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Karl und die Comuneros

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Welchen Anteil hatte Karl selbst an dieser dramatischen Schicksalswende? Keinen sonderlich großen. Erste Nachrichten davon, dass »in Spanien irgendein Aufruhr losgebrochen« sei, erreichten den König und sein Gefolge am 19. Juni 1520 in Brüssel, ganze zwei Monate nach Beginn des Aufstands. Da sie auf »dem Bericht von Fremden« beruhten, »schenkten sie ihnen keinen Glauben«, bis dann eine Woche später Briefe von Karls spanischen Ministern eintrafen, die von Unruhen in nicht weniger als siebzehn kastilischen Städten Nachricht gaben. Karl erkannte den Ernst der Lage jedoch noch immer nicht, weil (in den Worten des englischen Botschafters Thomas Spinelly) die Aufständischen »trotz all ihrem Aufruhr … die Einkünfte des Königs weiter fließen lassen, sodass sie den gewohnten Empfängern ohne jegliche Einschränkung gezahlt werden können«. Außerdem »scheint es bislang, dass noch kein großer Herr oder Edelmann sich öffentlich als Anhänger jener Umtriebe zu erkennen gegeben hat«, was nach Spinellys Meinung wohl auch so bleiben werde. Den Grund hierfür sah er in »den alten Streitigkeiten, Feindschaften und Neidereien, die unter den spanischen Herren herrschen, ja so sehr, dass der eine dem anderen nicht trauen kann. Aus diesem Grund glaube ich, dass die Abwesenheit des Kaisers zwar einige Verstimmung hervorrufen mag, aber doch keine ernsthaften Probleme.« Schließlich hielt Spinelly gleichwohl noch fest, dass ihm alle Forderungen der Aufständischen »gerecht und vernünftig« erschienen: dass die Städte ihre Einnahmen aus den Verkaufssteuern selbst und direkt verwalten sollten, dass in Kastilien keine auswärtigen Kandidaten mehr auf weltliche oder geistliche Posten berufen werden sollten, dass kein Gold oder Silber mehr außer Landes gebracht werden sollte, dass die königlichen Gerichte alle Verfahren zügig bearbeiten und abschließen sollten. Auch Adrian von Utrecht riet zu einem Kompromiss, da »es an diesem Punkt nötig ist, die Städte und ihre Bürger beinahe so wie rohe Eier zu behandeln, die zerbrechen, wenn man sie zu unsanft anfasst«. Er warnte zudem, dass »die Dinge nun auf des Messers Schneide stehen, sodass die kleinste unvorsichtige Bewegung alles aufs Spiel setzen mag«. Da in dieser frühen Phase des Aufstandes Karl die Beschwerden durchaus hätte aus der Welt schaffen können – »ehrenvoll und ohne seinen guten Ruf im Ausland zu beschädigen« –, zeigten sich sowohl Adrian als auch Spinelly fassungslos, als der Kaiser Zugeständnisse rundweg ablehnte.32

Eine solche Sturheit blieb nicht ohne Folgen, denn Karl hatte bei der Ernennung Adrians zu seinem Statthalter in Kastilien einige entscheidende Befugnisse ausgespart. Insbesondere konnte nur der König selbst Begnadigungen aussprechen. Das erwies sich als fatal, als im Juni ein führender Comunero von Toledo anbot, den Rebellen seine Unterstützung aufzukündigen, wenn man ihm im Gegenzug Straffreiheit zusagte: Als Adrian endlich die königliche Erlaubnis erhalten hatte, selbst Begnadigungen vorzunehmen, war es schon zu spät.33 Außerdem sprach sich zwar Adrian für Milde im Umgang mit den Aufständischen aus, der Präsident des Kronrates, Antonio de Rojas, jedoch nicht.

In seiner mehr oder minder letzten Mitteilung an Karl hatte Kardinal Cisneros diesen vor Rojas gewarnt. Der sei »ein böser Mann mit bösen Absichten, der es liebt, Zwietracht zu säen«. Aber der Tod des Kardinals hatte dann zur Folge, dass niemand seine Warnung beachtete. Dabei äußerte sich der Condestable von Kastilien, immerhin der ranghöchste Adlige des Königreiches, in einem Brief nun ganz ähnlich: »Der Präsident des Kronrates ist sehr wütend auf mich, weil ich die Meinung vertrete, durch Begnadigungen und milde Strafen werde das Königreich zur Ruhe kommen. Er aber will verbrannte Erde sehen, will den Leuten den Hals abschneiden, sodass, wenn unsere jetzigen Probleme schwerer wiegen als die vergangenen, unsere künftigen Probleme sogar noch schwerwiegender sein werden.«34 Karl ignorierte den Condestable genauso, wie er zuvor Cisneros ignoriert hatte – vielleicht weil das brutale Vorgehen, für das Rojas und der restliche Kronrat eintraten, eine Zeit lang erfolgreich schien. Am 6. Juli 1520 meldete der Botschafter Spinelly, dass »der Kaiser aus Spanien gute Nachricht bekommen hat und hört, der Aufruhr sei vorüber«; drei Wochen darauf folgte noch die Versicherung, es habe »keinerlei offene Unterstützung [der Aufständischen] seitens hochgestellter oder einflussreicher Personen« gegeben. Vielmehr sichere das Volk nun zu, »es wolle dem Kaiser in allen Dingen treu und gehorsam sein, außer dass kein Geld mehr aus dem Königreich fließen und keine Fremden mehr in Amt und Würden« gesetzt werden sollten.35 Obgleich die Anführer der Comuneros einen zentalen Ausschuss einrichteten, die sogenannte Junta, um ihre Aktivitäten zu koordinieren, entsandten anfänglich nur vier Städte eine offizielle Abordnung.

Im August änderte sich alles. Adrian hatte Truppen in Marsch gesetzt, um die in Medina del Campo eingelagerte königliche Artillerie gefechtsbereit zu machen, die er gegen die Hochburgen der Aufständischen einsetzen wollte. Als seine Soldaten dort jedoch auf Widerstand stießen, legten sie ein Feuer, das weite Teile der Stadt zerstörte. Der große Brand von Medina gab der Sache der Comuneros wieder Aufwind. In Scharen strömten ihnen nun die Anhänger zu, und zehn weitere Städte entsandten Delegierte in die Junta, die nun nach Tordesillas zog in der Hoffnung, die Königin Johanna zur Machtübernahme und zur Legitimierung ihres Ungehorsams bewegen zu können. Und auch eine »einflussreiche Person« ergriff nun für die Comuneros Partei: Antonio de Acuña, der Bischof von Zamora.

Die Nachricht von diesen Entwicklungen sorgte am Brüsseler Hof für Fassungslosigkeit. Am 6. September diskutierten, das berichtet jedenfalls Spinelly, Karl und sein Rat zwei »Meinungen« hinsichtlich des weiteren Umgangs mit der »Unannehmlichkeit«, wie es etwas verschämt hieß, in Kastilien. Eine Gruppe von Räten sprach sich dafür aus, dass Karl unter allen Umständen nach Aachen weiterreisen solle, um sich dort wie geplant zum römisch-deutschen König krönen zu lassen. Anschließend sollte er »seine Reise nach Deutschland hinein« fortzusetzen, »um mit Umsicht und gutem Rat die Streitigkeiten zwischen den Reichsfürsten und den Reichsstädten beizulegen«. Sodann sollte er »mit so großer Macht, als ihm möglich ist, nach Italien ziehen«, um sich dort zum Kaiser krönen zu lassen. Erst danach, meinte diese Fraktion, sollte Karl nach Spanien zurücksegeln, um das Land zu befrieden. Die restlichen Mitglieder des Rates jedoch widersprachen vehement:

»Je länger er noch säumt, nach Spanien zurückzukehren, desto schlechter, denn die Untertanen dort werden mit jedem Tag verwegener, und wenn man bedenkt, wie süß das freie Leben auf anderer Leute Kosten ist et quod nervus belli est pecunia [und dass Geld des Krieges Kraftquelle ist], wovon er sonder Spanien keine geeignete Quelle hat; dann muss man zu dem Schluss gelangen, dass es wohl am weisesten wäre, in Aachen die Königskrone zu empfangen, für das Reich einen Vikar [Regenten] zu ernennen und dann hierher zurückzukehren, um für Anfang März [1521] etwa eine Armee aufzustellen.«

Diese Armee sollte »von ausreichender Zahl sein, um das Land [Spanien] zu läutern und in ewige Sicherheit zu setzen«. Erst danach solle Karl »nach Rom fahren«, um vom Papst die Kaiserkrone in Empfang zu nehmen.36

Der Kaiser entschied sich für die zweite »Meinung« und gab zugleich mehrere Zugeständnisse an die Aufständischen bekannt: Er ernannte zwei kastilische Adlige, die Adrian als Vizestatthalter zur Seite stehen sollten; er erklärte sich bereit, auf den in La Coruña beschlossenen servicio zu verzichten; und er räumte den Städten das Recht ein, ihre Verkaufssteuern selbst einzutreiben. Das war zu wenig, und es kam zu spät. Binnen Kurzem trat die Junta von Tordesillas auf, als wäre sie die Exekutive im Land, und schrieb (wie Karl gereizt festhielt) »Briefe an einige Städte in unseren Niederlanden, um auch sie zur Rebellion gegen uns anzustiften«. Inzwischen stritten sich Margarete und Chièvres in aller Öffentlichkeit und »in der Gegenwart des Königs« darüber, wer die Schuld an der Misere trage, wobei »sie einander der Nachlässigkeit bezichtigten«.37

Dennoch schien Karl außerstande, die wahren Gründe für den Unmut der Comuneros zu verstehen. Als im Januar 1521 der Kardinal Guillaume de Croÿ verstarb und der Bischofssitz von Toledo damit überraschend wieder vakant wurde, schlug der Kaiser vor, ihn einfach einem anderen von Chièvres’ Neffen zu übertragen. Das geschah sogar, nachdem einer seiner spanischen Untertanen ihn ausführlich darüber belehrt hatte, dass »der ursprüngliche Groll und Unmut des ganzen Landes von diesem besagten Erzbischof ausgegangen war … und welch große Unbill auch diesmal folgen werde, sollte Ihre Majestät es [d. h. das Erzbistum Toledo] erneut dem Herrn von Chièvres überlassen, und er sagte, dass nicht nur [seine] Untertanen darüber verärgert sein würden, sondern Gott ebenso wegen der Unfähigkeit und des jungen Alters, die dem anderen Neffen eigneten«. Hätte nicht an diesem Punkt des Geschehens der abtrünnige Bischof Acuña das Vermögen des Erzbistums Toledo an sich gerissen, Karl hätte seinen katastrophalen Fehler glatt ein zweites Mal begangen.38

Weder in den »Erinnerungen« des Kaisers noch in Gattinaras Autobiografie findet sich der geringste Hinweis darauf, warum Karl und seine Minister sich mit ihrer Reaktion auf die kastilische Krise so lange Zeit ließen. Ein Brief jedoch, den Luigi Marliano – nicht nur der Leibarzt des Kaisers, sondern auch sein enger Vertrauter – im Oktober 1520 verfasste, spiegelt die herrschende Meinung bei Hofe wider.39 »Ich habe von Euch zahlreiche Briefe über diesen Tumult erhalten«, schrieb Marliano an seinen Vetter und Landsmann Peter Mártir, und manche davon gäben Karl die Schuld. Insbesondere führten viele darüber Klage, dass Karl es versäumt hatte, seine spanischen Untertanen in politische Entscheidungsprozesse einzubinden. Doch wies Marliano darauf hin, dass »ein König nicht verpflichtet ist, seine Entscheidungen dem Volk zu erklären«. Ohnehin sei doch »nicht allein der Grund, sondern auch die Notwendigkeit für diese Dinge über die Maßen klar«: nämlich »die große Bedeutung, die darin liegt, die Herrschaft über die ganze Welt zu gewinnen, die er nicht einem anderen zufallen lassen konnte, und die er durch Nichtstun bloß verloren hätte«. Was den Protest der Comuneros an einem »Kapitalabfluss« aus dem spanischen Königreich betraf, so behauptete Marliano, es sei ja ohnehin so gut wie gar kein Geld mehr übrig geblieben: nach der Tilgung aller Schulden, die die Katholischen Könige hinterlassen hätten; nachdem man dem Bruder (Ferdinand) die Überfahrt nach Flandern und der Schwester (Eleonore) die Reise nach Portugal bezahlt sowie einen Feldzug nach Nordafrika finanziert hatte; nach dem Entsenden von »zwei Flotten in die Neue Welt, über deren bewundernswerte Entdeckung Ihr ja selbst geschrieben habt« (eine clevere Spitze gegen Mártir). Vor allem aber hatten sich, wie Marliano beteuerte, »weder der Kaiser noch seine Vertreter in Spanien jemals hochmütig verhalten«.40

Mártirs Antwort fiel vernichtend aus. Zunächst einmal verwarf er Marlianos ganzes Plädoyer mit dem lapidaren Hinweis: »Nichts hiervon ist der Grund für die Rebellion gewesen.« Über die Behauptung, »weder der Kaiser noch seine Vertreter [hätten sich] in Spanien jemals hochmütig verhalten«, machte er sich gar lustig. Ganz im Gegenteil, so Mártir:

»Euer Ausdruck ›hochmütig‹ trifft es nicht genau, denn es war nicht ›hochmütig‹, sondern ›mit dem höchsten Grad an Hochmut‹, wie Euresgleichen mit den Spaniern umgesprungen ist. Den Kaiser selbst können wir wohl von aller Verantwortung freisprechen, denn er war ja noch ein Knabe; aber was könnte denn wohl hochmütiger sein, als ruhig dabei zuzusehen, wie Spanier für das kleinste Vergehen gegen einen Niederländer mit der größten Härte bestraft wurden, während kein Richter es wagte, auch nur einen einzigen Niederländer bei Hofe arretieren zu lassen, selbst wenn dieser eine schreckliche Untat wider einen Spanier verübt hatte?«

Den Schuldigen wusste Mártir genau zu benennen: »Der Geißbock [Chièvres] und seine Herde waren es, die dem Geist des unglückseligen Königs diese Saat eingegeben haben«, und der zerstörerischste Schössling jener Saat sei es gewesen, »als der Geißbock ohne jede Rücksicht auf die Gesetze dieses Landes sofort nach seinem Eintreffen in Spanien das Erzbistum Toledo an sich riss, was im Königreich nichts als Hass hervorrief«. Mártir, der erkennbar Mühe hatte, seine Verärgerung im Zaum zu halten, beschloss seinen Brief mit den folgenden Bemerkungen: »Wegen seiner mangelhaften Erziehung zeigt der Kaiser nicht das geringste Interesse an diesen Königreichen, und seine Höflinge haben ihm sogar – um ihn noch besser täuschen zu können – einen regelrechten Hass auf Spanien und die Spanier eingeredet. Dies alles also, mein lieber Marliano, ist die Dornensaat, die ausgebracht worden ist, um des Kaisers Ernte zu ruinieren.«41

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich das Blatt bereits gegen die Comuneros gewendet – jedoch aus Gründen, die mit Karl und seinem Hof nicht das Geringste zu tun hatten. Im September 1520 begannen Bauern in mehreren Gegenden Kastiliens, ihre Grundherren anzugreifen und deren Besitz zu zerstören, und für eine Weile genossen sie dabei die Unterstützung der Junta. Das führte dazu, dass viele Adlige ihren Groll Karl gegenüber letztlich doch überwinden konnten und stattdessen seine Statthalter zu unterstützen begannen. Noch dazu schickte Karls Schwager, der portugiesische König Manuel, Adrian 50 000 Dukaten, was wiederum einige Bankiers dazu bewegte, es ihm gleichzutun. Mit diesen Geldern sollten die Statthalter dann die Truppen ausheben, die den Comuneros bei Villalar eine vernichtende Niederlage zufügten.42 Karl beschloss deshalb, im Norden zu bleiben und sich zunächst mit den deutschen Reichsterritorien zu befassen. Er erließ ein Edikt – erneut unter Verweis auf »unsere absolute königliche Gewalt, die wir auszuüben wünschen und ausüben« –, das seine Statthalter ermächtigte, ausnahmslos alle festzunehmen und vor Gericht zu stellen, die nach kastilischem Recht normalerweise Schutz genossen, inklusive Bischöfen und Adligen, wenn sie sich des »verbrecherischen Verrats an ihrem König und naturgemäßem Herrn« schuldig gemacht hatten. Entsprechend ließen Karls Statthalter fast 250 Personen als Verräter anklagen und verurteilen, darunter auch den Bischof Acuña und einige Adlige.43

Der Kaiser

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