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Ein Kaiser bezieht Stellung

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Luthers halbherzige Entschuldigung hätte wohl auch nichts verändert. Die Konfrontation auf dem Wormser Reichstag hatte den Kaiser tief erschüttert und er verbrachte die ganze darauf folgende Nacht damit, eine Entgegnung an die Adresse Luthers zu entwerfen. Früh am nächsten Morgen

»gesellte er sich in dem Gemach im Obergeschoss, in dem er zu speisen pflegt, zu den Fürsten und Kurfürsten und fragte sie: ›Was haltet Ihr von diesem Martin Luther?‹ Bevor irgendjemand antworten konnte, fügte er an: ›Ich will Euch meine Meinung in dieser Sache mitteilen, bevor Ihr mir die eure sagt‹, und er zog ein Blatt Papier hervor, auf dem seine Handschrift zu erkennen war.«

Zahlreiche Abschriften jenes »Blattes Papier« haben sich erhalten – in deutscher, italienischer, lateinischer, spanischer und französischer Sprache –, und das nicht nur, weil Karl die Übersetzung seines Textes in all diese Sprachen anordnete, sondern auch, weil er (vielleicht zum ersten Mal überhaupt) in der »Causa Luther« erkennbar seine eigene, persönliche Meinung zu einer wichtigen politischen Frage äußerte. Zu Beginn seines Papiers erinnerte er daran, dass seine Vorfahren – spanische, österreichische, burgundische und deutsche – »allesamt bis zu ihrem Tode treue Söhne der römischen Kirche waren und die katholische Kirche, ihre heiligen Riten, Dekrete und Gebräuche stets verteidigt haben«; auch erinnerte er daran, dass »wir selbst durch Gottes Gnade bislang nach ihrem Vorbild unser Leben geführt haben«. Als Nächstes wiederholte er einen Punkt, den bereits Johannes Eck in der Debatte mit Luther vorgebracht hatte: »Ganz gewiss muss ein einziger Mönch irren, wenn seine Meinung gegen das steht, was Christen während der vergangenen tausend Jahre geglaubt haben und auch heute noch glauben.« Deshalb, fuhr Karl fort, »bin ich fest entschlossen, meine Königreiche und Herrschaften, meine Freunde, meinen Körper und mein Blut, mein Leben und meine Seele« ganz dem Kampf gegen die Häresie zu widmen, denn wenn man zuließe, dass

»ketzerische Irrlehren oder eine Verminderung der christlichen Religion durch unsere Nachlässigleit in den Herzen der Menschen sich festsetzten, so würde dies uns und alle unsere Nachfolger in ewige Schmach und Schande stürzen. Nachdem ich die krankhafte Antwort vernommen habe, die Luther gestern in unser aller Gegenwart gegeben hat, sage ich Euch nun, dass ich es bereue, so lange gewartet zu haben, bevor ich mich entschloss, gegen ihn und seine falsche Lehre vorzugehen, und ich bin nicht bereit, noch Weiteres von ihm zu hören.«

Obgleich Karl versprach, das Luther zugesagte freie Geleit auch tatsächlich zu wahren, verbot er diesem doch, »seine böse Lehre in Predigten zu verbreiten oder anderweitig zu lehren«, und verkündete: »Ich habe beschlossen, ihn wie einen notorischen Ketzer zu betrachten und auch so mit ihm umzugehen.« Seine Leser hielt er an, es ihm gleichzutun.65

So hatte also auch Karl erklärt: »Hier stehe ich, ich kann nicht anders«, ganz ähnlich, wie Luther es am Tag zuvor getan hatte. Und doch sollte die Rede des Theologen noch über Jahrhunderte nachklingen, während die des Kaisers schon bald wieder vergessen war. Die Gründe hierfür waren denkbar einfach. Wie der Reformationshistoriker Heiko Oberman dargelegt hat, sah Luther sich selbst als einen Vorboten der Apokalypse, der begierig war, die Schar der wahrhaft Gläubigen »in diesen letzten Tagen« beisammenzuhalten, weil er überzeugt war, »dass diese letzten Tage bereits angebrochen sind und dass also die ›letzten Dinge‹ schon jetzt in unserer Zeit begonnen haben, sodass die Uhr der Endzeit bereits zu läuten begonnen hat.« Diese Sicht der Dinge gab Luthers Botschaft eine Dringlichkeit, mit der Karls Einwände nicht mithalten konnten. Durch das Medium des Buchdrucks wurde dieser Unterschied noch einmal verschärft, denn Luther konnte so ein viel größeres Publikum erreichen. In dem Moment, in dem Luther vor dem Reichstag seinen großen Auftritt hatte, waren bereits mehr als 600 000 Exemplare seiner Werke im Umlauf, und schon bald erschien auch seine kühne Wormser Rede in mindestens zehn verschiedenen Ausgaben, in niederdeutscher und in hochdeutscher Sprache sowie auf Latein, sodass der Eifer seiner Anhängerschaft aufs Neue angefacht wurde.66 Die Rezeption von Karls Stellungnahme verlief ganz anders. Die Kurfürsten »erbaten Zeit, um sich in dieser Sache beraten und eine Entscheidung fällen zu können. Mehrmals noch suchten sie den Kaiser auf und stimmten dessen Urteil vordergründig zu, wobei sie jedoch in Wahrheit vielerlei Einwände erhoben, sodass vorerst noch nichts entschieden worden ist«. Manch einer äußerte die Ansicht, es solle doch »ein weiterer Versuch unternommen werden, mit Luther zu sprechen und ihn zurechtzuweisen«. Andere stellten sich Karls Position offen entgegen: An mehreren Stellen in der Stadt Worms tauchten Plakate auf, »die behaupteten, es stünden 400 Reiter und 10 000 Fußsoldaten bereit, um die These zu verteidigen, dass Luthers Werke gut sind«.67

»Ich weiß nicht, was nun als Nächstes passieren wird«, schrieb der venezianische Gesandte in Worms besorgt und sagte voraus, dass, »sobald der Kaiser die Stadt verlässt und dieser Reichstag aufgelöst wird, Luther große Unruhen (tumultos) in ganz Deutschland auslösen wird«. Alfonso de Valdés, ein spanischer Sekretär in Karls Gefolge, verlieh derselben Befürchtung in beinahe denselben Worten Ausdruck:

»Manche bilden sich ein, das Ende der Tragödie sei schon gekommen; ich aber glaube, dies ist nicht das Ende, sondern ihr Anfang. Ich sehe, dass in den Köpfen der Deutschen eine heftige Erregung herrscht, die gegen den Papst gerichtet ist; und ich sehe auch, dass sie den Edikten ihres Kaisers keine große Bedeutung beimessen, denn sobald Luthers Bücher auf den Markt kommen, werden sie sofort, andauernd und ungestraft in jeder Gasse und auf jedem Marktplatz feilgeboten. Ihr könnt Euch leicht ausmalen, was geschehen wird, sobald der Kaiser wieder abgereist ist.«68

In Spanien teilte Adrian von Utrecht diese Sorgen. In einem eigenhändigen Brief drängte er seinen einstigen Schüler, »Martin Luther seinem Richter zuzuführen, unserem Heiligen Vater, der ihm jene gerechte Strafe verabreichen wird, die er verdient«. Es ist nicht so, dass Karl dieser Erinnerung bedurft hätte: Erst im Monat zuvor hatte er seine Amtleute in den Niederlanden angewiesen, alle lutherischen Schriften zu beschlagnahmen und zu verbrennen, deren sie habhaft werden konnten, außerdem den Druck, Verkauf, Erwerb oder Besitz jeglicher Bücher zu verbieten, die den Heiligen Stuhl kritisierten, sowie bestehende Dekrete gegen die Lehren früherer Häretiker zu bekräftigen – auch die gegen die Lehre »eines gewissen Martin Luther«.69 Aber das Risiko, so bald nach Villalar eine weitere Rebellion zu provozieren, hielt Karl dann doch davon ab, ähnliche Maßnahmen auch in den deutschen Territorien zu ergreifen. Obwohl er den Entwurf eines Edikts gebilligt hatte, das Luther für vogelfrei erklärte, alle seine Werke verwarf (die auch hier wieder mit den Werken bereits verurteilter Häretiker gleichgesetzt wurden) und den Druck jeglicher Schriften verbot (»und seien sie noch so klein«), in denen – ohne bischöfliches Imprimatur – »die Heilige Schrift erwähnt, zitiert oder interpretiert« werde, entschied sich Karl am Ende dagegen, dieses Edikt auch tatsächlich zu veröffentlichen.70

Aleandro war außer sich vor Wut und beteuerte gegenüber dem päpstlichen Staatssekretär, dass »die Verzögerung nicht unsere Schuld«, sondern »die des Kaisers [sei], der bei allem sagt, er müsse es noch mit den Fürsten besprechen«. Der Legat hielt diese Tendenz für »äußerst gefährlich«, da er bereits auf dem Reichstag mehrere »lutherische Fürsten« ausgemacht hatte, von denen er fürchtete, sie könnten die Gelegenheit nutzen, um die Sprache des Edikts zu verwässern und seinen Formulierungen die Schärfe zu nehmen. Noch unruhiger wurde er, als die Nachricht eintraf, dass der französische König den König von Navarra und den Seigneur de la Marche dazu ermutigt habe, in Karls Territorien einzufallen, sodass »im Grunde ein Krieg begonnen hat, und die Vertreter des Reiches sagen, dass sie in den deutschen Territorien die größtmögliche Menge an Truppen aufstellen wollen«, was weitere Zugeständnisse unvermeidlich machte. Er hatte recht: Karl lehnte es ab, sich die »lutherischen Fürsten« zu Feinden zu machen, bevor nicht der Reichstag die Finanzierung eines Heeres bewilligt hatte, das die deutschen Territorien gegen einen französischen Angriff verteidigen konnte. »Gebe Gott, dass die Fürsten der Christenheit Frieden halten«, seufzte Aleandro, »oder möge er zumindest nicht zulassen, dass die ›Causa Luther‹ mit weltlichen Regierungsbelangen durcheinandergerät.«71

Zum Schluss setzte am Tag, nachdem der Reichstag die Mittel zur Finanzierung von 20 000 Fußsoldaten und 4000 Mann Reiterei bewilligt und die Schaffung eines Regentschaftsrates unter Karls Bruder Ferdinand gebilligt hatte, der Kaiser seine Unterschrift unter die lateinische und die deutsche Fassung jenes Edikts, das über Martin Luther die Reichsacht verhängte und als das »Wormser Edikt« in die Geschichte eingehen sollte. Aleandro hatte keine Zeit zu verlieren und brachte die beiden Schriftstücke umgehend zur Vervielfältigung in die Druckerei. Optimistisch teilte er kurz darauf mit, dass »man mir zwar sagte, [die Arbeit an Satz und Druck] werde sechs Tage dauern – aber ich habe dafür gesorgt, dass sie Tag und Nacht durcharbeiten werden«.72 Zwei Entwicklungen sorgten jedoch dafür, dass seine Hoffnung bald zerrann: Am 24. Mai 1521 ersuchte der französische Botschafter an Karls Hof um einen Geleitbrief für seine sichere Heimreise – damals wie heute ein untrügliches Zeichen dafür, dass ein Krieg unmittelbar bevorstand. Und nur vier Tage darauf starb Karls wichtigster Ratgeber, der Mann, dessen Überzeugungen er seit seiner Mündigsprechung sechs Jahre zuvor gefolgt war und der »den Kaiser bisher noch stets davon abgehalten hatte, in Feindschaft oder Zwietracht mit Frankreich zu verfallen«: Guillaume de Croÿ, Seigneur de Chièvres und Markgraf von Aarschot, war tot.73

Der Kaiser

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