über die neue Welt des Pedro Mártir de Anglería und der Chronik Johanns II. über die Taten von Karls Urgroßvater); und er hatte sich Abschriften der täglichen Rechnungsführung besorgt, die den Haushalt seiner Mutter auf deren Reisen nach Spanien ein Jahrzehnt zuvor erfasst hatte – vermutlich, weil er abschätzen wollte, wie viel er selbst würde in etwa ausgeben müssen.4 Ein Darlehen von seinem Onkel Heinrich VIII. hatte Karl eine gut gefüllte Reisekasse von 40 000 Dukaten beschert – spanische Münzen, frisch in Antwerpen geprägt. Damit sollte Karl seinen Lebensunterhalt bestreiten, doch zunächst fand er nur wenig, was er hätte kaufen können: Die Lotsen seiner Flotte hatten sich im Landungsort geirrt, sodass Karl, Eleonore und ihr Gefolge in dem winzigen asturischen Hafenort Villaviciosa an Land gingen, wo es an Infrastruktur für ihr Gepäck und die mitgeführten Vorräte mangelte. Ein Mitglied der königlichen Entourage berichtete: »Für 200 Personen – Herren, Kavaliere und edle Damen – hatten wir kaum vierzig Pferde, und zu kaufen gab es auch keine, erstens, weil hier wegen der großen Berge und der Eigenart des Geländes selbst die hohen Herren zu Fuß gehen, und zweitens, weil die Hauptorte alle mit der Krankheit verseucht waren.«5 »Die Krankheit« – gemeint war die Beulenpest – sollte Karls ganzen ersten Besuch in Spanien überschatten, seine Entscheidungen beeinflussen und seine Untertanen entscheidend verdrießen.

Laurent Vital, der mit seinem Herrn an Land ging, versuchte, alldem noch etwas Positives abzugewinnen: »Der König und sein Gefolge machten aus der Not eine Tugend«, behauptete er, »indem sie mit anpackten« bei allem, was zu tun war, »und vorgaben, in einer ländlichen Idylle gelandet zu sein, wenn sie Schmarren und Pfannkuchen aus einheimischen Eiern und Mehl verspeisten«. Aber das Rollenspiel bekam erste Risse, als »eine große Zahl von ihnen auf Stroh schlafen musste« – und spätestens nachdem sie alle Vorräte am Ort aufgegessen hatten, war es mit dem schönen Schein vorbei. So sah das königliche Gefolge sich zur Weiterreise gezwungen, aber weil sie nur wenige Ochsenkarren auftreiben konnten, in denen die Damen fuhren, sowie ein paar Packpferde und Maultiere, die Karl und einige andere ritten, mussten die anderen zu Fuß hinterher.6

Nachdem sie den »schrecklichen und mühseligen Küstenpfad« bewältigt sowie sintflutartigem Regen und einem »kalten, finsteren Nebel« getrotzt hatten, erreichte die vollkommen durchnässte Schar schließlich den Hafen von San Vicente de la Barquera, wo zumindest etwas bessere Unterkünfte und frische Lebensmittel ihre Lebensgeister weckten und die allgemeine Stimmung merklich hoben. Karl prahlte seiner Tante Margarete gegenüber, dass »den ganzen Weg entlang die Fürsten und Granden dieser Gegend uns den Gruß entboten haben, wobei sie beeindruckend viel Volk mit sich führten voller gutem Willen und Gehorsam«. Ein wenig großspurig fügte er hinzu: »Wir glauben, dass hier nie zuvor ein König so allgemein und von allen willkommen geheißen und verehrt worden ist wie wir.« Kurz danach erkrankte er, musste das Bett hüten und aß so gut wie nichts, während seine Ärzte ihn mit diversen Arzneien traktierten, »denen sie oft auch vom geriebenen Horn eines Einhorns beimischten«. Karl wurde schließlich so krank, dass »selbst seine Hofnarren ihn nicht mehr zum Lachen bringen konnten«.7

Die Ärzte kamen zu dem Schluss, dass »die Seeluft die Schuld trug«, und deshalb marschierte man nicht weiter nach Santander, wo Karls Flotte mit den restlichen Vorräten eingetroffen war. Der König und ein kleines Gefolge machten sich vielmehr auf den direkten Weg nach Kastilien, wozu sie ein Gebirge von beinahe 2000 Metern Höhe überqueren mussten – eine tollkühne Entscheidung in jeder Lage, aber angesichts von Karls angegriffener Gesundheit war sie geradezu töricht. Zunächst kamen sie noch durch Dörfer, in denen selbst »in der Kammer des Königs Bärenfelle hingen statt der gewohnten Wandteppiche«, dann gab es nur noch ärmliche Hütten »mit gänzlich blanken Wänden«, und schließlich kamen sie an einen Ort, »wo wir nicht ein einziges Haus finden konnten, das nicht stank und von dem Vieh, das darin üblicherweise nächtigte, ganz und gar voller Krankheiten war«. Also schlug die königliche Reisegesellschaft Zelte auf und richtete sich gerade auf eine Nacht im Freien ein, als erneut ein »kalter, finsterer Nebel« herabsank, gefolgt von heftigen Windböen und einem weiteren Wolkenbruch – der diesmal jedoch in Schneefall überging. Es war nichts zu machen: Sie mussten in einer der Hütten Zuflucht suchen und die Nacht zwischen übel riechenden und von Flöhen übersäten Nutztieren verbringen. Selbst Vital, der sich normalerweise von nichts unterkriegen ließ, überkam eine gewisse Entmutigung: »Sechsundzwanzig Tage sind vergangen, seit der König von Bord gegangen und in Spanien gelandet ist«, schrieb er traurig – und doch hatten sie gerade einmal achtzig Kilometer zurückgelegt!8

Sobald Karls Gefolge nahe Palencia wieder auf den königlichen Versorgungstross gestoßen war, verbesserten sich die Bedingungen zumindest ein wenig; aber die Tortur war noch lange nicht vorbei. Am 31. Oktober passierten sie »mehrere Dörfer, von denen man nur die Kirche sah, weil die Häuser und Unterkünfte der Bewohner in der Erde verborgen lagen, in Höhlen und dunklen Gängen, wie Kaninchenbaue«; und nachdem Karl spät an diesem Abend vor Allerheiligen feierlich in das winzige Städtchen Becerril de Campos eingezogen war, »ordnete er an, dass in seiner Unterkunft eine festliche Vesper gesungen werde, aß an jenem Abend jedoch nichts« – denn es gab nichts zu essen.

Die vier Monate zwischen Karls Abreise aus Gent im Juni 1517 und seiner Ankunft in Becerril am Abend vor Allerheiligen waren vermutlich die elendesten Monate seines Lebens und auch die am wenigsten produktiven: Er führte während dieser Zeit so gut wie keine Regierungsgeschäfte, obwohl sich anderenorts dramatische Entwicklungen ergaben. In Nordafrika wurde Karls Expeditionsheer von den muslimischen Verteidigern von Algier beinahe völlig aufgerieben, was in ganz Spanien für Entsetzen und Wut sorgte. Weiter im Osten befehligte Sultan Selim I. die osmanische Eroberung Ägyptens und der Arabischen Halbinsel und beanspruchte für sich die Kalifenwürde. Wie der Historiker Andrew Hess, ein Fachmann für die Geschichte des Osmanischen Reiches, ausgeführt hat, »katapultierte dies die Osmanen nicht nur in eine Führungsposition innerhalb der weit ausgedehnten muslimischen Welt, sondern verschaffte den Herrschern in Istanbul auch die nötigen Ressourcen, um ihren Machtbereich nach Norden bis vor die Tore Wiens und nach Westen bis zur Straße von Gibraltar auszudehnen«. An beiden genannten Punkten trafen sie jedoch auf habsburgische Gegenwehr. So begann also der »Weltkrieg des 16. Jahrhunderts«, der während Karls ganzer weiterer Regierungszeit seine Aufmerksamkeit fordern und seine Ressourcen verschlingen sollte.9 Für die weitere Entwicklung kaum weniger bedeutsam: Martin Luther, ein unbekannter Theologieprofessor an der Universität im sächsischen Wittenberg, hatte eine Liste von Einwänden gegen die Theorie und Praxis des Ablasshandels verfasst, mit dem die Kirche einen Sündenerlass gegen Geldspenden für fromme Zwecke in Aussicht stellte. Am 31. Oktober 1517, als Karl gerade in Becerril sein unfreiwilliges Fasten begann, veröffentlichte Luther seine 95 Thesen über die Kraft der Ablässe in Wittenberg. Bis zum Jahresende waren sie in Hunderten von gedruckten Exemplaren in deutscher und lateinischer Sprache in Umlauf gekommen. Ein weiterer, anders gelagerter »Weltkrieg des 16. Jahrhunderts« hatte begonnen.

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