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Ein folgenreicher Liebesbrief

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Karl erließ nun eine Anordnung über den Hofstaat, den er mit sich nach Spanien nehmen wollte und der über 600 Personen umfasste – beinahe doppelt so viele, wie zehn Jahre zuvor im Gefolge seines Vaters mitgezogen waren. Dazu gehörte auch ein starkes iberisches Kontingent von achtzehn ranghohen Amtsträgern, von denen einige bereits prominent in Erscheinung getreten waren (Alonso Manrique, inzwischen Bischof von Córdoba, und Pedro Ruiz de la Mota, Bischof von Badajoz, ferner Juan de Zúñiga, Luis Cabeza de Vaca und Juan Manuel). Mehrere deutsche Fürsten standen ebenfalls auf der Liste, darunter Pfalzgraf Friedrich, der noch immer seine jährliche Zahlung von 5000 Gulden als Obersthofmeister erhielt.48

Auch Karls ältere Schwester Eleonore begleitete ihn. Ursprünglich hatten die Klagen seiner niederländischen Untertanen darüber, dass Eleonores Abreise auch noch das letzte Kind Philipps des Schönen aus ihrer Mitte reißen würde (Isabella befand sich schon in Dänemark, Maria war auf dem Weg nach Ungarn), Karl dazu bewogen, den Verbleib der Schwester in Brüssel anzuordnen. Aber Eleonore sang im Garten des Palastes Protest- und Klagelieder »und ihre Zofen sangen den Refrain, bis der König, ihr Bruder, davon Notiz nahm. Und Seine Hoheit kam, um sie zu trösten, weil er sie sehr lieb hatte, und versprach ihr, dass er sie mit sich nach Spanien nehmen werde«.49 Mit diesen Protestliedern hatte es indes noch mehr auf sich. Karls Mündigsprechung hatte auch seine inzwischen neunzehnjährige Schwester Eleonore aus ihrer Mechelner Abgeschiedenheit befreit: Beide hatten sie ihren Lebensmittelpunkt nun im Coudenberg-Palast von Brüssel, wo sie in benachbarten Gemächern wohnten. Wenn Karl in seinem Herrschaftsgebiet umherreiste, begleitete Eleonore ihn und sein Gefolge, unter dem sich auch der »erste Prinz von Geblüt«, Pfalzgraf Friedrich, befand.

Der 1482 geborene Friedrich war sechzehn Jahre älter als Eleonore. Er hatte bereits ihren Vater auf dessen erster Reise nach Spanien begleitet und danach an der Seite Maximilians in Italien gekämpft. Auch mit dem kleinen Karl blieb er stets in Kontakt: 1505 schickte er ihm ein Steckenpferd, dem bestimmt noch weitere Spielzeuge folgten. 1513 wurde er als einer von drei Kämmerern des Prinzen damit betraut, diesem ständige Gesellschaft zu leisten (siehe Kap. 2). Viele waren der Meinung, es sei Friedrich gewesen, der Karl von einer leichten Neigung zur Anorexie geheilt habe.50 Zwei Jahre später spielte er als Beauftragter Maximilians eine wichtige Rolle bei der Mündigsprechung seines Enkels, und über die nächsten zwei Jahre hinweg begleitete der Pfalzgraf das königliche Gefolge auf allen seinen Reisen. Gegen Ende des Jahres 1515, berichtet uns sein Biograf, wurde Friedrich Eleonores »Geliebter, während sie auf Bällen tanzten, während sie in dem Park spazieren gingen, der das königliche Schloss umgab, und während sie auf die Jagd gingen; und wenn sie einmal keine Worte wechseln konnten, dann verständigten sie sich mit Zeichen und Gesten«. Auf diese Weise gelang es Friedrich, »um die edle Dame Frau Eleonore von Österreich zu werben und ihr mitzuteilen, dass er sie ehelichen wolle.« Wen wundert es also, dass Eleonore Protestlieder sang, als zu fürchten stand, Friedrich werde womöglich ohne sie nach Spanien aufbrechen?51

Doch Karl hatte auch seine eigenen, verborgenen Motive: Wenn er seine Meinung änderte und beschloss, seine Schwester doch mit nach Spanien zu nehmen, lag das nicht allein an ihrem Protest. Im März 1517 war beider Tante María gestorben und hatte König Manuel von Portugal als Witwer zurückgelassen, der nun im Alter von 48 Jahren eine neue Braut suchte. Karl bot ihm Eleonores Hand an. Das bedrohte natürlich ihre geheime Liebschaft mit dem Pfalzgrafen, und während Eleonore noch in Zeeland auf günstigen Wind zum Aufbruch wartete, versprach sie Friedrich, dass sie, »wenn sie das nächste Mal mit dem König in ihrer Kapelle allein sein werde«, Karl um seine Zustimmung zur Heirat mit dem Geliebten bitten wolle. Unglücklicherweise zweifelte Friedrich jedoch an ihrer Entschlossenheit und schrieb ihr deshalb einen leidenschaftlichen Liebesbrief, der folgendermaßen begann: »Meine Geliebte, Ihr könnt der Grund zu meinem Glück oder zu meinem Unglück sein … Ich bin bereit und verlange nicht mehr, als dass ich Euer sein will und Ihr mein sein sollt … Liebste, zürnt mir nicht, wenn ich Eure Seele mit so vielen lästigen Briefen beschwere.«52

Eleonore sollte diese Liebeserklärung niemals lesen. Eine ihrer Hofdamen hatte beobachtet, wie Friedrichs »lästige Briefe« zugestellt worden waren, welche die Prinzessin sodann in ihrem Mieder versteckte, bis sie sie ungestört und in aller Heimlichkeit lesen konnte. Auf irgendeinem Weg fand Chièvres dies heraus und informierte Karl. Eleonore hatte gerade Friedrichs letzten, verzweifelten Brief erhalten und an dem üblichen Ort versteckt, als ihr Bruder in ihre Gemächer trat, um ihr wie an jedem Tag den Morgengruß zu entbieten:

»›Wie befindet Ihr Euch?‹, fragte er, worauf sie antwortete: ›Mir geht es wohl, mein Herr‹ … ›Aber mir will scheinen‹, sprach der König, ›dass Euer Busen heute voller ist als gewöhnlich‹; und mit diesen Worten stieß er seine Hand hinein und zog den beschämenden Brief hervor. Eleonore errötete und bemühte sich, diesen Beweis ihrer heimlichen Liebe zurückzuerlangen, aber Karl setzte sich durch und sprach noch im Gehen: ›Nun werde ich schon herausbekommen, was Ihr getrieben habt.‹«

Der König stürmte in seine eigenen Gemächer zurück, wo er den Liebesbrief las, bevor er ihn an Chièvres weitergab, der beide Parteien, Eleonore wie Friedrich, zwang, die Details ihrer Liebesaffäre unter Eid vor einem Notar zu bekennen. Nachdem Karl das Protokoll dieser Vernehmung gelesen hatte, verbannte er Friedrich unverzüglich von seinem Hof und ließ Eleonore in ihrem Quartier festsetzen: Es sollte keinerlei Grund zur Behauptung geben, auch Eleonore trage »bereits ein Kind unter dem Herzen«, wie es der Herzog von Suffolk behauptet hatte, um Mary Tudor – zuvor Karls Braut – für sich zu gewinnen.53

Diese dramatischen Entwicklungen erstaunten die Diplomaten, die in Zeeland nur darauf warteten, mit Karl die Segel nach Spanien zu setzen. Der Engländer Cuthbert Tunstal etwa wunderte sich über »die plötzliche Abreise des Pfalzgrafen, der bereits sein ganzes Zeug hat herbringen lassen, um mit dem König zu ziehen, und der von allen Edelleuten dem König stets am nächsten war«. Auch bemerkte er mit Verwunderung, dass »der König ganz und gar unbeugsam war«, fügte indes hinzu: »Ob all dies aus seinem eigenen Kopf entsprungen ist oder nicht, vermag ich nicht zu sagen.« Wie etliche andere auch vermutete Tunstal, dass Chièvres seine Hand im Spiel gehabt hatte, der es überhaupt nicht leiden konnte, den Pfalzgrafen Friedrich so »tief in des Königs Gunst« zu sehen, und der deshalb den Sturz seines Rivalen betrieben haben mochte. Thomas Spinelly hingegen glaubte, die plötzliche Entlassung des engen Vertrauten in Ungnade habe zum ersten Mal erwiesen, dass Karl »Mumm und Mut« besitze »und dass er erlittenes Unrecht nicht leicht wieder vergisst«. Spinelly sagte voraus, der junge König werde sich auch in Zukunft »mit fester Entschiedenheit« zeigen.54

Bei alldem verhinderten ungünstige Winde auch weiterhin die Abfahrt der königlichen Flotte aus Zeeland. Am 11. September äußerte ein Vertrauter Cisneros in Spanien, er setze wie viele andere auch seine Hoffnung darauf, »dass Seine Hoheit uns im Jahr 1517 nicht im Stich lassen wird, denn wir haben mehr als 1000 Dukaten auf seine Ankunft verwettet. Ich bete zu Gott, dass Er Seine Majestät sicher in diese Königreiche geleite.«55 Zu diesem Zeitpunkt war die Wette bereits halb gewonnen: Vier Tage zuvor hatte der Wind in Zeeland plötzlich gedreht, und Karl, Eleonore und ihr Gefolge hatten noch eilig die Beichte abgelegt und waren an Bord der Schiffe gegangen, die nun schon so lange für ihre Reise nach Spanien bereitgelegen hatten. Der Vorfall mit dem Liebesbrief hatte allen gezeigt, dass Karl bereit war, selbst enge Vertraute in Ungnade zu stürzen, solange es seinen Plänen nutzte. Ob er jedoch tatsächlich über den nötigen »Mumm und Mut« verfügte, um schwierige politische Entscheidungen zu fällen und dann »mit fester Entschiedenheit« an seinem Urteil festzuhalten – das musste sich erst noch zeigen.

Der Kaiser

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